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kath 2:30 Dies DominiDies Domini – 30. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr C

Liebe Leserinnen und Leser,

dunkler wird es in diesen Tagen, die Schatten werden länger. Das Äquinoktium ist noch nicht lange Vergangenheit. Die Sehnsucht nach heller Wärme und lichter Freude erwacht aber jetzt schon in den Seelen der Menschen. Der Nebel der immer tiefer dräuenden Wolken aber drückt so manchen jetzt schon aufs Gemüt.

Der Mensch als Wesen, das mit der Fähigkeit der Phantasie begabt ist, kennt viele Fluchtmöglichkeiten aus der dunklen Gegenwart. Immer weniger benötigt er dazu die Pfade der eigenen Träume. Augmented Reality heißt die Heilsverheißung der Gegenwart. Wo früher ein virtuelles Brett vor dem Kopf den Blick auf das Offensichtliche verstellte, tragen immer mehr Zeitgeister einen Plastikkasten mit integrierter High-End-Technik vor dem Lobus frontalis, jenem Teil des Gehirns, der einst als das menschlichste galt, wird er doch von manch einem Autor gar als „Organ der Zivilisation“ bezeichnet. Der Evolution hat es gefallen, dem Lobus frontalis die Regulierung der kognitiven Prozesse zuzuweisen, so dass der Mensch an sich in der Lage ist, situationsgerechte Handlungen auszuführen. Der Stirnlappen prägt somit in wesentlicher Weise die Persönlichkeit und das Sozialverhalten eines Individuums. Von hier aus wird die angemessen Interaktion mit der Umwelt gesteuert, in der sich das Individuum nicht zuletzt durch seine Sinne verortet, jene Sensoren, die bereits durch einen High-Tech-Plastikkasten so manipuliert werden können, dass der Mensch Welt und Wirklichkeit enthoben Scheinwelten für real hält. Augmented Reality nennen das die intelligenten Designer der Gegenwart, wörtlich also erweiterte Wirklichkeit. Das vor Augenscheinliche wird zur Realität erklärt; der Mensch überlässt sich der Täuschung der Sinne. Hier zeigt sich, dass diejenigen, die nur dem vertrauen, was sie sehen, hören und fühlen, nur allzu schnell den Boden unter den Füßen verlieren können: Am Abgrund stehend mag die virtuelle Scheinwelt das Tor zum Garten Eden suggerieren, von dem nur noch ein Schritt trennt, jener Schritt, der dem Leben in der physischen Welt ebenso ein jähes Ende bereiten wird, wie den selbstinszenierten Traumwelten aus Polymeren.

Die Parallelwelt aus Plaste und Elaste ist aber nicht der einzige Fluchtort, dem Menschen angesichts der harten Realität der Welt, wie sie ist, zustreben. Der Mensch ist auch in der Lage, die Herausforderungen der Gegenwart einfach wegzulächeln. Lachen verursacht unter anderem die Ausschüttung Endorphine aus, jenes vom Körper selbst erzeugte Opioid, das neben schmerzstillender Wirkung auch noch gute Laune macht. Endorphine können süchtig machen. Sportler kennen das, vor allem Extremsportler. Man muss nur durchhalten, um über den Punkt der Endorphinausschüttung hinwegzukommen. Regelrecht high werden sie dann, wenn sie den Schmerz nicht mehr spüren und sich dem Rausch der Hormone hingeben können. Interessanterweise kann der gleiche Vorgang auch durch intensives Beten herbeigeführt werden. So stellt der Psychologe Eckart Straube auf die Frage, ob der Glaube wie ein Placebo sei, das nur wirke, wenn jemand davon überzeugt ist, fest:

Ja und nein. Sicher ist die Überzeugung da, durch das Beten etwas zu verändern. Aber wenn jemand intensiv betet oder meditiert, kann man auch deutliche physiologische Veränderungen feststellen, Aktivitätsmuster im Gehirn verändern sich.
Wir wissen, dass Psyche und Körperprozesse eng verschaltet sind. Starke Änderung auf der einen Ebene führen zu Veränderungen auf der anderen: Die Psyche kann das Immunsystem beeinflussen, sie wirkt auf das Hormonsystem, Endorphine werden ausgeschüttet, sie sind Teil der Immunantwort des Körpers. (Quelle: Süddeutsche.de, Kann Glaube heilen?, 17. Mai 2010, http://www.sueddeutsche.de/wissen/religion-kann-glaube-heilen-1.597234 [Stand: 22. Oktober 2016])

