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kath 2:30 Dies DominiDas Paradies – eine Utopie, ein Nicht-Ort, ein sehnsuchtsvoll erstrebter Zustand der Nichtverantwortung. Menschen zu allen Zeiten träumen von diesem Urzustand vollkommenen Glücks. In der abendländischen Tradition ist sicher jenes orientalische Bild vom Garten Eden prägend geworden, in den der Mensch hineingeschaffen wird – und doch nicht glücklich sein kann. Ihm fehlt das Gegenüber. Einsamkeit ist nicht paradiesisch. Im Gegenteil: Ohne Begegnung erscheint selbst ein Paradies als Ort des Mangels. Wo soll er hingehen in einem Paradies im Lockdown? Was glauben Sie denn?

Aber Rettung naht. Der Herr des Paradieses – in den Schriften des Altehrwürdigen Testamentes wird er als Gott bezeichnet – teilt den Menschen. Ein männliches und ein weibliches Wesen entstehen. Das Sehnen nach dem Gegenüber ist die Konsequenz der Erfüllung des Wunsches nach Beseitigung der Einsamkeit. Immer noch ist der nun geteilte Mensch im Paradies. Aber hat dieser Garten des Glücks nicht längst seine Unschuld verloren? Das Sehnen nach dem anderen nämlich wird sich ausweiten. Es ist ein Drang der Überschreitung. Im Paradies ist alles da – Tiere, Pflanzen, Wasser, Früchte. Aber das reicht nicht. Der Mensch will wachsen, erwachsen werden, über sich hinauswachsen. Die beiden Menschen sind bei näherer Betrachtung nämlich Menschlein. Sie sind noch nackt, schämen sich aber ihrer Nacktheit nicht – wie kleine Kinder. Im Paradies aber herrscht Ausgangssperre – und die beiden ahnen noch nicht einmal etwas davon …

… bis die weibliche Hälfte des Menschen als erste die Grenze überschreitet. Es ist eine merkwürdige Situation. Da stehen zwei Bäume in der Mitte des Gartens. Der eine ist der Baum der Erkenntnis von Gut und Böse, der andere der Baum des Lebens. Nur der Baum der Erkenntnis von Gut und Böse wird mit dem Verbot belegt, von ihm zu essen. Was aber verboten ist, ist für kindliche Menschen besonders reizvoll. Und es geschieht: Der Mensch nimmt Erkenntnis zu sich, wird seiner Nacktheit gewahr und reift. Zuerst benehmen sich die beiden noch wie pubertierende Jugendliche, die zu allem fähig, aber für nichts verantwortlich sind: Die Frau hat gesagt, die Schlange hat gesagt – klarer Fall von Befehlsnotstand ohne Einsicht in die eigene Verantwortung. Endlich aber wird der Mensch erwachsen. So ausgerüstet mit Erkenntnis kann er sein Leben selbst gestalten; um den Preis der Mühen erlangt er Mündigkeit. Verantwortlich geworden wird nicht nur die Ausgangssperre des Paradieses aufgehoben; die Rückkehr in den selbstverschuldeten Zustand der Unmündigkeit wird sogar verhindert. Das Paradies ist verloren, ein mündiges Leben in Freiheit und Selbstverantwortung ist gewonnen. Das ist kein Sündenfall. Im Gegenteil:

„Jeder, der noch mit Milch genährt wird, ist unerfahren im richtigen Reden; er ist ja ein unmündiges Kind; feste Speise aber ist für Erwachsene, deren Sinne durch Gebrauch geübt sind, Gut und Böse zu unterscheiden.“ (Hebr 5,13f)

In Wuppertal und anderswo herrscht nun aber wieder Ausgangssperre. Wie im Paradies sitzen wir da wie Kinder, die – zu allem fähig, aber scheinbar für nichts verantwortlich – heulen und mit den Zähnen knirschen. Jetzt, wo es verboten ist, entdeckt man die große Lust, um Mitternacht noch um die Häuser zu ziehen. Wie kann man uns nur einsperren!? Dabei hätten und haben wir es doch in der Hand, wenn wir wie Erwachsene den Herausforderungen der Pandemie begegneten. Die Lust an der Übertretung von Verboten ist etwas für Kinder. Erwachsene aber nehmen das Schicksal selbst in die Hand. Der Lockdown endet, wenn man nicht kindisch quer-, sondern erwachsen geradeausdenkt und handelt. Auf also: Befreit euch aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit und nehmt die Herausforderung endlich an! Das Leben ist diese Mühe wert!

Dr. Werner Kleine

Erstveröffentlicht in der Westdeutschen Zeitung vom 24. April 2021.

Author: Dr. Werner Kleine

Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.

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