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kath 2:30 Dies DominiDies Domini – 6. Sonntag der Osterzeit, Lesejahr A

Kirchenklischees bestimmen die Gegenwart. Und es sind beileibe nicht nur die Vorurteile derer, die der Kirche kritisch gegenüber stehen, mit denen sich der Glaubende konfrontiert sieht. Nein, es gibt auch Klischees, denen die Kirche selbst erliegt. Ein solches Klischee, das schier unausrottbar in zahlreichen Predigten, Radioansprachen, Vorträgen und sonstigen Gelegenheiten christlich-selbstreferentieller Vergewisserung begegnet, ist der suchende Mensch. Das Klischee behauptet, dass die Menschen alle Suchende sind und nur darauf warten, dass ihnen jemand den Weg weist. Und natürlich ist die Kirche der Wegweiser schlechthin, denn sie ist im Besitz der Wahrheit. Allein: Die Wirklichkeit entlarvt das Klischee als das, was es ist – ein durch allzu häufigen Gebrauch abgenutztes Schema, das ohne individuelle Überzeugung unbedacht verwendet wird. Und gerade deshalb ist es unglaubwürdig. Würde das Klischee des suchenden Menschen auch nur annähernd der Wirklichkeit entsprechen, die Kirchen wären voller. Niemand würde vom Verdunsten des Glaubens reden.

Die Wirklichkeit indes sieht anders aus. Es besteht kein Zweifel, dass es einzelne suchende Menschen gibt. Aber die ganz große Sinnsuche hat die Gesellschaft nicht ergriffen. Es sieht vielmehr so aus, dass auch 2.000 Jahre Christentumsgeschichte nicht dazu beigetragen haben, dass Europa im tiefsten Inneren christlich durchtränkt ist. Wie ein Kieselstein im Fluss ist man vom Wasser der Taufe äußerlich benetzt worden; bricht man ihn aber auf, entdeckt man, dass er innen unberührt und trocken ist. Zu Recht stellt der Historiker Paul Nolte deshalb in einem Interview fest, das in der Zeitschrift „Christ & Welt“ veröffentlicht wurde:

Christliche Leitkultur – das ist vorbei. Schon die Debatte darüber vor einigen Jahren war ein Nachhutgefecht. Deutschland ist eine multireligiöse Gesellschaft. Mich hat das Wort von der „christlichen Leitkultur“ an eine Kontroverse im Kaiserreich erinnert. Damals wurde darüber gestritten, ob Deutschland nun Industrie- oder Agrarland ist. Aber eigentlich war die Sache schon entschieden. (Quelle: Beitrag „Christliche Leitkultur – das ist vorbei“, in Christ & Welt, Ausgabe 22/2014)

Manche scheinbare Selbstverständlichkeit steht nun nicht nur nicht zur Disposition; das Christentum selbst steht unter Rechtfertigungszwang. Paul Nolte:

An Kreuzen in staatlichen Gebäuden würde ich nicht festhalten. Aber es
ist absurd, wenn, wie vor einigen Jahren diskutiert, Stewardessen im Dienst kein Kreuz oder kein Kopftuch tragen dürfen. Religion muss im öffentlichen Raum sichtbar bleiben, sie ist nicht nur Privatsache.  (Quelle: Ebd.)

Die Aktion TalPassion, die die Katholische Citykirche Wuppertal im in der Fasten- und Osterzeit 2014 in Wuppertal durchführte, führte in diesem Zusammenhang vor Augen, wie wenig selbstverständlich ein öffentliches Bekenntnis mittlerweile in der Gesellschaft ist. Die Wuppertaler Künstlerin Annette Marks hatte acht Bilder erstellt, die Szenen der biblischen Passions- und Auferstehungstradition darstellen. Die Originale hingen in der Laurentiusbasilika in Wuppertal-Elberfeld. Großformatige Reproduktionen der Bilder wurden in der Innenstadt von Wuppertal-Elberfeld präsentiert. Sie ergaben dort einen begehbaren Kreuzweg von etwa 3 km Länge. Zwei Szenen hingen am städtischen Verwaltungsgebäude am Elberfelder Neumarkt. Diese beiden Bilder waren der Anlass für eine intensive Auseinandersetzung nicht nur um die Frage der Trennung von Kirche und Staat; insbesondere von atheistischen Gruppierungen wie der Vereinigung „Religionsfrei im Revier“, die der Giordano-Bruno-Gesellschaft nahe steht, wurde der Kirche das Recht abgesprochen, sich überhaupt öffentlich zu äußern – schon gar nicht an einem städtischen Verwaltungsgebäude. Ähnliche Diskussionen ergaben sich auf in den sozialen Netzwerken, etwa bei Facebook. Der Tenor ist durchgängig: Religion ist Privatsache.