Der harten Wirklichkeit fröhlich glaubend ins Gebet vertieft zu entfliehen ist eine beliebte Taktik, der so manche Beterin und so mancher Fromme frönt. Mit Inbrunst erschallt dann immer noch das Lied vom Haus voll Glorie, das auch dann noch über alle Lande schaut, wenn bereits die Außenmauern höchst sanierungsbedürftig sind, um vom Inneren ganz zu schweigen. Man merkt dann schnell an, dass die Freude in vielen kirchlichen Auseinandersetzungen fehle, und zitiert dann gerne einen Vers aus dem Philipperbrief, in dem Paulus der Gemeinde zuruft:

Freut euch im Herrn zu jeder Zeit! Noch einmal sage ich: Freut euch! (Philipper 4,4)

Meist wird dabei übersehen, dass die Freude im Herrn nicht vom inneren und äußeren Kampf, der Auseinandersetzung und dem diskursiven Ringen um den Weg der Wahrheit entbindet. Der paulinische Aufruf zur Freude steht ja nicht im luftleeren Raum. Er ist eine Motivation angesichts eines solchen Ringens, heißt es doch unmittelbar vorher:

Darum, meine geliebten Brüder, nach denen ich mich sehne, meine Freude und mein Ehrenkranz, steht fest in der Gemeinschaft mit dem Herrn, liebe Brüder. Ich ermahne Evodia und ich ermahne Syntyche, einmütig zu sein im Herrn. Ja, ich bitte auch dich, treuer Gefährte, nimm dich ihrer an! Sie haben mit mir für das Evangelium gekämpft, zusammen mit Klemens und meinen anderen Mitarbeitern. Ihre Namen stehen im Buch des Lebens. (Philipper 4,1-3)

Und den Aufruf zur Freude weiterführend schreibt er:

Eure Güte werde allen Menschen bekannt. Der Herr ist nahe. Sorgt euch um nichts, sondern bringt in jeder Lage betend und flehend eure Bitten mit Dank vor Gott! Und der Friede Gottes, der alles Verstehen übersteigt, wird eure Herzen und eure Gedanken in der Gemeinschaft mit Christus Jesus bewahren. Schließlich, Brüder: Was immer wahrhaft, edel, recht, was lauter, liebenswert, ansprechend ist, was Tugend heißt und lobenswert ist, darauf seid bedacht! Was ihr gelernt und angenommen, gehört und an mir gesehen habt, das tut! Und der Gott des Friedens wird mit euch sein. (Philipper 4,5-9)

Bei dem Aufruf zur Freude geht es also nicht um jene banale Freude, die die Auseinandersetzung leugnet, so als genüge es, selig lächelnd ein Bild frommen Kitsches zu erzeugen, das ebenso künstlich ist, wie die modernen Welten aus Plastik, Bits und Bytes. Die Freude, zu der Paulus aufruft, leugnet weder die dräuenden Nebel der Zeiten noch die Notwendigkeit zu Auseinandersetzung und zum Kampf für das Evangelium. Im Gegenteil: Sie wächst gerade im Annehmen dieser Herausforderungen, weil sie ein Ziel vor Augen hat, für das es sich zu kämpfen lohnt: Die endgültige Erkenntnis der Wahrheit. Um diese Erkenntnis muss gerungen werden mit der Welt und in der Gemeinschaft der Glaubenden, denn der wahrhaft Ringende, der sich kein frohes Brett vor die Stirne klebt, weiß, dass er sich der Wahrheit nur unter den Einschränkungen der physischen Welt nähern kann:

Jetzt schauen wir in einen Spiegel und sehen nur rätselhafte Umrisse, dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich unvollkommen, dann aber werde ich durch und durch erkennen, so wie ich auch durch und durch erkannt worden bin. Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; doch am größten unter ihnen ist die Liebe. (1 Korinther 13,12f)

Auch hier steht die Trias „Glaube – Hoffnung – Liebe“ nicht als Leugnung einer harten Wirklichkeit, sondern als Haltung, mit deren Hilfe in der physischen Realität der tiefer liegende Urgrund des Seins erkannt werden kann: hier nur schemenhaft und nebulös, dereinst in aller Klarheit von Angesicht zu Angesicht.

