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kath 2:30 Dies DominiDies Domini – 27. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr B

Idiotie wird zum prägenden Merkmal der Gegenwart. Dabei weist das Wort „Idiot“ eine bemerkenswerte Doppeldeutigkeit auf. Der griechischen Herkunft gemäß bezeichnet der ἰδιώτης (gesprochen: idiótes) nichts anderes als die Privatperson. Das Wort leitet sich von ἴδιος (gesprochen: ídios/eigen) ab. Der Idiotes kümmert sich halt um das ihm eigene, das Private. Der Idiotes lehnte es in der antiken Gesellschaft ab, öffentliche Ämter und so auch soziale Verantwortung wahrzunehmen. Er zog sich ins Private zurück. Vielleicht leitet sich gerade von hierher aber auch die andere, in der Alltagssprache vertraute Bedeutung ab: Der Idiot ist der dumm-tumbe Mensch, der nicht in der Lage ist, komplexe Zusammenhänge zu durchschauen und deshalb an der Wirklichkeit scheitert.

Der Idiot ist also im Innersten ein Soziopath. Er kreist in seiner Eitelkeit um sich selbst. Er ist der Mittelpunkt seiner Welt; einer Welt, die es nur für ihn gibt. In einer gewissen Weise verklärt er die ihm eigene Autonomie. Er ist sich selbst Gesetz. Die Welt kümmert ihn nur dann, wenn er sie für seine Zwecke gebrauchen kann. Wenn es brenzlig wird, zieht er sich ins Private zurück. Und ihm Privaten gilt Meinungsfreiheit, vor allem die Freiheit seiner eigenen Meinung. Ob und wie diese Meinung geäußert wird, ist allein seine Sache. Er ist ja die Sonne in seinem kleine System. Im Spiegelsaal seiner überschaubaren Wirklichkeit ist er allein König, ein absoluter Herrscher, den die Welt nicht wirklich interessiert.

Wie fröhlich diese Idiotie gegenwärtig Urständ feiert, wird dem offenbar, der sich in den Käfig dieser Narren begibt: die sogenannten sozialen Netzwerke. Im Rhythmus der Like-Klicks und dem dazu gehörenden Fingertanz der Kommentare bleibt der Respekt meist auf der Strecke. Die vielen, die hier ungeniert den Zustand ihrer inneren Befindlichkeiten offenlegen, vergessen offenkundig, dass die sogenannten sozialen Netzwerke vor allem eins sind: öffentlich und nicht privat. Man kann sich hier als Privatperson bewegen; alles, was man sagt, ist aber öffentlich. Facebook, Twitter und Co. sind Marktplätze, auf denen nicht geflüstert wird. Megaphonen gleich werden hier Meldungen veröffentlicht, deren Autoren für sich Meinungsfreiheit reklamieren. Meinung aber sei privat, wird dann behauptet, wenn es Kritik hagelt. Das wäre sie geblieben, wenn man sie für sich behalten hätte. Wer aber auf den virtuellen Marktplätzen parliert, handelt öffentlich. Er hat die Privatsphäre verlassen. Er mag als Privatperson handeln, sollte das aber nicht wie ein Idiot tun, den die Welt nichts angeht. Nicht umsonst hat die Menschheit Regeln des Anstandes für die öffentliche Kommunikation entwickelt. Das stellt auch der Chefredakteur der Wuppertaler Redaktion der Westdeutschen Zeitung Lothar Leuschen in einem Kommentar vom 26. September 2015 mit Blick auf die „Diskussionskultur“ etwa bei Facebook fest:

„Gedankenaustausch ist kaum noch möglich, weil spätestens im fünften Kommentar nach dem 322. ‚Like‘ bei Facebook aus Meinungen Beleidigungen werden. Das ist das Ende der Kommunikation und der Hoffnung, dass intellektueller Austausch Schlechtes besser oder Gutes noch besser macht.“

Ein Diskurs lebt vor allem vom Austausch der Argumente, nicht von der Pöbelei. Wer das missachtet, erweist sich eben als Idiot. Die Weisen aber sucht man meist umsonst. Sie haben Facebook längst verlassen, weil hier allzu viele ohne Not ihr Gesicht verlieren. Wo jeder das, was er für eine Meinung hält, unreflektiert und ungefiltert äußert, das stirbt letztlich die Kommunikation und endet der Diskurs. Die Wahrheit bleibt ungefunden, verschüttet unter einem Berg banaler Befindlichkeiten. Angesichts einer solchen Entwicklung stellt der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Reinhard Kardinal Marx am 24. September 2015 in Fulda bei der Abschlusspressekonferenz der Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz lapidar fest:

