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kath 2:30 Dies DominiDies Domini – 20. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr B

In jedem Anfang keimt die Krise. Die Weisheit des Alltags, die das Volk von Mund zu Ohr und von Ohr zu Mund trägt, weiß längst, dass nichts schwerer zu ertragen ist, als eine Reihe von guten Tagen. Übermäßiges Glück verursacht mentales Karies. Löchrig wird die Leidenschaft, satt und träge das Gemüt. Manch einer bleibt an der süßen Leichtigkeit des Hochgefühls kleben wie an einem Fliegenfänger und verliert selig lächelnd seine Freiheit. Wer die Krise scheut, wird nicht am Leben reifen.

Es gibt viele Glücksritter, die auf dem selbstgemachten Ponyhof des Lebens herumtraben. Die Illusion des eigenen kleinen Glücks kann mit Mühe aufrecht gehalten werden, solange es keine Störungen von außen gibt. Der eigene Schrebergarten wird dann zum Schloss, zur festen Burg, deren Idylle sich hinter hohen Hecken verschanzt. Im zweiten Leben der virtuellen Welten repräsentiert der Avatar eine glücksverheißende Identität, die nicht durch die Unbilden des wahren Lebens gefährdet wird. Wo das erste Leben die Existenz durch schüttelt, gewährt der Nickname wohlige Sicherheit vor dem wahren Ich. Vor der Globalisierung, die den einzelnen Menschen allein schon ob ihrer Unüberschaubarkeit ängstigt, flüchtet sich das Individuum in die Lokalisierung der eigenen kleinen Lebenswelten, die gehegt und gepflegt werden. Nichts soll ihn dort ängstigen, nichts ihn erschrecken. Und wenn dann die kleinen und großen Krisen des Lebens kommen, dann erschrickt der Mensch, weil sein Märchen endet. Manch einer sucht sich dann ein neues Glück. Er möchte halt Schmetterlinge und keine Raupen. Aber die Schmetterlinge fliegen immer nur kurz; und eigentlich auch nur, um neue Raupen zu zeugen.

Die Krise keimt im Anfang. Es ist die Krise, die Entscheidung bringt, den Fortschritt, die Reifung. Die Krise bewahrt vor der Gefahr des dekadenten Selbstzerfalls. Erst aus der Krise heraus wird Glück als Glück überhaupt erfahrbar. Und die Sehnsucht nach Glück und Heil wird erst durch die Krise geweckt. Das deutsche Wort „Leidenschaft“ beschreibt genau diese Spannung. Wer sehnt sich nicht nach der Leidenschaft, in der auf dem Höhepunkt des Glücks die Ewigkeit erahnt wird. Und doch ist das Leiden im Wort selbst prägend.

Wenn die Leidenschaft, die Passion des Lebens aus dem Blick gerät, wird das Gesichtsfeld eng. Der Fokus wird beschränkt auf das Dunkle und Bedrohende, das Leiden an sich und die Depression. Der Mensch neigt zu dieser Selbstüberschätzung. Aus seiner Perspektive ist er ja immer Mittelpunkt der Welt. Wer das schon für die ganze Wahrheit hält, wird der Kränkung, dass es auch andere Mittelpunkte gibt, kaum entrinnen. In dieser egomanen Kränkung scheint dann sogar die Sonne zu hell. Das Licht der Erkenntnis macht die eigene Kleinheit nur offenkundiger. Der Glücksritter wird gewahr, dass er statt auf einem edlen Schlachtross nur auf einem Zirkuspony sitzt. Böse ist diese Erkenntnis. So böse wie die Welt, in der sich der kleine Ritter wiederfindet. Kaum eine Zeit, die die Menschen nicht in dieser Weise als bedrohlich und böse empfunden haben. Denn meist verliert die Nächstenliebe den im Innern des Menschen tobenden Kampf gegen den Selbsterhaltungstrieb. Die Sonne soll doch nur für ihn scheinen und nicht für den anderen. Die Zeiten sind selten gut, meistens eher schlecht – so wie im Fernsehen, wenn in einer RTL-Soap, die seit über 20 Jahren wie so viele RTL-Produkte kaum einer sieht, die wenigen guten Zeiten immer wieder neue schlechte hervorbringen, weil nur so der Zuschauer gebunden wird. Der Mensch sehnt sich nach Glück, aber er liebt auch das Scheitern – zumindest das Scheitern der anderen.