Genau diese Haltung ist es, die einer banalen Frömmigkeit der Freude im Wege steht. Die Freude, von der Paulus spricht, geht tiefer. Sie ist eine Haltung, mehr noch: Sie begründet eine Haltung, die im Ringen mit den Widrigkeiten des Lebens nicht verzweifeln lässt, ohne die Widrigkeiten des Lebens zu leugnen. Diese Freude an der Wahrheit führt geradezu in den Kampf für das Evangelium, in das innere und äußere Ringen um den Weg zur Wahrheit hinein. In dieser Freude, die sich nicht im Lächeln erschöpft, können die Freunde und Freundinnen der Wahrheit und Weisheit sogar dann noch das Haupt erheben, wenn sie das physische Ende real vor Augen haben, so wie der Autor des 2. Timotheusbriefes, der in der zweiten Lesung vom 30. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres C schreibt:

Ich werde nunmehr geopfert, und die Zeit meines Aufbruchs ist nahe. Ich habe den guten Kampf gekämpft, den Lauf vollendet, die Treue gehalten. Schon jetzt liegt für mich der Kranz der Gerechtigkeit bereit, den mir der Herr, der gerechte Richter, an jenem Tag geben wird, aber nicht nur mir, sondern allen, die sehnsüchtig auf sein Erscheinen warten. (2 Timotheus 4,6-8)

Der Text der zweiten Lesung vom 30. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres C setzt unvermittelt ein. Warum soll der Schreiber des Briefes geopfert werden? Um was für ein Opfer handelt es sich?

Das griechische Wort, das hier verwendet wird, lautet: σπένδειν (gesprochen: spéndein). Es heißt wortwörtlich „ein Trankopfer darbringen“. Es geht hier also nicht um ein Opfer im kultischen Sinn. Vielmehr beschreibt das Wort das griechische Äquivalent der in der deutschen Sprache bekannten Redewendung „Blut vergießen“. Die Hinrichtung des Autors steht also bevor. Die Sprachwendung deutet eine Hinrichtung durch das Schwert an.

Das nahe Ende deutet der Autor als „Zeit des Aufbruchs“. Auch hier lohnt sich ein Blick auf den griechischen Text, denn mit „Aufbruch“ wird das griechische Wort ἀνάλυσις (gesprochen: análysis) wiedergegeben. Ἀνάλυσις heißt auch „Auflösung“; in dieser Funktion ist der Begriff nicht nur Schülerinnen und Schülern aus dem Mathematikunterricht bekannt. Dem Autor des 2. Timotheusbriefes steht die große Analyse bevor, die Auflösung der physische Nebel, die auch die Erkenntnis der Wahrheit hemmen, der Aufbruch in die klare Erkenntnis, von der nur der Tod ihn trennt. Er hat den guten Kampf um den Weg der Wahrheit gekämpft, ein Weg, dessen Lauf nun zum Ende kommt; er hat die Gewissheit, dass er nun zur vollen Erkenntnis gelangen wird. Als Lohn für seinen Kampf wird er den Siegerkranz der Gerechtigkeit erhalten, der allen gebührt, die um den Weg der Wahrheit aufrichtig und ohne falsche Illusionen ringen. Der fröhlich Fromme mag selig lächeln, die Freunde der Wahrheit wissen, gut zu kämpfen.

Wie sehr dieser Kampf nach außen, vor allem aber nach innen unausweichlich ist, zeigt der Text, der in der zweiten Lesung vom 30. Sonntag im Jahreskreis ausgelassen wird. So kommt es zu der unvermittelt wirkenden Aussage:

Bei meiner ersten Verteidigung ist niemand für mich eingetreten; alle haben mich im Stich gelassen. Möge es ihnen nicht angerechnet werden. (2 Timotheus 4,16)

Wer hat den Autor des Briefes denn im Stich gelassen? Und für wen bitte er um Nachsicht?

