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kath 2:30 Dies DominiDies Domini – 22. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr B

Der moderne Mensch schätzt Regeln. Zumindest solang sie ihm und seinen persönlichen Befindlichkeiten entgegen kommen. Dann pocht er auf seine Rechte und fordert deren Erfüllung ein. Steht aber das Recht und die Regel gegen seine persönlichen Vorlieben, dann erklingt schnell die Klage der Einschränkung persönlicher Freiheiten. Alles, was der Erfüllung individueller Befindlichkeiten entgegensteht, wird dann verurteilt. Das „Ja, aber …“ ist zum Fanal der Gegenwart geworden. Sich selbst auf nichts festlegend fordern die Überlebenden der Postmoderne, die in der Religion und ihren intellektuellen Folgen und Forderungen nur die Ausgeburt menschlicher Phantasien sahen, einen Sinn, den sie längst über Bord geworfen haben. In ihrer Sehnsucht nach Halt beschränkt sich ihr Horizont auf den eigenen Vorgarten, in dem sie sich eine kleine Welt basteln, die – bitte schön – nicht nur nicht angetastet werden darf, sondern auch wie von einem Weihnachtsmann ohne eigenes Mühen mit all dem bestückt werden soll, was das eigene kleine und infantile Herz begeht.

Rechtschaffenheit und Aufrichtigkeit, Anstand und Solidarität sind in der Gesellschaft der Gegenwart keine selbstverständlichen Werte mehr. Um in den eigenen Spiegel sehen zu können, konstruieren sich viele moderne Zeitgenossen ein Pseudo-Ich, das sie hinter dem „Ja, aber …“ verstecken können. Die ZDF-Moderatorin Dunja Hayali hat die Mechanismen, die sich hinter dieser Strategie verbergen, in deinem Facebook-Posting vom 29. August 2015 mit Blick auf die Reaktionen Flüchtlingen gegenüber auf den Punkt gebracht:

Was mich jedoch im Innersten erschreckt, sind die Ja-Aber-Kommentare. „Ich hab ja nichts gegen Flüchtlinge, aber…“ ABER WAS??
Die Flüchtlinge, die alles hinter sich gelassen haben, Haus, Job, Leben, Würde, Zukunft… Die Flüchtlinge, die im Meer versinken, in Lastwagen ersticken, vergewaltigt werden, weil sie von uns ein Taschengeld wollten? Asylschmarotzer? (Quelle: Facebook)

Das „Ja, aber …“ ist das Wendegesicht der Gegenwart. Die Maske lächelt freundlich. Aber hinter der Maske ist das wahre Gesicht. Es ist das Gesicht ängstlicher Menschen, die aus Sorge um das kleine bisschen Vorgarten Ehre und Anstand vergessen. Die Angst treibt sie, die doch eigentlich ehrbare Kinder des Abendlandes sein wollen. Wenn sie es wären, würden sie ihre Herzen öffnen statt ihre Münder. Sie würden sich an eine Geschichte erinnern, in der die Botschaft der Nächstenliebe die dunklen Nebel vertrieb und eine Kultur hervorbrachte, die ihresgleichen sucht. Die Gotik konnte wohl nur entstehen, weil Europäer in Toledo mit muslimischer Baukunst in Kontakt kamen. Der Handel und die Hanse konnten wohl nur gedeihen, weil man das abendländisch-römische durch ein morgenländisch-arabisches Zahlensystem ersetzte, das zudem noch durch die indische Entdeckung der Zahl „0“ bereichert wurde. Und das ehemals fade Essen im gallo-fränkischen Abendland erlangte seinen Esprit erst durch die Gewürze aus dem nahen und dem fernen Osten.

„Ja, aber …“ – hört man sie schon wieder rufen, „das ist doch kalter Kaffee“ (der übrigens auch aus dem Orient nach Europa kam ..)! Und: „Das Boot ist voll in unserem Land.“

Die Angst, die den hysterisch kreischenden Kehlen etwa in Heidenau entringt, spricht ihre eigene Sprache. Wer diese Reaktionen (man muss schon starke Nerven haben, um das Geschrei auf dem Video auszuhalten …) angesichts des Besuches von Bundeskanzlerin Angela Merkel in einem Flüchtlingswohnheim in Heidenau ansieht, dem erschließt sich unmittelbar der Sinn der Worte aus dem Evangelium des 22. Sonntages im Jahreskreis des Lesejahres B:

