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kath 2:30 Dies DominiDies Domini – 6. Sonntag der Osterzeit, Lesejahr C/strong>

Es ist wieder Umbruchzeit. Immer dann, wenn das Leben neue Fragen und Herausforderung stellt – und das Leben stellt permanent neue Fragen und Herausforderung – ist Umbruchzeit. In Europa etwa müssen neue Wege gesucht werden, damit der globale Kontinentaldrift nicht auch den alten Kontinent zerreißt. Nationalistische „Ich zuerst“-Denken konkurriert mit einer von Solidarität geprägten Haltung, die weiß, dass Friede nur dann bestehen kann, wenn ein immer neuer Ausgleich zwischen den Reichen und den Armen gelingen kann. Das „Ich“ muss dann bisweilen zurückstehen zugunsten „der Andere“; wer hat gibt dann, weil er weiß, dass er nur so den (sozialen) Frieden bekommen kann, der alleine seinen Besitzstand zu wahren imstande ist. Gegenwärtig aber regiert in vielen europäischen Nationen eine kurzsichtige Gartenzaunmentalität, die übersieht, dass Grenzen zwar notwendige, letztlich aber bloß organisatorische Vereinbarungen von Zuständigkeiten sind; die Geschichte hat hinlänglich bewiesen, dass keine Grenze von ewigem Bestand ist.

Der Umbruch der Gegenwart ist von besonderer Bedeutung, weil er nicht mehr nur periphere Aspekte betrifft. Er ist global. Die von dem amerikanischen Präsidenten angezettelten Handelskriege machen vor keiner Grenze mehr halt. Das fragil austarierte Gleichgewicht ist aus dem Lot geraten. Aber diese Art zwischenmenschlicher Beziehungen ist noch nicht einmal die größte Herausforderung der Gegenwart. Das es um vielmehr als wirtschaftspolitische Fragen geht, zeigt der für jeden klardenkenden Menschen nicht zu leugnende Klimawandel. Das Klima macht vor keiner Grenze halt. Wer jetzt nur „Ich zuerst“ denkt, hat nicht begriffen, dass es mehr denn je auf die soziale Dimension des menschlichen Existentials ankommt: Nur wenn sich die Menschheit als Ganzes diesen zu einem großen Teil selbstverursachten Herausforderungen stellt, wird sie eine gute Zukunft haben. Das ist keine Dunkelmalerei. Es ist die Herausforderung der Gegenwart. Der Umbruch besteht in der Notwendigkeit einer echten μετάνοια (gesprochen: metánoia), also eines Umdenkens, dass liebgewordene aber letztlich bloß scheinbar selbstverständliche Gewohnheiten radikal in Frage stellt.

Auch die Kirche steht in diesem Umbruch. Sie partizipiert an allem, was die Welt betrifft. Sie ist ja immer Kirche in der Welt. Sie kann sich von den Herausforderungen der Welt nicht einfach entweltlichen. Und so stellen sich die Herausforderungen der Welt in ihr noch einmal in ganz besonderer Weise: Kann es in einer Welt, die um den Weg in die Zukunft ringt, eine Kirche geben, die sich auf ewige Antworten beruft, die hinter ungestellten Fragen verhallen? Kann ein Umbruch gelingen, wenn die Türen des Denkens verschlossen werden, weil Ewiges letztlich eigentlich bloß Vergangenes bedeutet? Sind die, die die Umkehr verkünden, glaubhaft, wenn sie selbst auf einem Status quo verharren, der sie zu in unbewegter Heiligkeit Erstarrten werden lässt, die mangels lebendiger Dynamik irrelevant für eine Welt wird, die um ihre Zukunft ringt?

