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kath 2:30 Dies DominiDies Domini – Palmsonntag, Lesejahr B

Plärrend laut ist das Gekreisch der Ereignisdeuter in diesen Tagen. Man kann sich der Kakophonie selbsternannter Experten kaum entziehen. Man weiß auch Tage nach der Katastrophe des Absturzes einer Germanwings-Maschine in den französischen Alpen nur wenig. 150 Menschen sind ums Leben gekommen. Der Pilot hat kurz das Cockpit verlassen und konnte nicht zurückkehren, weil die Tür verschlossen blieb. Viele der Toten kommen aus Deutschland, 18 Verstorbene werden alleine in der kleinen westfälischen Stadt Haltern betrauert – eine halbe Schulklasse wurde hier aus dem Leben gerissen. Auch nach zahlreichen ARD-Brennpunkten und ZDF-Spezialsendungen, Interviews mit sogenannten Experten in Radio und Presse weiß man immer noch nicht mehr. Und doch schwillt das Stimmengewirr immer wieder an. Jede noch so kleine Mitteilung wird – ungeachtet ihres Wahrheitsgehaltes – zum Anlass für neue Spekulationen. Es scheint fast so, als seien manche Nachrichtenmacher von heute mehr Spekulanten als Informanten. Emotion scheint vor Information zu gehen. Betroffenheit sells! Und um die Wahrheit ist es geschehen.

„Was ist Wahrheit?“ (Johannes 18,38)

Mit dieser Frage reagiert Pontius Pilatus im Verhör auf Jesus, der auf die Frage, ob er also doch ein König sei, antwortet:

„Du sagst es, ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit Zeugnis ablege. Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme.“ (Johannes 18,37)

Diese Worte aus dem Pilatusprozess der Johannespassion wird in der karfreitäglichen Liturgie vom Leiden und Sterben Jesu der katholischen Kirche vergegenwärtigt. Die Suche nach der Wahrheit ist nicht nur im Johannesevangelium ein zentrales Thema. Die Sehnsucht nach der Wahrheit ist Auftrag jedes Christen. Mehr noch: Christen sind der Wahrheit geradezu verpflichtet, in Jesus selbst die Wahrheit ist:

„Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“ (Johannes 14,6)

Wer so der Wahrheit verpflichtet ist und wer deshalb von der Wahrheit Zeugnis ablegen muss, kann nicht spekulieren; er darf nicht spekulieren. Ja, er muss sich den Spekulanten entgegenstellen. Spekulationen klären nicht auf. Sie blasen sich höchstens auf, bis die Blase platzt und eine Leere hinterlässt, die neue Opfer gebiert.

Das meiste, was in diesen Tagen an Informationen über den Äther, durch die Druckerpressen, vor allem aber durch die binäre Welt des Internets gejagt wurde, ist spekulativ. Bis zur Besinnungslosigkeit werden da Berichte und Videos geteilt.

„Betroffenheitsgeschwafel, bis zum Erbrechen – und schlimmer: bis zur Bedeutungslosigkeit“,

so beschreibt die Wuppertaler Journalistin Nicole Bolz ihre Eindrücke in einem Facebook-Posting angesichts des virtuellen Nachrichtenlärms. Und weiter:

„Wir alle haben uns doch in Wahrheit längst weg bewegt von der eigentliche Katastrophe. Von denen, die sie wirklich betrifft. Wir rütteln die Trauernden, um Antworten zu bekommen auf Fragen, die uns irgendwann alle angehen, aber auf die es nun mal manchmal keine Antworten gibt.“

Wo es keine Antworten gibt, ist für die, die die Wahrheit suchen, Schweigen und Warten angesagt. Das Weißrauschen des Schweigens aber kennen nur noch diejenigen, die noch das Testbild im Fernsehen kennen. Es gab früher eine Zeit, da gab es kein Programm, keine Nachrichten, keinen Zwang, die Zeit mit Unsinn zu füllen. Der Mensch war auf sich geworfen. Er musste schlafen gehen, oder einfach ertragen, dass nichts mehr im Fernsehen kam. Jetzt aber ist das Weißrauschen dem Getöse des Nachrichtenstroms gewichen, der in einer selbstredundanten Rückkopplung anschwillt und sich zu einem monströsen sozialen Tinnitus auswächst, dessen nervtötendes Fiepen taub für die Wahrheit werden lässt. So mancher, der hier Zurückhaltung anmahnt, wird zurückgepfiffen wie etwa in der ZDF-Drehscheibe vom 27. März 2015. Moderator Dr. Norbert Lehmann fragte seinen Gesprächspartner Tim van Beveren:

„Ist der Risiko-Faktor ‚Mensch‘ einfach nicht in den Griff zu kriegen?“

Als dieser zuerst korrigierend darauf hinweist, dass zur Zeit nur ungesicherte Aussagen vorliegen, die eigentlich keine konkreten Schlüsse zuließen, unterbricht der Moderator ihn und fordert eine Antwort auf seine ursprüngliche Frage. Wahrheitssuche sieht anders aus …