Man mag die Äußerungen als Einzelmeinungen abtun. Und doch zeigen sie, dass es beileibe nicht mehr selbstverständlich ist, zu glauben. Auch suchen nicht mehr alle Menschen nach dem Sinn. Viele haben sich in dieser Welt eingerichtet. Man kann ihnen zwar vorwerfen – was manche Kirchenvertreter auch tatsächlich tun -, dass sie die wichtigen Fragen des Lebens nach dem Wozu und dem Wohin, aber auch Tod und Krankheit ausblenden würden. Allein das ändert den Befund und das Faktum nicht, dass die große Sinnsuche eben nicht stattfindet.

Und so befindet sich die Kirche unversehens in einem Zustand wieder, der ihr aus ihrer eigenen Geschichte her nicht fremd sein dürfte. Es ist der Zustand, aus dem sie erstanden ist: Inmitten einer nicht-christlich geprägten Welt wurde das Evangelium verkündet, in Wort und Tat, mit dem Mut der Leidenschaft, die denen eigen ist, die im Inneren vom lebendigen Wort Gottes ergriffen sind. Es waren die Apologeten, die den Glauben mit den Mitteln von Vernunft und Verstand begründeten und ihn nach außen verteidigten (vom griechischen ἀπλογητής/Apologetes – Verteidiger). Und so heißt es in der zweiten Lesung vom 6. Sonntag der Osterzeit im Lesejahr A:

Haltet in euren Herzen Christus, den Herrn, heilig! Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt. (1 Petrus 3,15)

Der Glaube ist kein Spiel der Frömmelei. Glaube ist Erkenntnis. Der Glaube muss gedacht werden und sich der Rechtfertigung unterziehen. Man muss nicht glauben, aber man kann erkennen. Und manches wird sich der Erkenntnis erst erschließen, wenn man sich für das öffnet, was über das physisch Wahrnehmbare hinausgeht. Es gibt Wirklichkeiten in der Welt, die erkannt werden können, ohne dass sie dingbar wären. Zahlen gehören alleine dazu, und die Liebe, die man nie wissen, wohl aber erkennen kann. Aber Liebe ist nicht einfach da. Man muss um sie ringen, wie man um den Glauben ringen muss. Wer glaubt und im Glauben erkennen will, der braucht Verstand. Nicht umsonst mahnt Paulus im 1. Korintherbrief:

Vor der Gemeinde will ich lieber fünf Worte mit Verstand reden, um auch andere zu unterweisen, als zehntausend Worte in Zungen stammeln. (1 Korinther 14,19)

Die Zungenrede galt seinerzeit in Korinth als besonders außergewöhnliches Charisma, als Geistgabe. Paulus zertrümmert diese Ansicht mit wenigen Worten: Wo der Verstand fehlt, kann der Glaube keine Wurzeln fassen. Ohne Verstand bleibt der Glaube klein und brüchig.

Wo ein solcher brüchiger Glaube angefragt und bezweifelt wird, ziehen sich viele hinter die sicheren Kirchenmauern zurück. In schönen Gottesdiensten, vermeintlich die Seele erhebenden Liturgien, neuerdings auch bunt ausgeleuchteten Kirchen, die die Sinne mit Mitteln betören, die in jeder Dorfdisco verwendet werden, und Liedern, die der Seele schmeicheln entflieht man der kalten Welt. Man ist unter sich. Niemand fragt. Niemand braucht sich zu rechtfertigen. Niemand muss sich beschimpfen lassen.