Denn diese Tage sind böse. (Epheser 5,16)

Dieser Satz findet sich in der zweiten Lesung vom 20. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres B. Das Empfinden, die Zeiten schlechter Zeiten, ist eben nicht neu. Haben Menschen ihre Zeiten jemals als rundum gut erfahren. War früher nicht immer alles besser, damals, als die Zeit zu ihrer Zeit schlecht war und man sich nach dem Glück vergangener Zeiten sehnte?

Der Autor des Epheserbriefes ist aber weit davon entfernt, sich der immer wieder neu aktualisierenden Gegenwartsdepression hinzugeben. Er begreift die eigentlich immer als bedrohlich empfundene Gegenwart als Aufgabe. Die Einheitsübersetzung, die den liturgischen Lesungen zugrunde liegt, übersetzt nur schwach:

Achtet also sorgfältig darauf, wie ihr euer Leben führt, nicht töricht, sondern klug. Nutzt die Zeit; denn diese Tage sind böse. (Epheser 5,15f)

Wörtlich übersetzt lautet der griechische Urtext:

Seht daher sorgfältig, auf welche Weise ihr Weise ihr umhergeht, nicht wie Unweise, sondern wie Weise, indem ihr die Zeit zufrieden stellt, weil (ὃτι – gesprochen: hóti) die Tage böse sind. (Epheser 5,15f – Übersetzung des Autors)

Es ist die empfundene Boshaftigkeit der Tage, die Anlass für die genaue Beachtung des eigenen Verhalten sind. Unmittelbar vorher hatte der Autor des Epheserbriefes ausgeführt:

Einst wart ihr Finsternis, jetzt aber seid ihr durch den Herrn Licht geworden. Lebt als Kinder des Lichts! Das Licht bringt lauter Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit hervor. Prüft, was dem Herrn gefällt, und habt nichts gemein mit den Werken der Finsternis, die keine Frucht bringen, sondern deckt sie auf! Denn man muss sich schämen, von dem, was sie heimlich tun, auch nur zu reden. Alles, was aufgedeckt ist, wird vom Licht erleuchtet. Alles Erleuchtete aber ist Licht. Deshalb heißt es: Wach auf, du Schläfer, und steh auf von den Toten und Christus wird dein Licht sein. (Epheser 5,8-14)

Die, die Kinder des Lichtes geworden sind, weil sie die Botschaft von Kreuzestod und Auferstehung als wahr erkennen (vgl. Epheser 5,1f), scheuen das Licht er Erkenntnis nicht. Sie erkennen sich in diesem Licht als die, die sie sind. Sie brauchen die süßlichen Rüstungen der Glücksritter nicht mehr. Gerade weil sie erleuchtet sind, wissen sie um die Mechanismen und Scheinhaftigkeiten der Welt. Sie suchen nicht mehr den sedierenden Schlaf, in dem man eine Welt erträumt, die es nicht. Sie benötigen auch nicht die Anästhetika vordergründig ästhetisierender Schönheiten, die sich dann aber doch nur als sirenische Fassaden entpuppen, hinter denen das Verderben haust. Wer durch die Erkenntnis des Glaubens wirkliches Wissen erworben hat, kann ist jeder Betäubung bar:

Berauscht euch nicht mit Wein – das macht zügellos -, sondern lasst euch vom Geist erfüllen! (Epheser 5,18)

Mit welcher Droge wollte man dieses Bewusstsein um die Wahrheit noch erweitern?

Erkenntnis ist aber keine bloße Eigenschaft des Verstandes. Erkenntnis drängt zur Tat. Gerade deshalb mahnt der Autor, das Erkannte auch im Leben zu realisieren. Im Evangelium vom 20. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres B wird es heißen:

Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Wer von diesem Brot isst, wird in Ewigkeit leben. Das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch, ich gebe es hin für das Leben der Welt. (Johannes 6,51)

Fleisch – griechisch σάρξ (gesprochen: sárx) – das beugt jeder hypergeistlichen Spiritualisierung vor. Das ist zu konkret, um symbolisch missverstanden zu werden. Man kann sich noch nicht einmal auf das einmalige Beispiel Jesu herausreden, heißt es doch:

Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir, und ich bleibe in ihm. Wie mich der lebendige Vater gesandt hat und wie ich durch den Vater lebe, so wird jeder, der mich isst, durch mich leben.  (Johannes 6,56f)

