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kath 2:30 Dies DominiDies Domini – 8. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr A

Tief im Menschen ruht eine abgründige Sehnsucht nach dem paradiesischen Zustand der Verantwortungslosigkeit. Es ist jener Zustand des Kindseins, in dem man – ohne es verdient zu haben – sich an der Brust der Mutter bergend satt saugen konnte und die Väter stark und schützend alle Problem aus der Welt räumten. So sieht jedenfalls das ideal-, wenn nicht gar archetypische Urbild des Paradieses einer Kindheit jenseits aller gegenderter Rollenkonfusionen und –neufindungen der Gegenwart aus. Die Kindheit ist ein Paradies – und wehe dem, der den Kindern dieses Paradies zum Fluch werden lässt!

Das Kind hat ein Recht auf dieses Paradies, das es eines Tages verlassen muss. Dem paradiesischen Zustand des Kindseins ist nämlich die Bestimmung zu Unmündigkeit beigesellt. Das Kind ist für nichts verantwortlich und kann für nichts verantwortlich gemacht werden. Erst mit der zunehmenden Individuation wird es sich seiner selbst bewusst und lernt, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden. Aber erst in dem Moment, in dem es nicht – wie es Jugendliche so oft sind – bloß zu allem fähig, aber für nichts verantwortlich ist, sondern selbst Verantwortung für sich und sein Handeln übernimmt, verliert es die Unschuld der Unmündigkeit. Erwachsen geworden hat der Mensch damit aber auch sein Paradies verlassen und ist in eine Welt gegangen, die er nun mit seinen gottgegebenen Gaben Verstand und Vernunft und Tatkraft gestalten kann. Er muss nun für sich selbst sorgen – im Schweiße seines Angesichtes und in der Mühsal der Körperlichkeit. Ausgerüstet zum Leben ist da niemand mehr, der ihm unverdientermaßen Nahrung gibt. Er muss sie sich erarbeiten. Zugerüstet zum selbstständigen Sein ist da niemand mehr, der einem die Entscheidungen abnimmt. Er muss nun selbst zwischen Gut und Böse wählen und seine Wege finden. Die Suppen, die er sich einbrockt, muss er nun ebenso selbst auslöffeln, wie er sich den Problemen, die das Leben im Großen wie im Kleinen bereithält, stellen muss. 

Es ist kein Wunder, dass sich die tief eingegrabene Erinnerung an das Paradies der Kindheit immer dann meldet, wenn des Lebens Wege holprig und steinig werden. Wo früher die guten Eltern Göttern gleich in jeder Situation Heil verhießen, ersehnt der der Kindheit Entwachsene das Heil nun von höchster Instanz, so wie das Volk Israel angesichts der Umstände fern der Heimat im babylonischen Exil in der ersten Lesung vom 8. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres A klagt:

Zion sagt: Der Herr hat mich verlassen, Gott hat mich vergessen. (Jesaja 49,14)

Da nützt es auch nichts, dass der Prophet unmittelbar vorher die wunderbare Heimkehr verheißt:

Auf allen Bergen werden sie weiden, auf allen kahlen Hügeln finden sie Nahrung. Sie leiden weder Hunger noch Durst, Hitze und Sonnenglut schaden ihnen nicht. Denn er leitet sie voll Erbarmen und führt sie zu sprudelnden Quellen. Alle Berge mache ich zu Wegen und meine Straßen werden gebahnt sein. Seht her: Sie kommen von fern, die einen von Norden und Westen, andere aus dem Land der Siniter. Jubelt, ihr Himmel, jauchze, o Erde, freut euch, ihr Berge! Denn der Herr hat sein Volk getröstet und sich seiner Armen erbarmt. (Jesaja 49,9d-13)

Die schönste Verheißung hilft nichts, wenn der Mut zur Umsetzung fehlt. Der Prophet scheint das zu ahnen, als er sich daran macht das Heil Israels allen Völkern zu verkünden:

Hört auf mich, ihr Inseln, merkt auf, ihr Völker in der Ferne! Der Herr hat mich schon im Mutterleib berufen; als ich noch im Schoß meiner Mutter war, hat er meinen Namen genannt. Er machte meinen Mund zu einem scharfen Schwert, er verbarg mich im Schatten seiner Hand. Er machte mich zum spitzen Pfeil und steckte mich in seinen Köcher. Er sagte zu mir: Du bist mein Knecht, Israel, an dem ich meine Herrlichkeit zeigen will. Ich aber sagte: Vergeblich habe ich mich bemüht, habe meine Kraft umsonst und nutzlos vertan. (Jesaja 49,1-4)

Er weiß, dass er als Prophet den Willen Gottes ausführen muss. Sein Reden und Handeln als Prophet ist unbequem. Es ist deshalb unbequem, weil er das Volk zu eigenem Tun und Handeln treiben muss – im Auftrag Gottes. Gott handelt eben nicht einfach so für das Volk. Gott handelt immer nur mit seinem Volk. Es ist die Mündigkeit des Menschen und des Volkes, die Gott will und achtet. Deshalb kann er nicht einfach die großen und kleinen Probleme der Seinen lösen; es würde die Menschen entmündigen.

