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kath 2:30 Dies DominiDies Domini – 10. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr B

Die Nachkriegszeit ist endgültig vorbei. Allerorten ist spürbar, dass die Erinnerung an die Zerstörungen, die der totale Krieg als Frucht hervorgebracht hat, nicht mehr nur verblasst sind. Die Generation derer, die die Folgen eines egomanischen Nationalismus mitverantwortet, als Mitläufer geduldet und als Gegner ertragen und erlitten haben, steht zum größten Teil schon vor dem göttlichen Richter. Krieg und Holocaust – das sind für viele Heutige nur noch unwirkliche Szenen dokumentiert in schwarz-weißen, unscharfen und verwackelten Bildern, unterlegt mit Moderationen, die in Tonfall und Diktion im zeitlichen Abstand künstlich wirken. In Zeiten, in denen HD von 4K abgelöst wird, Auflösungen, in denen selbst Computerspiele geradezu realistisch wirken, droht die Erinnerung der fatalen Folgen von Führerkult und Nationalismus nicht nur zu verblassen. Manch einer verklärt sie gar zu einem Vogelschiss der Geschichte, eine Flatulenz bloß heißer Luft, die man heute doch nicht mehr ernst nehmen kann. Gauland, Höcke und Weidel, die Führer der AfD wollen den Schuldkult endlich beenden. First! ist der Ruf der Zeit! America first, Ungarn first, Polen first – und natürlich Deutschland first! Wo die Väter und Mütter des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland, die Architekten eines ebenso geeinten wie friedlichen Europas und die Völkergemeinschaft überhaupt aus den Ruinen des Zweiten Weltkrieges gelernt hatten, dass so etwas nie wieder passieren darf, vereinen sich heute die Egomanen aller Völker in einer kollektiven Kakophonie: Wir zuerst!

Es ist schon bemerkenswert schizophren, wenn sich die Nationalisten vieler Völker zu internationalen Kongressen treffen. Sie planen gemeinsam die Auflösung Europas. Sie sägen gemeinsam am Stamm des Friedens. Sie säen gemeinsam die Sporen der Spaltung, die sich tief in die Gesellschaften fressen. Es ist der gemeinsame Feind, der sie vereint – ein Feind, der dazu beigetragen hat, dass ein Kontinent die längste Friedensperiode der letzten 2000 Jahre erlebt hat. Es ist der Feind Europa, der bekämpft wird, weil ein Europa der Vielen immer mit sich bringt, dass die vielen Einzelnen Rücksicht und Solidarität üben müssen. Das Miteinander der vielen Einzelnen hat Europa stark gemacht und den Frieden gebracht. Ein Miteinander, das immer neu erarbeitet werden muss. Europa führt eben kein Schoßhündchen an der Leine, sondern reitet auf einem Stier!

Die Nationalisten aller Völker mögen das Geben und Nehmen nicht. Sie mögen das Behalten. Das nennen sie Identität. Sie glauben, Identität durch Abgrenzung bilden zu müssen. Wer aber nur weiß, wer oder weiß, was er nicht sein möchte, weiß noch lange nicht, wer er wirklich ist. Abgrenzung ist ein Zeichen von Schwäche, nicht von Stärke. Wer sich von der Abgrenzung zum vermeintlich Fremden her definiert, ist gerade nicht selbstbewusst. Er ist ein Getriebener, dessen Haupttrieb die Angst ist. Das ist nicht groß, das ist erbarmungswürdig, ja erbärmlich. Was wird wohl passieren, wenn die Angst obsiegt? Was wird passieren, wenn der Nationalismus sich in Europa weiter breit macht. Was wird passieren, wenn wie jetzt schon in Polen, Ungarn, Italien und Großbritannien die Gegner Europas auch in anderen Ländern die Oberhand gewinnen und nicht mehr dem gesunden Menschenverstand, sondern bloß dem vermeintlichen Volksempfinden folgen. Werden sie sich dann immer noch in internationalen Kongressen vereinen? Oder werden sie wieder zu dem, was sie eigentlich jetzt schon sind: zu natürlichen Feinden, die nur am eigenen Wohl interessiert sind und die sich eigentlich einen feuchten Kehricht darum kümmern, wie es dem Nachbarn geht. Die Gartenzwergmentalität der Rechten kennt letztlich keine Freunde. First kann schließlich immer nur eine Nation sein – für alle anderen bleiben nur die Plätze dahinter.

Die einfachen Lösungen verfangen. Die Verführung der Vorgaukler vermeintlicher Stärke trägt Früchte. Es werden bittere Früchte sein, denn nicht ohne Grund spricht Jesus im Evangelium vom 10. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres B:

Wenn ein Reich in sich gespalten ist, kann es keinen Bestand haben. Wenn eine Familie in sich gespalten ist, kann sie keinen Bestand haben. Und wenn sich der Satan gegen sich selbst erhebt und mit sich selbst im Streit liegt, kann er keinen Bestand haben, sondern es ist um ihn geschehen. (Markus 3,24-26)

