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kath 2:30 Dies DominiDies Domini – Vierter Adventssonntag, Lesejahr B

Die Frucht der Aufklärung, so hat es allenthalben den Anschein, ist die Furcht vor dem Unbekannten. Die Furcht schlägt die Vernunft in die Flucht, derweil der aufgeklärte Mensch der Postmoderne sich im Glanz des geflohenen Verstandes sonnend Meinungsfreiheit in Anspruch nimmt. Sein Wahlspruch ist nicht mehr das altehrwürdige „Sapere aude“ – Wage es, weise zu sein!, sondern das Weisheit nicht unbedingt voraussetzende „Das wird man doch wohl noch sagen dürfen!“. Unter dem Mäntelchen der grundrechtlich verbürgten Meinungsfreiheit spricht man dann gerne anderen ebenso verbürgte Grundrechte ab. Und so dichtet und denkt das Volk der toten Dichter und Denker schon lange nicht mehr, sondern folgt lieber Führern von Meinungen, die vor allem auf dem Hörensagen beruhen, Gerüchten und behaupteten Verschwörungen, deren Fundament die Angst ist, die aus dem Verlust der eigenen Identität erwächst.

Es ist in Wirklichkeit der Horror vacui hominis in se incurvati, die Angst vor der Leere des in sich selbst verkrümmten Menschen, die sich hier Ausdruck verleiht. In seinem Streben nach Autonomie hat der postmoderne homo sciens, der Mensch, der alles zu wissen glaubt, nicht nur den Himmel leer geräumt. Er hat auch die Mythen als das entlarvt, was sie sind: Mythen eben, identitätsbildende Erzählungen, die die Welt in einer Weise bildhaft erklären und erschließen, wie es mathematische Formeln nie leisten werden. Man kennt das Heranwachsenden: Wer als Kleinkind noch dem Mythos des Weihnachtsmannes erlag, hat als Schulkind seine Freude an der Entdeckung des Geheimnisses. Er entdeckt, dass sich hinter dem Mythos des Weihnachtsmannes die Realität vielleicht des liebenden Vaters verbirgt, der seinem Kind eine Freude macht. In der Pubertät aber wird sich der natürliche Konflikt mit dem Vater auch in der völligen Dekonstruktion des Weihnachtsmannes entladen. Die aufkommende Autonomie zerstört den Mythos. An seine Stelle tritt das Ich, das kleine, unerfahrene Ich des pubertären Gernegroß. Viele, allzu viele bleiben hier in ihrer mythischen und religiösen Entwicklung stehen. Sie schaffen es nicht, eine wahre Identität auszubilden und das Geheimnis neu zu entdecken, nicht mehr im kindlichen Mythos, sondern im Symbol. Dem postmodernen Menschen ist diese Fähigkeit symbolischer Kommunikation weitestgehend abhanden gekommen. Er ist nicht mehr in der Lage, metaphorisch zu denken und zu sprechen, Gleichnisse bleiben ihm fremd. Er kennt nur noch die scheinbare Realität des Hören-Sagens. Die Vielschichtigkeit der Kommunikation bleibt ihm verschlossen. Die damit verbundene Fähigkeit einer gereiften Persönlichkeit, sich selbst zu relativieren, ja das Glück des Zweifels, der die Motivation ist, tiefer und intensiver nach der Wahrheit zu suchen, verursacht dem, dessen Identität eine bloß behauptete ist, Angst und Panik. Wer ausruft, er dürfe das doch wohl mal sagen, zeigt diese Angst. Denn abgesehen davon, dass die Meinungsfreiheit ihre Grenze an der Tatsachenleugnung findet, erweist sich der, der sich erkundigt, ob er etwas darf, als nicht so autonom, wie er zu sein glaubt.

Auch in diesen Tagen ziehen die verängstigten Indentitätslosen wieder durch die Straßen und machen sich als patriotische Europäer gegenseitig Mut, indem sie sich einer Identität versichern wollen, die sie längst verloren haben. Sie beschwören ein Abendland, dass ebenso mythologisch ist, wie ein europäisches Vaterland, dem sich manche jetzt patriotisch zugeneigt fühlen, die vor der letzten Europawahl noch für weniger Europa eingestanden sind. Nein, die, die sich hinter dem Wall der Pegida-Plakate verbergen, eint vor allem die Angst, eine Angst, die sich aus dem Verlust der eigenen Identität ergibt. Sie kennen ihre Traditionen nicht mehr. Sie haben den Glauben verloren und damit einen Grund, auf dem man stehen kann. Wer so durchs Leben flattert, bekommt natürlich Angst vor denen, die einen festen Grund haben auf dem sie stehen. Alles Rituelle wird dann verdächtigt, jedes Dogma gebrandmarkt. Der Hoffnungsstreif der Religion wird zum Chemtrail der Postmoderne. Das System, ruft man dann, das System sei gefährlich. Manipulation und Magie überall. Die Angst hat diese Aufklärerischen längst des Verstandes beraubt. Argumente und Tatsachen können diesen Kreationisten selbstgemachter Wirklichkeiten nun wirklich nichts mehr anhaben. Weil man nichts mehr glaubt, kann man auch niemandem mehr glauben.

