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kath 2:30 Dies DominiDer Mensch ist ein harmoniebedürftiges Wesen. Das hat sein Überleben gesichert. Niemand erlegt ein Mammut allein, keiner schafft es, den Säbelzahntiger ohne die Hilfe anderer wirksam zu verjagen. Das blinde Verständnis, die solidarische Zusammenarbeit, das Zusammenspiel zwischen dem Respekt vor dem Können anderer und dem Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten sicherten die Existenz der eigenen Gruppe. Jede Bedrohung dieser Harmonie musste bekämpft werden – nach innen durch Exkommunikation und Ausschluss der Störenfriede, nach außen durch Verteidigung und Abwehr konkurrierender Gruppen, die die eigene Existenz gefährdeten. Die Harmonie ist alles andere als aggressionsfrei. Kann man sie nicht verteidigen, muss man laufen, fliehen wie die Hasen, die der Übermacht der Fressfeinde nicht gewappnet sind. Wer hingegen in der Unfähigkeit zu fliehen oder sich zu verteidigen einfach stehenbleibt, vielleicht einfriert und wartet, wird mit großer Wahrscheinlichkeit sein Ende finden. Was glauben Sie denn?

Die Sucht nach Harmonie, jener Kitt der kleinen Gruppen, die am Beginn der Menschheitsgeschichte stehen, steckt dem Menschen auch heute noch in den Knochen. Man kennt es von den großen und kleinen Familienfesten, bei denen unausgesprochen die Hoffnung auf ein harmonisches Gruppenerlebnis im Raum steht. Sie prägt auch das gesellschaftliche Miteinander. Es ist für viele schwer zu ertragen, dass Entscheidungen oft komplex sind. Nehmen wir etwa den Klimawandel. Kaum jemand, der bei klarem Verstand ist, wird bezweifeln, dass etwas getan werden muss. Aber was ist der richtige Weg? Die Wärmepumpe erscheint am Horizont wie eine Verheißung – aber sie braucht Strom. Bei den meisten kommt er aus der Steckdose. Aber wie er da hinkommt, ist das große Problem. Derzeit geht es nicht allein mit erneuerbaren Energien. Wann es gehen wird, ist völlig unklar. Also muss der Strom anders produziert werden. Wer – aus sehr gutem Grund – nicht auf Atomkraft setzen will, weil die Folgen noch in Jahrtausenden strahlen werden, wird nicht ohne Gas und Kohle auskommen – und so weiter Kohlendioxid produzieren. Ein Dilemma, aus dem man derzeit nicht wirklich entrinnen kann. Es ist ein Dilemma, dass die Harmonie stört. Einige erkennen das Problem und werden aktiv – indem sie sich auf die Straße kleben. Damit machen sie ohne Zweifel auf ein Problem aufmerksam, das den Allermeisten an sich schon bewusst ist. Echte und nachhaltige Lösungen präsentieren sie nicht wirklich: das geforderte Tempolimit erscheint zwar überfällig, wird das Problem allein aber nicht lösen. Immerhin ist man aktiv – aktiv festgeklebt vor dem Säbelzahntiger und sagt: Husch, husch …

Dabei steht das Mammut, das das Überleben des Menschen sichern wird, übergroß im Raum. Das Losungswort der Zukunft heißt wohl „Verzicht“. Jede technische Lösung aktueller Herausforderungen scheint neue Probleme hervorzubringen: es wird immer mehr Energie benötigt, mehr Energiespeicher, die seltene Erden oder Lithiumsalze verbrauchen, die an fernen Orten Landschaften und Menschen demütigen und auch hierzulande Flächen vernichten werden. Kann, wer den Hambacher Forst vor dem Kohleabbau bewahren möchte, befürworten, dass gigantische Flächen für Windmühlen und Solarkollektoren gerodet werden müssen? Wenn wir uns ehrlich machen, ahnen wir, dass wir in Zukunft nicht einfach nur sparen, sondern wirklich verzichten müssen. Aber wer das ausspricht, stört die Harmonie. Es ist halt schöner, auf Polstern zu sitzen und es sich gut gehen zulassen; es erscheint edel, sich aktiv festzukleben. Nur: Die einen wie die anderen bewegen weder sich noch etwas. Amos, der große Sozialkritiker des altehrwürdigen Bundes, sagt wieder wahr:

„Das Fest der Faulenzer ist vorbei“ (Amos 6,7)

Harmonie sichert eben nicht das Überleben … Überleben war immer schon herausfordernd und anstrengend!

Dr. Werner Kleine

Erstveröffentlicht in der Westdeutschen Zeitung vom 28. April 2023.

Author: Dr. Werner Kleine

Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.

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