Mit diesem Satz wehr sich Jesus selbst gegen den Vorwurf der Schriftgelehrten, er sei von Beelzebul besessen und treibe mit Hilfe des Anführers der Dämonen die Dämonen aus (vgl. Markus 3,22). Demgegenüber stellt Jesus fest, wie unsinnig diese Unterstellung ist, würde sich der Satan doch selbst schaden. Das ist der geradezu objektive Beweis, dass seine Vollmacht von anderer Stelle stammen muss. Er kann die unreinen Geister nicht deshalb austreiben, weil er von einem unreinen Geist besessen ist, sondern weil er im Geiste Gottes handelt, wirkt und spricht. Dieser Geist treibt ihn, lautstark und tatkräftig den Willen Gottes zu tun und zu verkünden. Dabei geht er auch an die Grenzen des scheinbar Vernünftigen und überschreitet diese bisweilen sogar – etwa, wenn er wenige Verse vorher am Sabbat einen Mann mit einer verdorrten Hand heilt (Markus 3,1ff). Damit übertritt er auf den ersten Blick das Sabbatgebot – aber nicht um der Übertretung willen, sondern weil es um einen Menschen in Not geht:

Da sagte er zu dem Mann mit der verdorrten Hand: Steh auf und stell dich in die Mitte! Und zu den anderen sagte er: Was ist am Sabbat erlaubt – Gutes zu tun oder Böses, ein Leben zu retten oder es zu vernichten? Sie aber schwiegen. Und er sah sie der Reihe nach an, voll Zorn und Trauer über ihr verstocktes Herz, und sagte zu dem Mann: Streck deine Hand aus! Er streckte sie aus und seine Hand wurde wiederhergestellt. (Markus 3,3-5)

Dieses Absehen von der eigenen Person und die Hinwendung zu einer anderen Person, die hilfsbedürftig ist – ein humanitärer Akt in einer Ausnahmesituation, die ein Handeln hier und jetzt, nicht morgen und irgendwann, notwendig macht, trägt ihm in der markinischen Dramaturgie nicht nur schon zu Beginn seines Wirkens den Hass der Zweifellosen ein, die immer schon zu wissen glauben, was gut und was falsch ist:

Da gingen die Pharisäer hinaus und fassten zusammen mit den Anhängern des Herodes den Beschluss, Jesus umzubringen. (Markus 3,6)

Auch seine eigene Familie hält ihn offenkundig für verrückt:

Als seine Angehörigen davon hörten, machten sie sich auf den Weg, um ihn mit Gewalt zurückzuholen; denn sie sagten: Er ist von Sinnen. (Markus 3,21)

Man hört förmlich, wie es geifernd in den Gassen Kafarnaums schallt: Jesus muss weg! Jesus muss weg!

Die Besitzstandswahrer aller Zeiten sind bereit alles zu tun, um ihr Hab und Gut zu bewahren. Zur Not eben auch mit der Inkaufnahme der physischen Vernichtung derer, die nicht dem eigenen kleinkarierten Lebensentwurf entsprechen. Wer aber so im Pixelformat denkt, wird nie die Schönheit eines Bildes im Ganzen erkennen können.

Und so arbeiten die Nationalisten weiterhin an ihrem Traum eines zerstörten Europas. Es ist ein Alptraum, den der Kontinent in seiner über tausendjährigen Geschichte schon mehrfach erlebt hat. Die Toten etwa des dreißigjährigen Krieges klagen heute noch genauso wie die der beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts. Millionenfach rufen ihre Seelen aus dem Jenseits auch heute ihre Mahnungen vor jeder Form von Nationalismus in die Welt; millionenfach klagen die Opfer des Holocaust auch heute noch jede Form von Rassismus an. Nie, nie wieder sollte das in Europa passieren! Nie, nie wieder! – aber ist sind nur Klagen, die in Zeiten von HD und 4K so verrauscht und unwirklich klingen, dass die digital geschönte virtuelle Realität sie bloß altbacken und irrelevant erscheinen lässt. Wiederholt sich die Geschichte wirklich?

Noch ist Zeit, Zeit zum Erwachen. Noch ist Europa nicht verloren. Noch hat der Stier die Kraft, sie an das rettende Ufer zu bringen. Das Rezept liefert Jesus, der Sohn Gottes selbst im Evangelium vom 10. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres B:

Wer den Willen Gottes erfüllt, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter. (Markus 3,35)

Heil wir die Welt, wenn nicht die Blutsbande zählen. Heil wird die Welt, wenn der Wille Gottes erfüllt wird. Heil wird die Welt, nicht wenn man Kreuze bloß annagelt; heil wird die Welt, wenn man das Kreuz selbst auf sich nimmt und sich auf die Botschaft des vom Kreuzestod Auferstandenen festnageln lässt. Heil wird die Welt, wenn nicht jeder nur an sich denkt, damit an jeden gedacht ist, sondern wenn man dem Beispiel des Paulus folgt:

Alles tun wir euretwegen, damit immer mehr Menschen aufgrund der überreich gewordenen Gnade den Dank vervielfachen, Gott zur Ehre. (2 Korinther 4,15)

Wer Dank und Friede vervielfachen will, muss den Willen Gottes tun – nicht um seiner selbst willen, sondern um der anderen willen. First! – das ist kein guter Rat für die, die ein Abendland schützen wollen, das sich auf den Christus beruft – jenen Christus, der zu irdischen Lebzeiten höchst konkret gesagt hat:

Viele Erste werden Letzte sein und Letzte Erste. (Matthäus 19,30)

Europäer aller Länder – überlegt es euch. Abgerechnet wird zum Schluss. Wer jetzt nur „First“ sein will, ist nur ein Scheinriese, der beim Näherkommen nur ein Zwerg ist. Heiliger Tur Tur, bitte für uns. Europa ist schließlich kein Lummerland!

Dr. Werner Kleine

Author: Dr. Werner Kleine

Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.

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