Der Prophet aber scheint zu ahnen, dass all sein Reden und Handeln vergeblich sein wird. Das Volk ist zu kindlich, zu unreif, zu träge um frei zu sein. Man redet zwar von Freiheit, will sie aber nicht erringen. Man sehnt sich nach ihr, erschrickt aber angesichts der Folgen, die die Freiheit hat. Wer frei und mündig ist, muss auch Verantwortung übernehmen. Niemand ist da, auf den man Schuld und Verantwortung abwälzen könnte.

Deshalb erinnert der Prophet das Volk und die Völker an den Plan Gottes:

Mein Recht liegt beim Herrn und mein Lohn bei meinem Gott. Jetzt aber hat der Herr gesprochen, der mich schon im Mutterleib zu seinem Knecht gemacht hat, damit ich Jakob zu ihm heimführe und Israel bei ihm versammle. So wurde ich in den Augen des Herrn geehrt und mein Gott war meine Stärke. Und er sagte: Es ist zu wenig, dass du mein Knecht bist, nur um die Stämme Jakobs wieder aufzurichten und die Verschonten Israels heimzuführen. Ich mache dich zum Licht für die Völker; damit mein Heil bis an das Ende der Erde reicht. (Jesaja 49,4-6)

Geheilt zu werden bedeutet immer auch beauftragt zu sein. Die Rettung Israels geht mit dem Auftrag einher, Licht für die Völker zu sein. Das ist die Verantwortung des Volkes Gottes, der es sich nicht entziehen kann. Heil hat man nicht für sich. Heil muss errungen werden, damit der Name Gottes in der Welt aufleuchtet. Und so werden die dunklen Erfahrungen des Lebens zu Lernorten, an denen das Volk Gottes sich seiner selbst bewusst werden soll. Das geht aber nur, indem Gott nicht für, sondern mit seinem Volk handelt, es gewissermaßen anleitet, den Weg in ein selbstverantwortetes Leben selbst zu gehen:

So spricht der Herr, der Befreier Israels, sein Heiliger, zu dem tief verachteten Mann, dem Abscheu der Leute, dem Knecht der Tyrannen: Könige werden es sehen und sich erheben, Fürsten werfen sich nieder, um des Herrn willen, der treu ist, um des Heiligen Israels willen, der dich erwählt hat. So spricht der Herr: Zur Zeit der Gnade will ich dich erhören, am Tag der Rettung dir helfen. Ich habe dich geschaffen und dazu bestimmt, der Bund zu sein für das Volk, aufzuhelfen dem Land und das verödete Erbe neu zu verteilen, den Gefangenen zu sagen: Kommt heraus!, und denen, die in der Finsternis sind: Kommt ans Licht! (Jesaja 49,7-9)

Gott schafft die Basis für die Befreiung. Er hilft. Er tritt für sein Volk ein. Den Weg in die Freiheit aber muss es selbst gehen. Aber schon der kleinste Windhauch, der denen um die Nase weht, die sie in die Freiheit recken, schein sie zu erschrecken. Gelähmt durch die Angst vor der eigenen Courage erscheinen dann nicht nur die Fleischtöpfe Ägyptens als goldvergittertes Paradies; auch kindliche Schrei nach Hilfe entringt sich den sich selbst entmündigenden Kehlen:

Der Herr hat mich verlassen, Gott hat mich vergessen. (Jesaja 49,14)

Nein, Gott hat niemanden vergessen. Er sorgt sich um die Seinen wie eine Mutter sich um ihre Kinder sorgt:

Kann denn eine Frau ihr Kindlein vergessen, eine Mutter ihren leiblichen Sohn? Und selbst wenn sie ihn vergessen würde: ich vergesse dich nicht. (Jesaja 49,15)

Mehr noch: Er hat den Namen der Seinen unvergesslich in seine Hände eingeschrieben (vgl. Jesaja 49,16)

Aber all das entbindet das Volk nicht, selbst den Weg in das neue Leben zu gehen. Gott ruft den Menschen ins Leben, er ist Ursprung und Ziel des Lebensweges, er gibt ihm mit seiner Weisung Orientierung, er rüstet ihn mit Verstand, Vernunft und Tatkraft aus – gehen muss der Mensch seinen Lebensweg nun selbst.

