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kath 2:30 Dies DominiDie Tage sind kurz geworden. Der Herbst führt dem Menschen seine Zeitgebundenheit vor Augen. Dem Aufbrechen des Lebens im Frühjahr folgen die Sommermonate, in denen dieses Leben pulsiert. Nach den Ferien, Festen und Feiern an Tagen, an denen es lange hell ist, fällt die immer früher hereinbrechende Dunkelheit umso stärker auf. Die welkenden Blätter und kahler werdenden Bäume sind Teil des jährlichen Kreislaufes. Sie sind aber eben auch Zeichen einer Vergänglichkeit, der der Mensch nicht fliehen kann. Im Kreislauf des Lebens vollzieht sich ein unaufhaltsam lineares Älterwerden. Sicher: Im nächsten Jahr wird ein neuer Frühling sein. Die Früchte dieses Jahres aber sind vergangen. So ist es auch mit den Menschen: Ausgespannt zwischen Geburt und Tod pulsiert der Hauch des Lebens. Vorher und nachher aber hat er keine Zeit mehr. Was glauben Sie denn?

Das Leben pulsiert immer schneller – und damit auch die Zeitalter, die der Mensch prägt. Vor drei Millionen Jahren begannen die ersten unserer Vorfahren mit Steinwerkzeugen zu hantieren, vor 300.000 Jahren lernte der Mensch das Feuer zu beherrschen. Vor 30.000 Jahren entwickelte sich die Fähigkeit, mithilfe von Sprache Informationen auszutauschen. Vor 3.000 Jahren begannen Menschen mit der Landwirtschaft die Oberfläche des Planeten Erde zu verändern. Vor 300 Jahren erfand er Maschinen, mit denen er die Kräfte der Natur zu kontrollieren begann. Vor gut 30 Jahren schließlich begann mit der Digitalität das Zeitalter künstlicher Welten. Es ist der Beginn jener virtuellen Ära, in der sich der Mensch zunehmend von der Natur trennt – und das mit fatalen Folgen, denn der Mensch ist dem Wesen nach Teil der Natur. Er kann sie kulturieren. Er kann Wüsten fruchtbar machen, Meere bezwingen, die Elektronen und Protonen in von ihm gewollte Richtungen lenken. All das kann er – aber immer nur um den Preis des Ringens. Letztlich bleibt und ist er Teil der Natur.

Trotzdem wechseln die Zeitalter immer schneller. Was wird in drei Jahren oder sogar drei Monaten sein? Wir der Mensch noch Atem finden in rasanten Wechsel der Zeiten? Er selbst überblickt nur eine kleine Spanne. Vielleicht reicht seine passive Erinnerung noch über seine eigene Lebenszeit hinaus in die Zeit der Großeltern, die in lebendigen Erzählungen die eigenen Erfahrungen weitergeben konnten. So ist er eingebunden in die Tradition der Ahnen. Er selbst aber ist als Teil der menschlichen Erzählgemeinschaft aufgefordert, sein Wissen und seine Erfahrungen an die Nachfahren, die Kinder und Kindeskinder weiterzugeben. Für den Psalmisten ist es ein besonderer Segen, wenn er singt:

„Es segne dich der HERR vom Zion her. Du sollst schauen das Glück Jerusalems alle Tage deines Lebens. Du sollst schauen die Kinder deiner Kinder. Friede über Israel!“ (Psalm 128,5f)

Der eigene Zeithorizont mag begrenzt sein, die eigene Zeit weist doch immer über sich selbst hinaus. Werden wir so leben, dass unsere Kinder und die Kinder unserer Kinder noch Zeit haben werden? Die Antwort auf dies Frage wird angesichts der immer schneller aufeinander folgenden Zeitalter immer drängender. Vielleicht sollten wie in der Schweiz Zukunftsräte installieren, Anwältinnen und Anwälte der Zeit, die uns helfen, den eigenen Zeitkäfig aufzubrechen. Sie könnten helfen, die Folgen heutiger Entscheidungen zu reflektieren, neue Techniken zu hinterfragen und die Konsequenzen für die Zukunft zu bedenken. Schließlich geht es nicht nur Freitags um die Zukunft, sondern jeden Tag! In Wuppertal, der Stadt des Circular Valley, wäre das doch über alle technischen Innovationen hinaus eine wichtige Aufgabe; sonst kommt die Seele des Menschen dem rasanten Fortschritt nicht hinterher. Die Zeit, die jetzt zum Nachdenken investiert wird, wird sich in den Tiefen einer Zeit auszahlen, die unseren eigenen Lebenshorizont überschreitet. Genau darin aber werden wir, was wir sind: Menschen.

Dr. Werner Kleine

Erstveröffentlicht in der Westdeutschen Zeitung vom 8. Oktober 2021.

Author: Dr. Werner Kleine

Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.

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