Nichts, was von außen in den Menschen hineinkommt, kann ihn unrein machen, sondern was aus dem Menschen herauskommt, das macht ihn unrein. (Markus 7,15)

Der Rahmen des Evangeliums wird durch einen Disput zwischen Jesus und einigen Schriftgelehrten über die Frage der Reinheit nach dem Gesetz, der Thora, gebildet. Die Thora ist die dem Volk Israel von Gott übergebene Weisung. Gerade in dieser Gabe erweist sich Israel als das auserwählte Volk Gottes. So heißt es in der ersten Lesung vom 22. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres B:

Israel, höre die Gesetz und Rechtsvorschriften, die ich euch zu halten lehre. Hört, und ihr werdet leben, ihr werdet in das Land, das der Herr, der Gott eurer Väter, euch gibt, hineinziehen und es in Besitz nehmen. Ihr sollt dem Wortlaut dessen, worauf ich euch verpflichte, nichts hinzufügen und nichts davon wegnehmen; ihr sollt auf die Gebote des Herrn, eures Gottes, achten, auf die ich euch verpflichte. (Deuteronomium 4,1f)

Bis auf den heutigen Tag feiert das jüdische Volk mit dem Fest „Simchat Thora“ die Freude über die Gabe der göttlichen Weisung. Denn die Weisung ermöglicht erst das Leben. Es ist die Weisung Gottes, die Thora, die den Einklang zwischen Gott, Mensch und Gemeinschaft gewährleistet:

Denn welch große Nation hätte Götter, die ihr so nah sind, wie JHWH, unser Gott, uns nah ist, wo immer wir ihn anrufen? Oder welch große Nation besäße Gesetze und Rechtsvorschriften, die so gerecht sind wie alles in dieser Weisung, die ich euch heute vorlege? (Deuteronomium 4,7f)

Dieser Einklang wird durch die Befindlichkeiten des Einzelnen immer wieder in Frage gestellt. Der Mensch ist und bleibt ein soziales Wesen. Die soziale Dimension gerät immer wieder in Konflikt mit der Aggression des Selbsterhaltungstriebes. Gerade in Gesellschaften, in denen Wohlstand herrscht, fehlt der selbsterhaltenden Aggression ein echtes Ziel. Sie ist eigentlich unnötig. Aber sie ist da, machtvoll und ungezähmt. Und wo die Trias Gott – Mensch – Gemeinschaft ihr Gleichgewicht verliert, gerät die Welt aus den Fugen. Es ist wohl kein Wunder, dass gerade dort, wo der Totalitarismus Gott geleugnet hat, die Asozialität fröhlich Urständ feiert. Gott als Geber der Verheißung und Weisung ist auch ihr Garant. Vor wem aber verantworten sich die, die Gott nicht mehr kennen? Wer gibt ihnen Halt, ihnen, deren Horizont die eigene Nasenspitze bildet? Wer gibt ihnen Sinn, ihnen, die im anderen immer nur den Gegner sehen anstatt die Würde eines Menschen, den Gott als sein Abbild erschaffen hat?

Freilich war schon das Volk Israel nicht vor den Auswüchsen der Angst gefeit. Die Sehnsucht nach Reinheit ist gefährlich. Die Angst vor Unreinheit und Vermischung macht aggressiv und knechtet den Menschen. Sie führt zu einer oberflächlichen Beachtung von Regeln, wenn sie dem eigenen Nutzen dienen. Genau darüber streitet Jesus mit den Schriftgelehrten:

Sie [die Schriftgelehrten] sahen, dass einige seiner Jünger ihr Brot mit unreinen, das heißt mit ungewaschenen Händen aßen. Die Pharisäer essen nämlich wie alle Juden nur, wenn sie vorher mit einer Hand voll Wasser die Hände gewaschen haben, wie es die Überlieferung der Alten vorschreibt. Auch wenn sie vom Markt kommen, essen sie nicht, ohne sich vorher zu waschen. Noch viele andere überlieferte Vorschriften halten sie ein, wie das Abspülen von Bechern, Krügen und Kesseln. Die Pharisäer und die Schriftgelehrten fragten ihn also: Warum halten sich deine Jünger nicht an die Überlieferung der Alten, sondern essen ihr Brot mit unreinen Händen? (Markus 7,2-5)