Den Zustand dieser eigentlich nur als Realsatire aufzufassenden Ereignisse hat jüngst Christoph Bersch, Kreisdechant des oberbergischen Kreises, in einem Facebook-Posting auf den Punkt gebracht. In einem Eintrag vom 20. Dezember 2014 schreibt er:

„Gerade lese ich in der Zeitung, dass die PEGIDA am 5.Januar 2015 in Köln demonstrieren will. Wie passend!
Genau in diesen Tagen des Jahresanfangs rotten sich alljährlich tausende junger Menschen – die Kleidung verrät sie! – aus dem Orient zusammen und belästigen Menschen an den Haustüren mit ihren Gesängen. Schlimmer noch: sie schmieren an die Türen Zeichen wie * 20 + C + M + B + 15 * und treiben auch noch Geld ein. Für Ausländer! Angeblich in Not geratene Kinder.
Dieses Treiben hat ausgerechnet in Köln seinen Ausgangspunkt genommen, als hier im Jahre 1164 die Überreste dreier fragwürdiger Männer mit unbekannter Herkunft ankamen, vermeintlich ‚Weise aus dem Morgenland‘ genannt. Ob es nicht doch eher gerissene Islamisten sind, die sich, als Tote getarnt, in eine christliche Kirche eingeschlichen haben? Jedenfalls wird gerade in diesen Tagen, die man verharmlosend ‚Dreikönigsfest‘ nennt, die Überfremdung besonders augenscheinlich. Also liebe PEGIDA: Kampf den Sternsingern in Köln!“

Dieses Statement bringt die Identitätsvergessenheit der pegidischen Verfechter des Abendlandes auf den Punkt. Es ist Abend geworden in ihrem Gemüte, die Sonne des kulturellen Wissens ist längst untergegangen und Finsternis ist eingekehrt in den Seelen. Ihr Weisen aus dem Morgenland, lasst uns nicht alleine mit diesen Dunkelmännern, helft uns, dass die Sonne aufgeht, denn das Licht kommt vom Osten; im Orient geht uns täglich neu die Sonne auf.

„Licht vom Osten“ – so betitelte 1908 Adolf Deissmann sein damals wegweisendes Werk über das Neue Testament und die neuentdeckten Texte der griechisch-römischen Welt. Er selbst schreibt im Vorwort:

„Das Buch hat einen absonderlichen Titel. Aber ehe Ihr den Titel scheltet, schaut selbst einmal die Sonne des Ostens! Nehmt auf der Burghöhe von Pergamon das wundersame Licht wahr, das den Marmor hellenistischer Tempel in der Mittagsstunde umspielt, (…) prüft, über welche Töne dieses Licht auch innerhalb steinerner Mauern gebietet, wenn in Ephesos durch das zerfallene Dach einer Moschee ein Stück teiflauen Himmels auf eine antike mit einem Feigenbaum vermählte Säule herableuchtet (…): ein Dämmern hebt an, ein Flimmern und Weben; der Strahl scheint sich aus sich selbst heraus zu verdoppeln, zu verzehnfachen; es tagt, Ihr versteht die fromme Meinung der Wandfresken udn Schriftzeilen und Ihr vergeßt die traurige Ärmlichkeit, die dieses Heiligtum gebaut hat.
Nehmt dann diesen einzigen Strahl mit, als Euer Eigentum, über die Alpen in Eure Arbeitsstätte: wenn Ihr antike Texte zu entziffern habt, der Strahl wird Stein und Scherbe zum Reden bringen; wenn Ihr Bildwerke der Mittelmeerwelt zu betrachten habt, der Strahl wird alles beleben (…); und wenn Ihr gar gewürdigt seid, die heiligen Schriften zu studieren, der Strahl wird Euch die Apostel und Evangelisten auferwecken, wird Euch leuchtender  noch denn zuvor die hehre Erlösergestalt aus dem Osten zeigen, zu deren Verehrung und Nachfolge die Gemeinde verbunden ist.
Und wenn Ihr dann vom Osten redet, müßt Ihr, Ihr könnt nicht anders, vom Lichte des Ostens reden, beglückt durch seine Wunder, dankbar für seine Gaben!“ (A. Deissmann, Licht vom Osten. Das Neue Testament und die neuentdeckten Texte der griechisch-römischen Welt, Tübingen 1908, S. V, Hervorhebungen und Schreibweise im Original).