Es sind wahrhaftig große Umbruchzeiten. Kein Fortschritt ereignet sich ohne solche Umbrüche. Große Umbrüche bringen massiven Erschütterungen mit sich, die sich gesellschaftlich in tiefgreifenden Auseinandersetzungen entladen. Die Frage ist bloß, mit welchen Mitteln diese Auseinandersetzungen ausgetragen werden. Hat die Vernunft eine Chance, dann wird es bei allem notwendigen Einschnitt einen wenn auch tiefgehenden, aber auch gesunden Fortschritt geben, der, weil er im Spiel der Argumente errungen werden, Zeit braucht. Wem es aber nicht zu schnell geht, der tendiert freilich oft zu Mitteln, die dem „Ich zuerst“ entspringen: Der Revolutionär ist nicht am Leben der anderen interessiert, sondern bloß an seiner eigenen, autosuggestiv glorifizierten Zukunft, die verkennt, dass bisher noch jede Revolution ihre eigenen Kinder gefressen hat.

Der Umbruch, von dem die erste Lesung vom 6. Sonntag der Osterzeit im Lesejahr C erzählt, mag nicht so tiefgreifend sein, wie der, der sich den gegenwärtigen Gesellschaften stellt, denen sich nicht nur die Frage stellt, wie die Menschheit überleben kann, sondern auch, wie die Religionen zukünftig miteinander leben können, um in Frieden um die Wahrheit zu streiten. Und doch lässt sich hier im Kleinen ablesen, was auch im Großen helfen könnte. Die Ausgangsfrage, die am Anfang der Lesung geschildert wird, scheint auf den ersten Blick banal:

„In jenen Tagen kamen einige Leute von Judäa herab und lehrten die Brüder: Wenn ihr euch nicht nach dem Brauch des Mose beschneiden lasst, könnt ihr nicht gerettet werden.“ Apostelgeschichte 15,1

Bei näherer Betrachtung entpuppt sich das Problem allerdings als eines, dass die Identität der Christen betrifft. Paulus selbst bringt es im Galaterbrief zur Sprache:

„Zur Freiheit hat uns Christus befreit. Steht daher fest und lasst euch nicht wieder ein Joch der Knechtschaft auflegen! Siehe, ich, Paulus, sage euch: Wenn ihr euch beschneiden lasst, wird Christus euch nichts nützen. Ich bezeuge wiederum jedem Menschen, der sich beschneiden lässt: Er ist verpflichtet, das ganze Gesetz zu halten. Ihr, die ihr durch das Gesetz gerecht werden wollt, seid von Christus getrennt; ihr seid aus der Gnade herausgefallen. Denn wir erwarten im Geist aus dem Glauben die Hoffnung der Gerechtigkeit. Denn in Christus Jesus vermag weder die Beschneidung noch die Unbeschnittenheit etwas, sondern der Glaube, der durch die Liebe wirkt.“  Galater 5,1-6

Es geht nicht um die Frage der Beschneidung an sich. Es geht um die Frage der Heilsnotwendigkeit der Beschneidung und ihrer Folgen. Kann man vor Gott nur dann gerecht erscheinen, wenn man beschnitten ist und die Weisungen der Thora befolgt? Gerade weil Jesus Christus nach der Thora als Gottverlassener stirbt und doch von Gott in der Auferstehung vom Kreuzestod errettet wird, steht für Paulus fest, dass die Befolgung der Weisungen der Thora alleine nicht gerecht macht. Die Thora ist nicht aufgehoben. Aber sie macht nicht gerecht. Wer sich deshalb durch die Beschneidung unter die Thora stellt, hat nach Paulus den Sinn von Kreuzestod und Auferstehung Jesu, in die man durch die Taufe auf den Tod Jesu hineingenommen ist, nicht verstanden. Genau das aber ist die Auseinandersetzung zwischen Paulus und seinen Gegnern, die die frühe Kirche prägt – und zwar dergestalt, dass ein Umbruch im. Denken unausweichlich ist. Aber wie kann der angebahnt werden? Die erste Lesung vom 6. Sonntag der Osterzeit im Lesejahr C präsentiert eine Lösung:

„Nach großer Aufregung und heftigen Auseinandersetzungen zwischen ihnen und Paulus und Barnabas beschloss man, Paulus und Barnabas und einige andere von ihnen sollten wegen dieser Streitfrage zu den Aposteln und den Ältesten nach Jerusalem hinaufgehen.“ Apostelgeschichte 15,2