Die Nachfolge Jesu kann nicht nur mit den Lippen geschehen, auch nicht nur im frommen Bekenntnis. Wer Jesus in sich aufnimmt, wird in das Leben geschickt. Er wird zum Tempel Gottes. In seinem Lebenswandel selbst soll Gott aufscheinen – konkret, handelnd, mit Wort und Tat. Deshalb mahnt der Autor des Epheserbriefes:

Seht daher sorgfältig, auf welche Weise ihr Weise ihr umhergeht, nicht wie Unweise, sondern wie Weise. (Epheser 5,15 – Übersetzung vom Autor)

Der Lebenswandel selbst, die Art, wie die Glaubenden im Alltag umhergehen und die Zeit gestalten, wird zum Glaubensbekenntnis. Hier ereignet sich der Wille Gottes. Die Glaubenden wissen, dass die göttliche Tat in Kreuzestod und Auferstehung bereits geschehen ist. Wer immer den göttlichen Willen heraufbeschwört, wird nun vor sich selbst geführt. Wer das Brot des Auferstandenen isst, ist nun selbst gefordert, seinem Willen in Welt und Zeit Gestalt zu geben. Und die Zeiten sind böse … nein, nicht einfach böse – sie sind herausfordernd. Sie stellen die Glaubenden vor eine Aufgabe. Die Zeiten werden immer neu zum Auftrag, den Willen Gottes Wirklichkeit werden zu lassen.

Aber ist das nicht eine Überforderung. Kann der Mensch da überhaupt bestehen. Kann der Glaube da glücklich machen?

Wer danach strebt, vergisst, dass Jesus weder auf einem Pferd noch einem Pony, sondern auf einem Esel geritten ist. Glück ist keine Kategorie des Glaubens. Es ist noch nicht einmal eine Verheißung. Es zu erleben, ist trotzdem wunderbar. Der Glaubende hingegen nimmt nüchtern die Zeiten wahr, wie sie sind. Es ist die Wahrheit, die ihn dazu drängt. Nicht das, was sein könnte, prägt den Glauben, sondern das, was ist, und der, der ist. Den, der ist, in der Zeit zu erkennen und ihn u verkünden, ist die Aufgabe des Glaubenden. Seine Gegenwart selbst in bösen Zeiten offen zu legen, ist der Auftrag:

Lasst in eurer Mitte Psalmen, Hymnen und Lieder erklingen, wie der Geist sie eingibt. Singt und jubelt aus vollem Herzen zum Lob des Herrn! Sagt Gott, dem Vater, jederzeit Dank für alles im Namen Jesu Christi, unseres Herrn! (Epheser 5,20)

Gott, dem Vater, jederzeit (griechisch: πάντοτε – gesprochen: pántote) Dank zu sagen (griechisch: εὐχαριστοῦντες – gesprochen: eucharistûntes) ist die Aufgabe. Es ist klar, dass das nicht nur in der liturgischen Eucharistie, der großen Danksagung, gehen kann. Die Danksagung soll ja umfänglich – jederzeit – sein. Es ist auch klar, dass das nicht in permanent gefalteten Händen und gebeugten Knien zu vollziehen ist. Jederzeit – das meint das ganze Leben. Das Umhergehen in dieser Welt in sich soll zum Gebet werden, der Lebenswandel der Glaubenden wird zur Botschaft – einer Botschaft, die – wie Papst Paul VI es 1975 in seiner Enzyklika Evangelii nuntiandi (EN)  formuliert – als gelebtes Zeugnis ohne Wort (EN 21) das Fragen der Menschen wecken soll:

Warum sind jene so? Warum leben sie auf diese Weise? Was – oder wer – ist es, das sie beseelt? Warum sind sie mit uns? In der Tat, ein solches Zeugnis ist bereits stille, aber sehr kraftvolle und wirksame Verkündigung der Frohbotschaft. (EN 21)

Erst, wenn diese Fragen gestellt sind, kann eine ausdrückliche Verkündigung erfolgen, eine Verkündigung, die sich dann aber auch als Notwendigkeit erweist (vgl. EN 22).

Der Glaube besteht nicht nur aus lernbaren Sätzen. Der Glaube drängt ins Leben. Glaube braucht Gestalt. Manche mögen viel wissen; Weise werden sie erst, wenn sie der Wahrheit Gestalt geben.

In jedem Anfang keimt die Krise – und dem Sonntag folgt der Alltag. Die Schönheit der Liturgie wird hier im Alltag ihre Wahrheit und Bewährung finden – durch jede und jeden in der eigenen Weise. Geht! Ihr seid gesendet! Alle!

Dr. Werner Kleine

Author: Dr. Werner Kleine

Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.

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