„Verbloggung führt zur Verblödung.“

Meinung – das Wort beinhaltet das Possessivpronomen „mein“. Meinung bezeichnet das, was ich mir errungen und angeeignet habe. Meinungen brauchen Argumente. Meinungen sind keine Befindlichkeiten. Meinungen haben ein Fundament. Nicht jeder Kommentar ist eine Meinung. Im Gegenteil: Wenn das argumentative Fundament fehlt, erweist sich ein Kommentar allzu schnell als idiotisch.

Wenn das offenbar wird, dann wird schnell der Rückzug ins Private angetreten. Der Idiot scheut das Licht der Wahrheit wie der Teufel das Weihwasser. Im Schutzraum des Privaten mag man machen, was man will. Die geschlossenen Türen verbergen zärtlich den Zustand der inneren Leere. Leider aber vergessen die vielen, ihre privaten Meinungen vor der Öffentlichkeit zu schützen, indem sie sie weiter auf den virtuellen Jahrmärkten der Eitelkeit feil bieten. Wer soll da noch zwischen privat und öffentlich unterscheiden?

Die moderne Grenzziehung zwischen privat und öffentlich entpuppt sich ohnehin als zeitgenössisches Borderline-Syndrom. Aalen gleich entschlüpfen selbst diejenigen dem argumentativen Zugriff, die ein öffentliches Amt bekleiden. Wenn es brenzlig wird, dann hat man halt privat gehandelt. Erweist sich jemand, der so denkt, aber nicht als korrupt? Nutzt er Wirkungen öffentlicher Ämter und der öffentlichen Wirksamkeit nicht letztlich nur für sich privat aus? Erweist sich die Trennung zwischen Privatem und Öffentlichem nicht zuletzt als äußerst künstlich? Ist die strikte Aufteilung zwischen einer privaten und öffentlichen Person, bei der die eine mit der anderen nichts zu tun hat, nicht letztlich schizoid? Es ist keine Frage, dass es eine Privatsphäre gibt, die zu schützen ist. Es stellt sich aber sehr wohl die Frage, ob die private und die öffentliche Sphäre tatsächlich unabhängig voneinander existieren können. Hinzu kommt, dass die Art der Öffentlichkeit eines Amtes immer auch auf die private Haltung eines Amtsträgers bzw. einer Amtsträgerin rückwirkt und umgekehrt. Öffentlichkeit und Privatsphäre sind weder unvermischt, noch ungetrennt.

Wie wenig neu dieses Phänomen ist, zeigen die Lesungen und das Evangelium vom 26. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres B. So berichtet die erste Lesung aus dem Buch Numeri von der göttlichen Beauftragung der Ältesten des Volkes Israel:

In jenen Tagen kam der Her in einer Wolke herab und redet mit Mose. Er nahm etwas von dem Geist, der auf ihm ruht, und legte ihn auf die siebzig Ältesten. Sobald der Geist auf ihnen ruhte, gerieten sie in prophetische Verzückung, die kein Ende nahm. (Numeri 11,25)

Die Ältesten erhalten durch die göttliche Beauftragung ein öffentliches Amt. Die prophetische Verzückung, die kein Ende nimmt, zeigt an, dass das Amt ihre ganze Person ergreift. Nur einen Vers später wird deutlich, dass selbst der Rückzug ins Private nicht vor der Verantwortung der Amtsübertragung schützt:

Zwei Männer aber waren im Lager geblieben; der eine hieß Eldad, der andere Medad. Auch über sie war der Geist gekommen. Sie standen in der Liste, waren aber nicht zum Offenbarungszelt hinausgegangen. Sie gerieten im Lager in prophetische Verzückung. (Numeri 11,26)

Das Private und das Öffentliche lassen sich nicht wirklich trennen. Die Person ist das Kontinuum, das beide Sphären miteinander verbindet. Das gilt gerade für diejenigen, deren Verantwortung von Gott her legitimiert ist. So wehrt Mose das Ansinnen ab, er möge die beiden, die sich der Öffentlichkeit durch den Rückzug in das Private entziehen wollten, hindern:

Willst du dich für mich ereifern? Wenn nur das ganze Volk des Herrn zu Propheten würde, wenn nur der Herr seinen Geist auf sie alle legte! (Numeri 11,29)

