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Von Øle Schmidt

kath 2:30 ReportageMITTWOCH, 25. AUGUST 2010
»Es darf nicht sein, dass Menschen wegen ihres Glaubens oder der Regierungspolitik von Hilfe ausgeschlossen werden. Schließlich liebt Gott alle Menschen!« Kemal, unser kurdischer Taxifahrer, fasst das Fundament humanistischer Nothilfe auf seine Art zusammen. Der Caritas-Grundsatz lautet: Wichtig ist nicht, woran du glaubst, wichtig ist, was du brauchst – zum Überleben, zum Leben. Als ich bezahle, gestikuliert Kemal immer noch entschlossen. Mit dem Arzt Joost Butenop und dem Katastrophenhelfer Frank Falkenburg bin ich im Auftrag des katholischen Hilfswerks auf dem Weg ins überflutete Pakistan. Um weitere Hilfe auf den Weg zu bringen. Bislang konzentriert sich die Caritas auf Wasser, Lebensmittel, Medikamente, und Hygieneartikel. Auf unserem Zwischenstopp in Abu Dhabi wird mein Mikrofon nach Sprengstoff untersucht, die Situation ist angespannt in Pakistan. »Herzlich Willkommen, verehrte Spender!« Die Dankbarkeit der Pakistanis für die internationale Hilfe erreicht uns schon vor der Passkontrolle – geschrieben auf einem Pappschild. Islamabad empfängt uns mit Regen und schwüler Hitze.

SAMSTAG, 28. AUGUST 2010
Wir passieren eine gefährlich unterspülte Brücke. Strommasten liegen auf dem schlammigen Weg, umgeknickt wie Streichhölzer. »Dies ist eine der ganz wenigen Brücken, die nicht von den Fluten weggerissen worden ist.« Der pakistanische Arzt Ahmed Mamoon blickt in die Ferne. Mit Joost Butenop bin ich im Distrikt Shangla, einem Teil des Swat-Tals. Während in einigen Gebieten Südpakistans erst jetzt die Flutwelle ankommt, ist hier im Norden das Wasser schon wieder abgeflossen. Sichtbar wird nun die Katastrophe hinter der Katastrophe. Das Wasser hat Häuser und Felder verschlungen, Die Stromversorgung ist zusammengebrochen. Als selbst der schlammige Weg zerstört ist, müssen wir zu Fuß weiter. Nach einer Stunde Marsch erreichen wir Damori. Diese Gesundheitsstation wird von der Caritas unterstützt. Fünfzig Menschen warten geduldig vor dem Eingang. Doktor Umar, 26, arbeitet seit der Flutkatastrophe hier. Während er ein kleines Mädchen behandelt, beklagt er Erkrankungen der Haut und der Atemwege bei den Menschen hier. Viele seien traumatisiert, kämpften mit Magenschleimhautentzündungen und Depressionen. Vor mir sitzt Umer Zada. Der schlanke Minenarbeiter ist still, seine Augen sind leer. »Ich habe meine Frau und mein Haus verloren. Nun kümmere ich mich alleine um die drei Kinder, wir müssen bei Verwandten leben.« Umer Zada macht eine lange Pause. »Was soll ich sagen, es ist eine Prüfung Gottes. Aber ich bin sehr traurig.«

Diese vier Männer warten in der Caritas-Gesundheitsstation auf die Untersuchung von Doktor Mamoon.

DIENSTAG, 31. AUGUST 2010
Seit drei Tagen haben wir keinen Weißen mehr gesehen. Offensichtlich haben die westlichen Hilfsorganisationen Shangla vergessen. Der Distrikt gilt als gefährlich, hier verläuft die Frontlinie zwischen den militanten Taliban und der pakistanischen Armee. Wie alle anderen tragen Joost und ich traditionelle Kleidung, ein langes Gewandt über einer weit geschnittenen Hose. So zeigen wir unseren Respekt vor der Kultur, gleichzeitig vergrößert es unsere Sicherheit. Rachid, unser Fahrer, lächelt freundlich an jedem militärischen Checkpoint, nach dem fünften haben wir das einzige funktionsfähige Krankenhaus der Region erreicht. Während die zweite Klinik von der gewalttätigen Flutwelle in zwei Stücke gerissen worden ist, hat das Wasser hier nur kleine Schäden angerichtet. Der Leiter des Krankenhauses begrüßt uns. Noch nie bin ich mit soviel Dankbarkeit und Gastfreundschaft aufgenommen worden wie in Pakistan. Ich blicke in wache Augen, spüre offene Herzen. Das mediale Bild von feindselig gestimmten Moslems verblasst, wir begegnen Menschen. Viele der Menschen im Swat sind verzweifelt. Erst bebt im Jahr 2005 die Erde, dann marschieren die Taliban ein, jetzt kommt die mörderische Flutwelle. Nachdem wir in den vergangenen Tagen nur Männer und Kinder auf der Strasse gesehen haben, sprechen wir nun mit einer Ärztin. Sie schiebt ihren Schleier kurz zur Seite und sagt: »Unser größtes Problem ist die Armut, und die gab es auch schon vor der Flut.«