Die Antwort ergibt sich in der Auslassung der Lesung:

Demas hat mich aus Liebe zu dieser Welt verlassen und ist nach Thessalonich gegangen; Kreszenz ging nach Galatien, Titus nach Dalmatien. Nur Lukas ist noch bei mir. Bring Markus mit, denn er wird mir ein guter Helfer sein. Tychikus habe ich nach Ephesus geschickt. Wenn du kommst, bring den Mantel mit, den ich in Troas bei Karpus gelassen habe, auch die Bücher, vor allem die Pergamente. Alexander, der Schmied, hat mir viel Böses getan; der Herr wird ihm vergelten, wie es seine Taten verdienen. (2 Timotheus 4,10-14)

Die Einsamkeit, die der Autor des Schreibens verspürt, ist mit Händen zu greifen. Er macht sich keine Illusionen mehr; keine Überhöhung der Realität kann ihn von der Erkenntnis der harten Wirklichkeit abhalten. Manch einen seiner Gefährten hat er selbst weggeschickt – vielleicht, damit sie sich in Sicherheit bringen; mach einer aber hat ihn auch aus offenkundig banalen Gründen verlassen. Sie haben die Härte des Ringens um den Weg der Wahrheit nicht ausgehalten und sich in ihre Privatwelten zurückgezogen. Manch einer, wie Alexander der Schmied, hat ihn sogar verraten und hintergangen. Nur noch einer, der Lukas heißt, ist bei ihm. Und er sehnt sich nach Unterstützung, denn niemand ist mehr da, der ihn verteidigen kann. Und so bittet er:

Beeil dich, komm bald zu mir! (2 Timotheus 4,9)

Der Bitte aber folgt auch eine Warnung vor den Umtrieben des Schmiedes Alexander:

Nimm auch du dich vor ihm in Acht, denn er hat unsere Lehre heftig bekämpft. (2 Timotheus 4,15)

Die Wahrheit ist eben von flüchtigem Wesen. Sie muss immer wieder neu errungen und erkämpft werden. Wer den guten Kampf um die Wahrheit kämpft, wird früher oder später erfahren, was der Autor des 2. Timotheusbriefes seinem Adressaten warnend mit auf den Weg gibt:

Denn es wird eine Zeit kommen, in der man die gesunde Lehre nicht erträgt, sondern sich nach eigenen Wünschen immer neue Lehrer sucht, die den Ohren schmeicheln; und man wird der Wahrheit nicht mehr Gehör schenken, sondern sich Fabeleien zuwenden. (2 Timotheus 4,3f)

Deshalb ist für eine frömmelnde Freude wenig Zeit, wohl aber für eine kraftvoll-nüchterne Freude, die mit erhobenem Haupt der Wirklichkeit ins Angesicht sieht:

Du aber sei in allem nüchtern, ertrage das Leiden, verkünde das Evangelium, erfülle treu deinen Dienst! (2 Timotheus 4,5)

Diese kraftvolle Freude ist in einer inneren Gewissheit begründet, die sich in echter Lebenserfahrung begründet: Trotz der Verlassenheit in der ersten Verteidigung hat der Autor erfahren, wie sehr die Wahrheit Kraft im Kampf verleihen kann:

Aber der Herr stand mir zur Seite und gab mir Kraft, damit durch mich die Verkündigung vollendet wird und alle Heiden sie hören; und so wurde ich dem Rachen des Löwen entrissen. (2 Timotheus 4,17)

Und wenn diese Erfahrung schon in den Nebeln der physischen Gegenwart wirkt, wie sehr muss das dann für die Klarheit der unsichtbaren Welt gelten, deren Gewissheit sich ja gerade aus der Krafterfahrung der Gegenwart ergibt:

Der Herr wird mich allem Bösen entreißen, er wird mich retten und in sein himmlisches Reich führen. Ihm sei die Ehre in alle Ewigkeit. Amen. (2 Timotheus 4,18)

Hier redet kein bloß Frommer, hier schreibt kein Lächler, hier spricht keiner, dessen Glauben bloß ein anästhetisierendes Placebo der Weltverleugnung ist. Hier spricht ein Freund der Wahrheit, der weiß, dass sich die Gewissheit um den Urgrund allen physischen Scheins und Seins nur im Ringen und Kämpfen mit Welt und Wirklichkeit ergibt. Die Weisheit ist eine Kunst des guten Kampfes. Freut euch – aber richtig!

Dr. Werner Kleine

Author: Dr. Werner Kleine

Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.

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