Es ist die Art der Legitimation, die hier entscheidend ist. Wer für ein öffentliches Amt durch eine demokratische Entscheidung einer entsprechenden Gruppe legitimiert ist, vertritt diese Gruppe für die Zeit, für die er gewählt wurde. Wen aber Gott selbst für ein Amt legitimiert, ist menschlicher Verfügbarkeit – auch der eigenen – enthoben. Der Ewige ergreift immer den ganzen Menschen – als Person und auf Lebenszeit. Gerade diejenigen, die mit kirchlichem Auftrag am Aufbau des Reiches Gottes mitwirken, ist deshalb die Trennung zwischen Privatsphäre und öffentlichem Auftreten eigentlich unmöglich. Wer als Bischof, Priester und Diakon, aber auch als Pastoralreferentin, Gemeindereferent oder Religionslehrer das Wort Gottes verkündet, wird immer auch an seiner Lebensführung gemessen. Wenn das Gesagte mit dem eigenen Handeln nicht übereinstimmt, erweist sich die Verkündigung im wahrsten Sinn des Wortes als idiotisch.

Wie groß die Gefahr der Idiotie gerade auch bei kirchlichen Ämtern zu finden ist, erweist sich in der Eitelkeit, die viele kirchliche Amtsträger befällt. Man sonnt sich im Stolz der Suggestion eigenen Berufenseins. Das erhebt die eigene Seele doch deutlich über die der anderen. Wer sich so im eigenen Inneren als Mitte findet, wird eifersüchtig über die Besonderheit seines eigenen Status wachen. Tatsächlich sind bereits die Jünger Jesu von dieser besonderen Form des frommen Narzissmus befallen, wie das Evangelium vom 26. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres B zu berichten weiß:

In jener Zeit sagte Johannes, einer der Zwölf, zu Jesus: Meister, wir haben gesehen, wie jemand in deinem Namen Dämonen austrieb; und wir versuchten, ihn daran zu hindern, weil er uns nicht nachfolgt. (Markus 9,38)

Das trügerische Bewusstsein exklusiver Erwählung aber wird von Jesus jäh zerstört:

Jesus erwiderte: Hindert ihn nicht! Keiner, der in meinem Namen Wunder tut, kann so leicht schlecht von mir reden. Denn wer nicht gegen uns ist, ist für uns. (Markus 9,39f)

Der Geist Gottes hält sich nicht an kirchlich verfasst Regeln. Er ist einfach widerspenstig. Er weht nicht nur, wo er will. Er ergreift auch, wen er will. Es ist deshalb nicht die äußere Form, die die Erwählung anzeigt, sondern das Handeln. Es ist vor allem nicht das öffentliche Bild, das jemand von sich zeigt, sondern seine persönliche, ureigene Haltung:

Wer euch auch nur einen Becher Wasser zu trinken gibt, weil ihr zu Christus gehört – amen, ich sage euch: er wird nicht um seinen Lohn kommen. Wer einen von diesen Kleinen, die an mich glauben, zum Bösen verführt, für den wäre es besser, wenn er mit einem Mühlstein um den Hals ins Meer geworfen würde. (Markus 9,40f)

Das sind vor allem private Haltungen, die hier – zum Guten wie zum Schlechten – beschrieben werden. Gerade im Privaten erweist sich, wes Geistes Kind jemand ist. Das Private ist relevant für die öffentliche Wirkung. Wer das Private strikt vom Öffentlichen trennt, ist im wahrsten Sinn des Wortes gerade dann ein Idiot, wenn er öffentliches Handeln als privat deklariert und so vor kritischer Hinterfragung schützen möchte. Wer so handelt, erweist sich letztlich als unfähig, wirklich Verantwortung zu übernehmen. Er fällt so vor den Augen der Öffentlichkeit sein Urteil über sich selbst, indem er seine Unfähigkeit zur Übernahme echter Verantwortung erweist.

Was vor den Augen der Welt gilt, gilt umso mehr für die Kirche. Es gilt vor allem für diejenigen, die für sich in Anspruch nehmen, in der Kirche mit öffentlichem, vielleicht sogar göttlichem Auftrag zu handeln. Das vermeintlich Private wird zum Lakmustest des eigenen Anspruchs. Schon die alten Griechen wussten: Ein Idiot ist, wer das nicht begreift.

Dr. Werner Kleine

Author: Dr. Werner Kleine

Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.

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