Das alles ist heute vergessen; vergessen ist die Herkunft der sogenannten abendländischen Kultur aus dem Osten. Die viel beschworene jüdisch-christliche Kultur ist vergessen. Der Wert der Offenbarung, die die Aufklärung ergänzt, wird nicht nur nicht mehr geschätzt – sie ist vielen schlichtweg nicht mehr bekannt. Wer Gott nicht mehr die Ehre gibt, verliert die Ehrfurcht vor dem Menschen. Stattdessen wird der leere Thron Gottes von denen besetzt, die die Wahrheit gepachtet zu haben glauben, von den Zweifellosen, die ihre Angst mit dem Opium der Meinungsfreiheit betäuben wollen. In ihrem pubertären Stolz haben sie die Religion als das entlarvt, was sie ist: Religion, Rückbindung an einen Gott, demgegenüber der Mensch sich selbst relativieren muss. Der Stolz der eigenen Autonomie hat sie geblendet für die Klarheit der Erkenntnis, dass Gott nicht nur ein Abendland geschaffen hat, sondern auch ein Morgenland, und dass es Gott gefallen hat, das Abendland und das Morgenland auf ein und denselben Planeten zu setzen. Sie haben vergessen, diesem Gott die Ehre zu geben, wie es Paulus in der zweiten Lesung des vierten Adventssonntages im Lesejahr B tut:

Ehre sei dem, der die Macht hat, euch Kraft zu geben – gemäß meinem Evangelium und der Botschaft von Jesus Christus, gemäß der Offenbarung jenes Geheimnisses, das seit ewigen Zeiten unausgesprochen war, jetzt aber nach dem Willen des ewigen Gottes offenbart und durch prophetische Schriften kundgemacht wurde, um alle Heiden zum Gehorsam des Glaubens zu führen.
Ihm, dem einen, weisen Gott, sei Ehre durch Jesus Christus in alle Ewigkeit! Amen. (Römerbrief 16,25-27)

Sicher: Der eine oder andere mag jetzt zürnen, das sei doch gutmenscherische Naivität, diese Offenheit für alles und jeden! Aber dieser Einwand zeugt nur wieder von großer Unkenntnis über die Kraft des Glaubens. Denn wer sich zum Bund Gottes mit den Menschen bekennt, den Gott zuerst mit Noah, Abraham und Mose geschlossen hat und der in Jesus Christus endgültig alle Menschen verheißen ist, wer in diesem Sinn wirklich katholisch (universell) ist, der kennt nicht nur keine Ausländer mehr; er bekennt sich vor allem zu einem Gott, der Mensch wird und sich wie ein Sünder am Kreuz sterbend  mit den Schwachen und Verfolgten identifiziert. Wer so glaubt, wird um Gottes willen jedem in dem Arm und auf den Mund fallen müssen, der sich über die Schwachen in der Welt erhebt, über die Minderheiten im eigenen Land, über die, die in ihrer Heimat Haus und Familie verloren haben, über die, die Tod und Folter gerade noch so entronnen sind. Er wird sich ihnen entgegenstellen müssen, seien es Morgen- oder Abendländer. Ein naiver Glaube ist Kindern hilfreich, gereifte Erwachsene hingegen sollten die pubertäre Identitätssuche hinter sich haben.

Ist es da wirklich ein Zufall, wenn am 21. Dezember 2014, dem vierten Adventssonntag die O-Antiphon in der Vesper lautet:

O Oriens,
splendor lucis aeternae,
et sol justitiae,
veni, et illumina
sedentes in tenebris
et umbra mortis.

(O im Osten aufgehender Stern,
Glanz des ewigen Lichtes,
du Sonne der Gerechtigkeit,
komm, o Herr, und erleuchte uns,
die wir sitzen in Finsternis
und im Schatten des Todes.)

Wohl kaum. Fürchtet euch also nicht!

Dr. Werner Kleine

Author: Dr. Werner Kleine

Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.

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