Jesus aber entlarvt die Gesinnung, die sich hinter dieser äußeren Betrachtung der Gesetze liegt:

Er antwortete ihnen: Der Prophet Jesaja hatte Recht mit dem, was er über euch Heuchler sagte: Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, sein Herz aber ist weit weg von mir. Es ist sinnlos, wie sie mich verehren; was sie lehren, sind Satzungen von Menschen. Ihr gebt Gottes Gebot preis und haltet euch an die Überlieferung der Menschen. (Markus 7,6-8)

Leider überspringt die Leseordnung vom 22. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres B die folgenden Verse. Jesus legt dort an einem Beispiel das faktisch rechtsverdrehende Ansinnen der Schriftgelehrten dar:

Und weiter sagte Jesus: Sehr geschickt setzt ihr Gottes Gebot außer Kraft und haltet euch an eure eigene Überlieferung. Mose hat zum Beispiel gesagt: Ehre deinen Vater und deine Mutter!, und: Wer Vater oder Mutter verflucht, soll mit dem Tod bestraft werden. Ihr aber lehrt: Es ist erlaubt, dass einer zu seinem Vater oder seiner Mutter sagt: Was ich dir schulde, ist Korbán, das heißt: eine Opfergabe. Damit hindert ihr ihn daran, noch etwas für Vater oder Mutter zu tun. So setzt ihr durch eure eigene Überlieferung Gottes Wort außer Kraft. Und ähnlich handelt ihr in vielen Fällen. (Markus 7,9-13)

Das Verhalten der Schriftgelehrten orientiert sich äußerlich an der Weisung Gottes, ist aber in Wahrheit von einem gewinnsüchtigen, selbstbezogenen Streben gekennzeichnet. Die soziale Dimension (die Versorgung der Eltern) wird durch einen Scheinwert (dem Opfer für Gott) außer Kraft gesetzt. „Ja, aber …“ – so haben auch sie offenkundig gesagt – „Ja, die soziale Verantwortung ist wichtig, aber das Opfer für Gott ist wichtiger“ – und die materielle Opfergabe wanderte wohl nicht selten in die eigenen Kanäle.

Dieser Missbrauch der Thora wird von Jesus angeprangert. Die Weisung Gottes ist nichts für persönliche Befindlichkeiten. Die Weisung Gottes realisiert sich erst in der Trias Gott-Mensch-Gemeinschaft. Sie kann nicht gegeneinander ausgespielt oder aufgehoben werden. Gott ist nicht einfach fern. Die Begegnung mit Gott ereignet sich in der Begegnung mit dem Nächsten, dem Gott in mir selbst begegnet. Gott selbst nimmt Wohnsitz ja Wohnsitz in den Herzen der Menschen. Von hier aus begründet sich das Gleichgewicht der spannungsreichen Herausforderung von Selbsterhaltung und Nächstenliebe.

Verliert aber der Mensch Gott aus dem Blick, hilft selbst die Berufung auf das Gesetz nicht weiter. Wo Gott aus den Herzen der Menschen verbannt wird, entsteht Platz für Neues:

Denn von innen, aus dem Herzen der Menschen, kommen die bösen Gedanken, Unzucht, Diebstahl, Mord, Ehebruch, Habgier, Bosheit, Hinterlist, Ausschweifung, Neid, Verleumdung, Hochmut und Unvernunft. All dieses Böse kommt von innen und macht den Menschen unrein. (Markus 7,21-23)

„Ja, aber …“ – wird mancher jetzt einwenden – man kann doch auch ein guter Mensch ohne Gott sein. Sicher, wird man da entgegnen müssen. Wenn ein Mensch in der Lage ist, auf die Stimme seines Gewissens zu hören, wird er das Richtige tun, auch wenn er Gott nicht wirklich kennt. So schreibt Paulus an die Römer:

Nicht die sind vor Gott gerecht, die das Gesetz hören, sondern er wird die für gerecht erklären, die das Gesetz tun. Wenn Heiden, die das Gesetz nicht haben, von Natur aus das tun, was im Gesetz gefordert ist, so sind sie, die das Gesetz nicht haben, sich selbst Gesetz. Sie zeigen damit, dass ihnen die Forderung des Gesetzes ins Herz geschrieben ist. (Römer 2,13-15a)

