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kath 2:30 Meinungen

oder: Die Illoyalität der Gehorsamen

Es ist still geworden um den mit viel Hoffnung gestarteten Dialogprozess in der Kirche. Es ist wie so oft in den letzten 20 Jahren: Dialoge, Diözesansynoden, Pastoralgespräche – all das kommt mit der schönen Regelmäßigkeit eines el niño an der südamerikanischen Westküste. So wie diese Klimaanomalie periodisch die peruanische Pazifikküste heimsucht und durch die Aufwärmung des Wassers den Humboldtstrom mit erheblichen Konsequenzen für Umwelt und Wirtschaft im Ostpazifik zum Erliegen bringt, so scheinen die zyklisch initiierten kirchlichen Kommunikationsprozesse nach anfänglicher Aufwärmung bei denen, die sich einen Fortschritt erhoffen, zu einem ekklesialen Kater zu führen. Der Dialogstrom kommt dabei immer schneller zum Erliegen: Dauerten die Prozesse, deren Ergebnisse in aufwendig gestalteten Broschüren festgehalten und abgeheftet wurden, am Ende des 20. Jahrhunderts noch mehrere Monate, so werden jetzt schon zu Beginn des aktuellen Dialogprozesses, mit dem man der gegenwärtigen durch den Missbrauchsskandal von 2010 ausgelösten Glaubwürdigkeitskrise der Kirche begegnen und für Transparenz sorgen möchte, Wortstaudämme errichtet, die das Fließen des Prozesses von vorne herein behindern.

Diesen Zustand bemängelte jüngst auch der Abtprimas der Benediktiner, Notker Wolf, der am 23.7.2012 in der Sendung „Hauptsache Mensch“, die von 19 bayerischen lokalen Radiosendern über die BLR (Diensleistungsgesellschaft für Bayerische Lokal-Radioprogramme) versendet wird:

„‚Ich weiß nicht, ob wir überhaupt begriffen haben, was Dialog ist.‘ (…) Vielen Amtsträgern falle es schwer, mit Gegenwind umzugehen. Um Widerstand auszuräumen, berufe man sich einfach auf den ‚Heiligen Geist‘ oder die eigene Autorität, statt sich mit dem anderen auseinanderzusetzen. Die Kirche besitze die ‚Gnadengabe, alle Unterwürfigkeit und alle menschliche Unreife noch theologisch zu verbrämen‘.“ (Quelle: Münchner Kirchenradio)

Abtpimas Notker Wolf stellt in diesem Zusammenhang noch fest, dass Gehorsam keine Unterwürfigkeit bedeute. Aber genau hier scheint das Missverständnis zu liegen. Denn „Gehorsam“ meint „das prinzipielle Befolgen von Geboten oder Verboten durch bestimmte Handlungen oder Unterlassungen“ (Quelle: Wikipedia). Im Einfordern von Gehorsam werden von vielen Vertretern der kirchlichen Hierarchie genau jene Wortstaudämme errichtet, die verhindert sollen, dass der Dialog Kräfte freisetzt, die den kommunikativen Strom unkontrollierbar machen. Wo kommt man denn da hin, wenn der Heilige Geist unkontrollierbar weht …

Dialog und Gehorsam – diese beiden Begriffe stehen für die Spannung, in der sich die gegenwärtige Kirche befindet. Es sind Kontrastbegriffe: Dialog lebt vom gegenseitigen Hören. Gehorsam ist eine monologische Form der Kommunikation: Einer spricht, ein anderer hört – und schweigt. Der Gehorsam duldet keine Antwort und keinen Diskurs. Und genau das ist gegenwärtig zu beobachten: Wer nur das Wort „Dialog“ in den Mund nimmt und einen offenen Diskurs über die Frage fordert, wie die Inkarnatierung der Kirche in die Welt von heute und ihre damit notwendigerweise verbundene Wandlung wohl aussehen muss, der steht in manchen katholischen Kreisen grundsätzlich unter dem Generalverdacht der Apostasie. Es sind diese Kreise, die dem lebendig machenden Geist Gottes offenkundig nicht über den Weg trauen. Solange er als laues Lüftchen in der Kirche weht und den eigenen Vorstellungen entspricht, ist alles in Ordnung. Aber ehe ein stürmisches Unwetter die Kirche heimsucht, sollten die Christgläubigen eher die katholischen Schutzbunker des Gehorsams aufsuchen. Gehorsam als dialogleitendes Prinzip – das ist schon eine ganz besondere Konstellation, die in der aller Rhetorik vorausliegenden formalen Logik als „Kontradiktion“ bezeichnet wird.