Es nutzt daher nichts, sich nur hinzusetzen, zu wehklagen und auf Hilfe von oben zu warten. Gott hat die Hilfe schon gewährt. Er gewährt sie täglich, wie es im Evangelium vom 8. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres A heißt:

Sorgt euch also nicht um morgen; denn der morgige Tag wird für sich selbst sorgen. Jeder Tag hat genug eigene Plage. (Matthäus 6,34)

Damit ist sicher nicht gemeint, dass der Mensch die Hände in den Schoß legen solle. Auch die Vögel am Himmel säen zwar nicht und ernten nicht, sie müssen trotzdem ihr Futter selbst suchen. Und auch die Lilien auf dem Feld müssen sich selbst zur Sonne recken, um ihre ganz Pracht zu entfalten. Gott hat sie mit allem Notwendigen ausgerüstet – mit scharfem Auge, mit flugtauglichen Schwingen, mit aerodynamischen Körpern, mit Kapillaren, die Lebenssaft in die Pflanze transportieren, mit einem Gravitationssinn, der es selbst bewusstlosen Pflanzen ermöglicht, oben und unten zu unterscheiden, mit der Fähigkeit zur Photosynthese – einfach mit allem, was zum Leben notwendig ist. Den Rest müssen selbst die Vögel des Himmels und die Lilien des Feldes selbst erledigen. Auch ihnen steigen die Körner nicht in die fliegenden Schnäbel und Farben leuchten nicht in der Dunkelheit.

So ist es auch mit dem Menschen. Er muss das Seine tun. Er kann es tun in dem Bewusstsein, dass er von Gott dafür zugerüstet wurde. Deshalb soll, kann und muss er das vor Augen Liegende tun. Das ist der tiefere Sinn der Mahnung Jesu. Wer sich hingegen um das kümmert, was des morgigen Tages ist, tut nicht das Naheliegende. Die Situation rinnt ihm durch die Finger, der Kairos zerfließt, der Moment des Augenblicks, in dem es um alles hätte gehen können, ist dann vorbei, die Chance verpasst. Das ist die Gefahr der Menschen, dass sie nicht das tun, was hier und jetzt notwendig ist, und dadurch in Situationen geraten, die sich ihrer Kontrolle entziehen. Da hilft auch kein Weinen und Klagen mehr: Für dieses Schicksal ist er selbst verantwortlich.

Das ist der Grund für die Überlegung des Paulus in der zweiten Lesung vom 8. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres A, in der er sein Handeln selbstkritisch reflektiert:

Mir macht es allerdings nichts aus, wenn ihr oder ein menschliches Gericht mich zur Verantwortung zieht; ich urteile auch nicht über mich selbst. Ich bin mir zwar keiner Schuld bewusst, doch bin ich dadurch noch nicht gerecht gesprochen; der Herr ist es, der mich zur Rechenschaft zieht. (1 Korinther 4,3f)

Es reicht nicht, sich selbst keiner Schuld bewusst zu sein. Es reicht auch nicht, darauf verweisen zu können, doch nichts getan zu haben – genau das könnte nämlich das Problem sein. Schlimmer als einen Fehler zu begehen, ist es, aus Angst vor einem Fehler nichts zu tun. Deshalb heißt es bei Paulus:

Richtet also nicht vor der Zeit; wartet, bis der Herr kommt, der das im Dunkeln Verborgene ans Licht bringen und die Absichten der Herzen aufdecken wird. Dann wird jeder sein Lob von Gott erhalten. (1 Korinther 4,5)

Jeder wird Lob erhalten! Von Strafe ist keine Rede. Die Absicht der Herzens ist das Wesentliche! Gott scheint fehlerfreundlich zu sein. Man sollte deshalb die Fehler nutzen, um aus ihnen zu lernen! So wie jene steinernen Drusen ihr glitzernd-betörendes Inneres erst offenbaren, wenn die graue Schale aufgebrochen wird und das dunkel Verborgenen ans Licht gebracht wird. Auch das geschieht nicht ohne Mühe. Es ist die Illusion der Mühelosigkeit, die der Erwachsene zerbrechen muss, um den Schatz des Lebens heben zu können.

Das größte Geschenk ist das des Lebens. Ob Du nun gottgläubig ist oder nicht, liebe Leserin und lieber Hörer: es ist Dein Leben für das Du verantwortlich bist. Es ist wertvoll wie ein Rohdiamant. Es ist an Dir, diesem Diamant Gestalt und Glanz zu geben. Ob Du glaubst, oder nicht: Mit Gottes Hilfe wird Dir das gelingen, jenem Gott, der nicht für, immer aber mit den Menschen handelt.

Dr. Werner Kleine

Author: Dr. Werner Kleine

Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.

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