Für die Befolgung der Weisungen Gottes ist also nicht das Bekenntnis zu Gott an sich bedeutsam. Die Tat zählt, nicht das Lippenbekenntnis. Aus dem Mund der Menschen kommt viel, Sinn und Unsinn, die Wahrheit aber wohnt im Herzen. Deshalb kann Paulus sagen:

Darum bist du unentschuldbar – wer du auch bist, Mensch -, wenn du richtest. Denn worin du den andern richtest, darin verurteilst du dich selber, da du, der Richtende, dasselbe tust. Wir wissen aber, dass Gottes Gericht über alle, die solche Dinge tun, der Wahrheit entspricht. Meinst du etwa, du könntest dem Gericht Gottes entrinnen, wenn du die richtest, die solche Dinge tun, und dasselbe tust wie sie? (Römer 2,1-3)

In der hysterischen Beleidigung des Mitmenschen hat der Mensch längst das Urteil über sich selbst gefällt. In der angstvollen Ausgrenzung des Fremden hat sich der Mensch sich längst seiner selbst entfremdet. In der hasserfüllten Entmenschung derer, die der Hilfe am meisten Bedürfen, richtet der Mensch sich selbst als Unmensch. Der Richter des göttlichen Gerichtes ist der Mensch selbst; und der Gerichtshof ist sein Herz, sein Innerstes. Denn wovon das Herz des Menschen voll ist, davon fließt der Mund über.

Dunja Hayali beendet ihr Posting mit eindringlichen Worten:

Also hören Sie auf mit dem „Ja, aber“. Es geht jetzt um was. Denken Sie doch mal nach! Nicht die Flüchtlinge gefährden unsere Zukunft. Sondern Sie, die Sie mir diese ehrabschneidenden Nachrichten schicken. (Quelle: Facebook)

Es geht um etwas. Mehr noch: Jetzt geht es um alles. In diesen Tagen entscheidet sich nicht nur in Heidenau der Weg einer Gesellschaft, die sich einst als zivilisiert wähnte. Die Triebe, die dort fröhlich Urständ feiern, zeigen aber, wie sehr sich der Mensch selbst seinen archaischen Befindlichkeiten ausgeliefert sieht. Gott – Mensch – Gemeinschaft – wir Christen haben einen Auftrag, diese Trias immer neu bewusst zu machen. Dann wird deutlich werden, dass der Weg immer nur über den Mitmenschen, den Nächsten gehen kann. Denn er ist es, in dessen Antlitz Gott begegnet – eine Begegnung, aus der Gemeinschaft entsteht. Und der Nächste ist nicht irgendwer. Der Nächste ist der, der am Weg steht: Als Ehepartner, Nachbar oder als Flüchtling, der meinen Weg kreuzt. Wer hier angsterfüllt zeternd um seine Rechte bangt, hat sich seine Würde längst selbst genommen. Fehlender Anstand und mangelnde Aufrichtigkeit offenbaren letztlich den Verlust des Rückrates. Es wird Zeit, diesen Verlorenen Halt zu geben.

„Ja, aber …“ – schon wieder hört man diese Stimmen – „ja, aber, das bedeutet doch …“ – genau: Das bedeutet, das wir Christen die Stimme erheben müssen. Das fromme Gemurmel muss zu einem lauten Bekenntnis werden. Und es geschieht ja schon, hier und da. Gott sei Dank! Aber es muss noch wachsen, jenes „Doch!“, das wir Christen den „Ja und Aber“-Sagern entgegen setzen. Denn:

Hört das Wort nicht nur an, sondern handelt danach; sonst betrügt ihr euch selbst. (Jakobus 1,22)

Und wer sich selbst betrügt, der kann beten, soviel er will – er hat sich selbst schon gerichtet. Es geht um etwas! Jetzt!

Dr. Werner Kleine

Author: Dr. Werner Kleine

Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.

2 Kommentare

  1. Peter Friedrich schrieb am 29. August 2015 um 22:46 :

    Wunderbar geschrieben, Herr Dr. Kleine.
    Ich bin gerührt.

  2. Kath 2:30 schrieb am 5. September 2015 um 22:42 :

    […] der Auseinandersetzung mit den Pharisäern und Schriftgelehrten um die Frage der Reinheit, die das Thema des letzten Wortes zur Woche war, zieht er sich […]

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