Die kontradiktorischen Haltungen der verschiedenen katholischen Parteiungen führen zu einer schleichenden Kirchenspaltung. Viele wenden sich schon abwinkend ab, wenn es um eine Aufforderung geht, sich am gehorsamen Dialog zu beteiligen. Es ändert sich mal wieder alles zum Alten. Ist das wirklich so gewollt? Ist das der Auftrag der Kirche?

Manchmal hilft es der Klarsicht, sich an der Natur zu orientieren – zum Beispiel an der Tierwelt. Die Bibel kann hierzu hilfreiche Hinweise geben. Wenden wir uns etwa dem Bereich der Einhufer zu. Über zwei besondere Vertreter weiß Psalm 32 folgendes zu sagen:

Werdet nicht wie Ross und Maultier,
die ohne Verstand sind,
mit Zaum und Zügel muss man ihr Ungestüm bändigen,
sonst folgen sie dir nicht. (Ps 32,9)

Einen Vers vorher spricht Gott selbst aber zum Psalmisten:

„Ich unterweise dich und zeige dir den Weg, den du gehen sollst.
Ich will dir raten, über dir wacht mein Auge.“ (Ps 32,8)

Ross und Maultier sind offenkundig nicht in der Lage, den Willen Gottes zu verstehen. Es sind gehorsame Tiere, die dem folgen, der die Zügel in der Hand hält. Gott will aber offenkundig nicht, dass man ihm aus Gehorsam, sondern aus Einsicht folgt.

Von einem solchen einsichtigen Tier berichtet die Erzählung des Sehers Bileam, die im Buch Numeri überliefert ist (Num 22-24). Der Seher Bileam soll auf Bitten des moabitischen Königs Balak den für ihn bedrohlichen Vormarsch des Volkes Israel aus Ägypten mithilfe eines Fluches stoppen. Bileam lehnt eine erste schmeichlerische Einladung nach Rücksprache mit Jahwe ab. Einer zweiten folgt er aber, nachdem Gott ihn ziehen lässt. Er reitet auf einer Eselin dem Lager Balaks entgegen, als sich ihm ein Engel mit Schwert in den Weg stellt. Die Eselin nimmt den Engel und die von ihm ausgehende Gefahr für Bileam wahr, der Seher hingegen nicht. Unter Schlägen versucht er die Eselin zum Weitergehen anzutreiben. Gott öffnet in der Erzählung der ungehorsamen Eselin schließlich den Mund, die sich bei ihrem Herrn beschwert und ihn auf die drohende Gefahr hinweist. Der Fortgang der Erzählung führt schließlich zur Flucht des Bileam vor Balak, da der von diesem beauftragte Fluch über Israel zu einem dreifachen Segen für das Volk Gottes wird.

Ross und Maultier vs. Eselin – Gehorsam vs. Ungehorsam – das scheint die Opposition zu sein. Und doch ist die Eselin nicht einfach ungehorsam. Im Gegenteil: Sie ist ihrem Herrn gegenüber absolut loyal. Sie lässt sich schlagen und bleibt doch ihrer Linie treu – aus purer Loyalität. Loyalität

„bedeutet, die Werte (und Ideologie) des Anderen zu teilen und zu vertreten bzw. diese auch dann zu vertreten, wenn man sie nicht vollumfänglich teilt. Loyalität zeigt sich sowohl im Verhalten gegenüber demjenigen, dem man loyal verbunden ist, als auch Dritten gegenüber.“ (Quelle: Wikipedia)

Loyalität ist damit etwas völlig anderes als Gehorsam. Loyalität achtet die jeweiligen Kompetenzen und Verantwortungen. Wer loyal ist, bringt seine Kritik aber angemessen auch dem gegenüber zum Ausdruck, der zur Leitung berechtigt ist. Der Loyale sieht hierin sogar eine Verpflichtung, wenn er sieht, dass der Leitende bei seinem Weg in die falsche Richtung läuft.