Im Umbruch hilft nur Kommunikation – je direkter, desto besser. Paulus hätte Briefe schreiben können – und ja: heute würde er Mails schreiben. Aber in dem anstehenden Umbruch ist die medial vermittelte Kommunikation nicht hinreichend genug. Es bedarf des direkten Kontaktes von Angesicht zu Angesicht. Wenn es aufs Ganze geht, muss man sich in die Augen sehen können. Und so trifft man sich in Jerusalem von Angesicht zu Angesicht. Kein Platz ist mehr da, um sich zu ignorieren, einander auszuweichen oder die Sache aussitzen zu wollen. Die physische Präsenz macht Entscheidungen notwendig, die einen Fortschritt ermöglichen, bei dem doch alle ihr Gesicht wahren können:

„Da beschlossen die Apostel und die Ältesten zusammen mit der ganzen Gemeinde, Männer aus ihrer Mitte auszuwählen und sie zusammen mit Paulus und Barnabas nach Antiochia zu senden, nämlich Judas, genannt Barsabbas, und Silas, führende Männer unter den Brüdern. Sie gaben ihnen folgendes Schreiben mit: Die Apostel und die Ältesten, eure Brüder, grüßen die Brüder aus dem Heidentum in Antiochia, in Syrien und Zilizien. Wir haben gehört, dass einige von uns, denen wir keinen Auftrag erteilt haben, euch mit ihren Reden beunruhigt und eure Gemüter erregt haben. Deshalb haben wir uns geeinigt und beschlossen, Männer auszuwählen und zusammen mit unseren lieben Brüdern Barnabas und Paulus zu euch zu schicken, die beide für den Namen Jesu Christi, unseres Herrn, ihr Leben eingesetzt haben. Wir haben Judas und Silas abgesandt, die euch das Gleiche auch mündlich mitteilen sollen. Denn der Heilige Geist und wir haben beschlossen, euch keine weitere Last aufzuerlegen als diese notwendigen Dinge: Götzenopferfleisch, Blut, Ersticktes und Unzucht zu meiden. Wenn ihr euch davor hütet, handelt ihr richtig. Lebt wohl!“ Apostelgeschichte 15,22-29

Die Verkündigung des Paulus, sein „gesetzesfreies“ Evangelium wird anerkannt. Der Umbruch vollzieht sich. Neben Juden- gibt es jetzt auch Heidenchristen – gleichberechtigt! Es wird noch dauern, bis sich der Umbruch ganz vollziehen wird. Umbrüche brauchen Zeit. Heute besteht die Kirche fast ausnahmslos aus Heidenchristen. Und es stehen neue Umbrüche an: Gibt es in der Kirche noch ein Bewusstsein, dass sie aus dem Judentum heraus entstanden ist? Gibt es Solidarität der Heidenchristen, die hinzugekommen sind zum auserwählten Volk der Juden? Gibt es den Willen, immer neu um die Einheit zu ringen, auch wenn die Unterschiede groß erscheinen?

Vielleicht wäre es an der Zeit, die Mächtigen der Welt zueinander zu führen und erst auseinander zu lassen, wenn sie Lösungen auf die großen Fragen der Welt haben – Lösungen, die nicht nur mit Worten bekannt und schriftlich dokumentiert werden, sondern Lösungen, die auch vollzogen werden. Den Schlüssel zum Konferenzraum sollten sie deshalb erst bekommen, wenn die Lösungen funktionieren. Und was für die Welt gilt, gilt erst recht für die Kirche. Auch hier gibt es grundlegende Fragen, bei denen es wenig hilft, wenn die einen Bischöfe in großen Sprüngen dort nach vorne hüpfen wollen, wo andere auf verschlossene Türen hinweisen. Auch sie sollte man nach Art von Konklaven einsperren, bis sie den Schlüssel für die verschlossenen Türen finden …

Dr. Werner Kleine

Author: Dr. Werner Kleine

Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.

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