SONNTAG, 5. SEPTEMBER 2010
Als wir morgens das Hotel in Islamabad verlassen, sehen wir, dass es Zeit ist, eine andere, weniger prominente Unterkunft zu suchen. Vier Sicherheitsmänner bauen Barrieren um den Eingangsbereich an der Straße auf. Diese grauen Betonklötze sollen verhindern, dass uns Gästen eine Wagenladung mit Sprengstoff um die Ohren fliegt. Unser Hotel, inmitten des belebten Jinnah Market mit westlichen Geschäften und Restaurants ist ein so genanntes High Profile Target, ein Anschlagsziel. Der unausgesprochene Pakt der nationalen Versöhnung, mit Beginn der Flutkatastrophe, ist schon wieder Geschichte, seit einer Woche wird Pakistan nun auch von einer Welle der Gewalt überzogen. In der Achtmillionen-Metropole Lahore zünden vermutlich sunnitische Selbstmordattentäter drei Bomben in einer schiitischen Prozession, sie reißen 27 Menschen mit in den Tod. In Peschawar wird in der Nähe einer Polizeipatrouille eine Bombe fern gezündet, ein Beamter stirbt. In einem Dorf bei Miranshah schlagen Raketen einer US-Drohne ein. Nach amerikanischen Geheimdienstangaben werden sechs islamistische  Extremisten getötet. In Quetta zündet ein Selbstmordattentäter seinen Sprengsatz in einer Prozession von Schiiten. 58 Gläubige sterben. Die traurige Bilanz einer Woche in Pakistan. An Taschenkontrollen und die Sprengstoff-Schleusen vor unserem Hotel haben wir uns nach zehn Tagen gewöhnt, morgendliche Sicherheitsbriefings sind zur Routine geworden, SMS mit neuen Anschlagsmeldungen lesen wir nebenbei. Auch wir haben uns einrichten müssen, in diesem Land, dass von Armut, Naturkatastrophen und dem Terror einer verschwindend kleinen Minderheit geschunden ist. Die Regeln: große Menschenmengen meiden, Demonstrationen und Prozessionen, fernhalten von Polizei und Militärkonvois.

SONNTAG, 11. SEPTEMBER 2010
Die Situation verdichtet sich. Der christliche Fundamentalist Terry Jones hat seine Koranverbrennung am Jahrestag der Anschläge angesetzt, heute. Die moslemische Welt begeht gleichzeitig Eid, ihr wichtigstes Fest. Die pakistanische Regierung hat deshalb bei Interpol nachgesucht, den amerikanischen Brandstifter an diesem fragilen Tag unter Hausarrest zu stellen. Die Menschen auf den Straßen sind nervös. Wir sind es auch. Im Hotel-TV, wir sind im Süden des Punjab, sehen wir wütende Demonstrationen in Kabul. Es ist unklar, ob wir unseren Besuch im »Peace Village for Flood Victims« absagen müssen. Dort leben Moslems, Hindus und Christen. Gemeinsam. Rachid, ein Kopf hinter diesem interreligiösen Ansatz, braucht nicht viele Worte um die Idee zusammenzufassen. »Wenn Menschen verschiedener Religionen miteinander sprechen«, sagt er und schiebt seine viel zu große Sonnenbrille wieder auf seine Nase,  »wenn sie gemeinsam essen und die heiligen Feste der Anderen begehen, dann schießen sie nicht so schnell aufeinander.«

Author: Oele Schmidt

Der Journalist Øle Schmidt lebt und arbeitet in Lateinamerika und Deutschland.

1 Kommentar

  1. Kath 2:30 schrieb am 14. Oktober 2010 um 21:58 :

    »Hey, Weisser, wir haben Hunger!«…

    Haiti acht Monate nach dem Beben: Über den Neubau einer eingestürzten Schule in den vergessenen Bergen und über eigenwillige Hilfe aus Deutschland Von Øle Schmidt Als wir das schwere Eisentor vor unserem Haus zur Seite schieben, nickt unser haitianisch…

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