Diese Loyalität ist sogar kirchenrechtlich verbrieft:

„Entsprechend ihrem Wissen, ihrer Zuständigkeit und ihrer hervorragenden Stellung haben sie das Recht und bisweilen sogar die Pflicht, ihre Meinung in dem, was das Wohl der Kirche angeht, den geistlichen Hirten mitzuteilen und sie unter Wahrung der Unversehrtheit des Glaubens und der Sitten und der Ehrfurcht gegenüber den Hirten und unter Beachtung des allgemeinen Nutzens und der Würde der Personen den übrigen Gläubigen kundzutun.“ (Can. 212 §3 CIC 1983)

Wer im gegenwärtigen Dialog die Kritiker mit dem Verweis auf Gehorsam mundtot machen möchte, verhält sich nicht nur illoyal, er nimmt sich selbst auch die Chance, von den Loyalen wichtige Wegweisungen zu bekommen. Was wäre mit Bileam geschehen, wäre die Eselin nicht bereit gewesen, den Preis der Loyalität zu zahlen?

Ach, wäre die Kirche doch ein Volk von Eseln!

Dr. Werner Kleine

Author: Dr. Werner Kleine

Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.

4 Kommentare

  1. Dorothee Janssen schrieb am 1. August 2012 um 07:15 :

    Das Beispiel mit dem Esel finde ich jetzt etwas überstrapaziert, weil man es auch so deuten könnte: er bleibt sich selbst treu und kann nicht gehorsam sein.
    Abgesehen davon erfahre ich in Gemeinden viele engagierte Menschen, die im Dialogprozess gar nicht auftauchen. Sie leben ihren Glauben unaufgeregt, völlig normal. Was immer das heißen mag. Das ist sehr vielfältig. Und genau da sehe ich das Problem im Dialog: es ist wie beim Turmbau zu Babel: zu viele Stimmen, zu viele Sprachen. Ein für Menschen unlösbares Problem.
    Aber um nochmal auf das Beispiel des Esels zurück zu kommen: unsere Gemeinden sind voller Esel, die alle ihre Lebens- und Glaubenserfahrung haben. Die ertragen wechselnde Organisationsformen, wechselnde Gemeindeleitungen, schlechtes Image der Kirche und sind von ihrem Glauben (was immer das heißen mag) nicht abzubringen (die kommen aber im Dialogprozess des Bistums Essen kaum vor, weil sie nicht im Gemeinderat oder einem Verein/Verband sind oder schlicht mit diesen Strukturen nichts anfangen können).

  2. Dr. Werner Kleine schrieb am 3. September 2012 um 11:57 :

    Zum Thema hat sich mittlerweile auch der Unternehmensberater Thomas von Mitschke-Collande geäußert, der als McKinsey-Unternehmensberater die Deutsche Bischofkonferenz und verschiedene (Erz-)Diözesen in Deutschlang beraten hat. Anlässlich seines kürzlich veröffentlichten Buches „Schafft sich die katholische Kirche ab?“ ist ein lesenswertes Interview mit Thomas von Mitschke-Collande auf katholisch.de erschienen.

  3. Dr. Werner Kleine schrieb am 5. September 2012 um 14:59 :

    Noch ein Wort zum Thema – und ein Wort wie Donnerhall!

    Gibt es Hoffnung für die Kirche? – das letzte Interview mit dem verstorbenen Kardinal Martini: http://www.theologie-und-kirche.de/martini-interview.pdf

  4. Kath 2:30 schrieb am 2. Februar 2013 um 20:31 :

    […] wird von Gott in Schrecken gesetzt. Aus diesem Teufelskreis katholischer Episkopalfurcht befreit nicht der Gehorsam, sondern die Loyalität. Wer loyal ist, wird sich zur Wahrheit bekennen – wenn es sein muss, auch einem Bischof […]

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