Betroffenheit wird zum Prinzip, die Empathie hingegen unterliegt. Erst wenn alles von allen gesagt wurde, kann sich die Welt einer neuen Sensation zu wenden. Schweigen liegt dann noch lange nicht über den Auen der digitalen Landschaften. Das bemerkt auch der Journalist Sebastian Dalkowski in seinem selbstkritischen Beitrag „Warum 99 Prozent der Berichterstattung über den Germanwings-Absturz jetzt überflüssig sind“:

„Selbst wenn Menschen nach mehr Informationen verlangen: Wir als Journalisten müssen sie ihnen nicht geben, wenn die Informationen nicht relevant sind. Unsere Pflicht ist zu berichten, aber nur das, was wichtig für alle ist.
Es ist aber für uns nicht wichtig zu wissen, woher die Toten kommen. Wichtig ist bloß, dass die Angehörigen in Ruhe trauern können und alleine entscheiden, wann sie wem etwas erzählen.
Ich werde wohl noch lange warten müssen. Auf den Tag, an dem sich nicht nur Piloten weigern zu fliegen, sondern auch Medien weigern zu berichten.“ (Quelle: www.poligold.de)

Die sogenannten sozialen Medien sind Symptom einer Gesellschaft, die an Logorrhoe leidet – einem digitalen Virus, gegen den es kein Mittel gibt. Reden um des Redens willen. Das Weißrauschen der Vergangenheit ist unerträglich geworden. Die innere Stimme muss übertönt werden vom Geräusch der Emotion. O Mensch, du hast dir die Gelegenheit des Schweigens aus Unkenntnis genommen. Gehäufte Dummheit aber wird auch im Schwarm nicht intelligent!

Die fehlenden Filter der modernen medialen Möglichkeiten verhindern eine Einordnung und Analyse der Geschehnisse. Sie verhindern die Suche nach einem Verstehen, der Prüfung und Reflexion, die voraussetzen würde, dass man einen Schritt zur Seite tritt und wartet, bis Erkenntnis eintritt. Auf der Strecke bleibt die Wahrheit, weil der Schein das Sein verdrängt. Und so verteilen mittlerweile die Vielen auf dem nicht nur digitalen Marktplatz lautstark ihre Meinungen wie die Federn gerupfter Hühner, die der Wind in alle Richtungen trägt. Man hätte ein Ruhekissen mit ihnen füllen können, aber sie sind verloren für alle Zeit. Niemand kann sie zurückholen.

Die zwischenmenschliche Kommunikation ist aus den Fugen geraten. Sie ist nicht mehr in Form. Spekulationen sind eben keine Informationen. Es sind Stil und Form, die den Inhalt kennzeichnen. Auch die Wahrheit braucht eine Inszenierung, will sie nicht formlos sein. Der, von dem Christen glauben, er sei der Weg, die Wahrheit und das Leben, setzt den an ihn herangetragenen Ansprüchen eine starke Inszenierung entgegen. Viele sahen in ihm den Messias, einen Befreier Israels, einen neuen König der Juden. Er aber geht hin, und reitet auf einem Esel in Jerusalem ein und setzt damit ein Zeichen gegen diese Ansprüche. Er setzt in Szene, was der Prophet Sacharja über den Messias sagt:

Aber du, Tochter Zion, freue dich sehr, und du, Tochter Jerusalem, jauchze! Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer, arm, und reitet auf einem Esel und auf einem jungen Füllen der Eselin. (Sacharja 9,9 – übersetzt nach der Lutherbibel 1912)

Selbst der Esel gehört ihm nicht. Er ist geliehen, wie es im Text des Markusevangeliums heißt, der am Palmsonntag im Lesejahr B verkündet wird:

Er sagte zu ihnen: Geht in das Dorf, das vor uns liegt; gleich wenn ihr hineinkommt, werdet ihr einen jungen Esel angebunden finden, auf dem noch nie ein Mensch gesessen hat. Bindet ihn los, und bringt ihn her! Und wenn jemand zu euch sagt: Was tut ihr da?, dann antwortet: Der Herr braucht ihn; er lässt ihn bald wieder zurückbringen. (Markus 11,2f)

Die Wahrheit reitet auf einem geliehenen Esel. Wer von der Wahrheit Zeugnis ablegt, weiß, dass er ihn wieder zurückbringen muss. Daran erkennt man die, die die Wahrheit zu sagen suchen: Sie reden reversibel. Sie reden so, dass das, was sie sagen, bleiben kann ohne schon wenige Stunden später unwahr zu werden. Es ist mit der Wahrheit eben wie mit einem geliehenen Esel: Man muss dem Besitzer Rechenschaft über ihren Verbleib ablegen. Wo ist die Wahrheit geblieben in diesen Tagen? Was ist Wahrheit?

Dr. Werner Kleine

Author: Dr. Werner Kleine

Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.

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