Das aber widerfährt gerade in dieser Zeit denen, die das Wort Gottes öffentlich in die Welt tragen. Und das ist das eigentliche Wesen der Kirche. Kirche ist kein Selbstzweck. Sie ist dazu da, der Welt das Wort Gottes zu bringen. Das muss sie mit Verstand tun, denn nur wer weiß, was er redet und tut und Rechenschaft darüber geben kann, ist glaubwürdig. Wer nur Behauptungen aufstellt, ohne sie begründen zu können, wird schnell als Scharlatan dastehen.

Für die Verkündigung gilt aber auch, nur die Fragen zu beantworten, die die Menschen wirklich stellen. Wer keine Fragen hat, bei dem werden die Antworten auf verschlossene Ohren stoßen. Und besserwisserische Antworten auf nichtgestellte Fragen sind wie Karnevalsmusik zur Beerdigung eines Westfalen.

Wenn aber jemand nach dem Grund des Glaubens fragt, dann hat er eine rechtschaffene Antwort verdient. Eine Antwort, die seine Frage ernst nimmt und sein Suchen. Eine solche Antwort wird nicht im Habitus dessen kommen, der die Wahrheit gepachtet hat. Sie wird vielmehr, wie es im 1. Petrusbrief heißt, bescheiden und ehrfürchtig sein müssen.

Das fehlt vielen Christen in der heutigen Zeit. Die, die sich gerne hinter die Kirchenmauern zurückziehen sind nicht selten auch die, die durch deren Schießscharten auf die Angreifer zielen. In zahlreichen Talkshows kann man das beobachten, wie die immer gleichen Protagonisten wie Wölfe übereinander herfallen und mit dem Anspruch, den rechten Glauben zu verteidigen, manchen Hieb ausführen, der dann doch ins Leere geht. Die dort fehlende Bescheidenheit, das Unvermögen, den Gegner mit Ehrfurcht zu behandeln, setzt den Glaubenden selbst ins Unrecht. Stattdessen mahnt der Autor des 1. Petrusbriefes:

Antwortet bescheiden und ehrfürchtig, denn ihr habt ein reines Gewissen. Dann werde die, die euch beschimpfen, weil ihr in der Gemeinschaft mit Christus ein rechtschaffene Leben führt, sich wegen ihrer Verleumdungen schämen müssen. (1 Petrus 3,16)

Zu den Kirchenklischees gehört auch der Satz „Das muss man glauben“. Jenem Offenbarungseid derer, die nicht wirklich an den Geist der Erkenntnis glauben können. Wer nur glaubt, weil er muss, wird aber die Angst, es könnte doch ganz anders sein, nie besiegen. Wessen Glaube hingegen vernunftgeläutert ist, wird in der Auseinandersetzung bestehen. Wer mit Verstand glaubt, wird erkennen, dass der Zweifel kein Gegner, sondern ein Bruder des Glaubens ist, der immer neu zum Nachdenken herausfordert – und er wird denen, die nach dem Grund des Glaubens fragen, antworten können. Jede echte Frage hat schließlich ein richtige Antwort verdient. Die Kirche mag Beter brauchen; vor allem aber braucht sie Apologeten!

Dr. Werner Kleine

Author: Dr. Werner Kleine

Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.

3 Kommentare

  1. Stephan Mertens schrieb am 25. Mai 2014 um 09:33 :

    Lieber Herr Dr. Kleine,
    Ihre Beiträge in 2:30 erfreuen mich in einer tiefen Weise, weil sie geistreich und realitätsnah sind. Leider höre ich schon lange nichts vergleichbares mehr in der Kirche. Und das schlimme ist, man hat oft das Gwfühl, die Prediger geben sich nicht mal Mühe.
    Auch wenn der Sinn des Wortes Apologet aus dem Schlussabsatz deutlich wird, war es auch für mich ein Stolperstein.

    Alles Gute und einen schönen Sonntag.

    • Dr. Werner Kleine schrieb am 25. Mai 2014 um 11:24 :

      Lieber Herr Mertens,

      danke für das Feedback, vor allem aber für den Hinweis. Ich habe ihn zum Anlass genommen, in der Textmitte noch eine Einfügung vorzunehmen, die das Wort „Apologet“ erklärt.

  2. Sigrid Fink schrieb am 26. Mai 2014 um 14:08 :

    Interessanter Artikel. Leider ist die katholische Kirche davon meilenweit entfernt. Glauben ja, aber nicht mehr in den Strukturen dieser Kirche.

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