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kath 2:30 Aktuell LogoDas Christentum und die Beschneidung

Das Urteil, mit dem das Landgericht Köln Ende Juni 2012 die Rechtswidrigkeit religiös motivierter Beschneidungen festgestellt hat, hat eine heftige Kontroverse ausgelöst. Dabei fällt auf, dass die Kampflinie durch die jeweiligen Standpunkte bestimmt wird, die die Kontrahenten aufgrund ihrer jeweiligen Profession innehaben. Juristen sehen die Rechte des Kindes gefährdet, Mediziner die körperliche Unversehrtheit des Kindes und Theologen die Religionsfreiheit. Jeder steht für seine Werte ein – aber niemand scheint in der Lage zu sein, die Werte gegeneinander abzuwägen. Denn eins steht fest: Nur der jeweils eigene Wert ist es wert beachtet zu werden.

Es ist heute kaum mehr bekannt, dass der Streit um die Beschneidung nicht sonderlich aktuell ist. Er hat seine Wurzeln im frühesten Christentum und war neben anderen Aspekten ein Anlass für die Trennung von Christen- und Judentum. Es ging seinerzeit um die Frage, ob, wer Christ werden möchte,  zuerst Jude werden muss; oder einfacher gesagt: Muss einer Taufe eine Beschneidung vorausgehen oder nicht.

Das Christentum in den ersten beiden christlichen Jahrzehnten war in dieser Angelegenheit uneins. Die in Jerusalem ansässige Urgemeinde ging von einem Beschneidungsgebot aus. Wer Christ werden wollte war immer auch Jude und zur Einhaltung der 613 Weisungen der Thora verpflichtet. In der aufstrebenden christlichen Gemeinde Antiochiens, die in einem eher heidnischen Umfeld entstand, praktizierte man aber eine Taufe ohne vorherige Beschneidung. Auf diese Weite entstanden innerhalb des Christentums zwei Gruppierungen: Juden- und Heidenchristen.

Aufgrund der damals geltenden jüdischen Reinheitsvorschriften war Juden – und damit auch den Judenchristen – ein Kontakt mit Heiden nicht ohne weiteres möglich. Für die neu entstandene Kirche wurde das zu einer Belastungsprobe, die letztlich zum ersten Konzil, dem Apostelkonzil führte. Dort wurde vereinbart, dass den Heiden die Beschneidung nicht auferlegt werden soll. Von nun an galt die Taufe ohne Beschneidungspflicht. Theologisch ist die christliche Befreiung von der Beschneidungspflicht im Kreuzestod Jesu begründet. Paulus, der Vertreter der Heidentaufe schlechthin, führt diese Begründung im Galaterbrief aus: Jesus, in dem Christen den Sohn Gottes erkennen, stirbt am Kreuz wie ein Gesetzesbrecher. Indem Gott ihn aber trotzdem von den Toten auferweckt, wird klar, dass das Gesetz kein Maßstab für das Heil ist: Gottes Gegenwart gilt allen, er ruft alle ohne Unterschied zu sich. An die Stelle Paulus folgert daraus: „Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau; denn ihr alle sei ‚einer’ in Christus Jesus.“ (Brief an die Galater 3,28)

Der Streit um die Beschneidung der Vorhaut ist also mitnichten nur ein medizinisches oder juristisches Problem. Wenn Gerichte eines (noch) vornehmlich christlichen Staates über das Präputium urteilen, präferiert das alte Ressentiments, die ihren Grund in der frühesten Zeit der Auseinandersetzung von Juden- und Christentum haben. Hoffentlich bedenken das die Vielen, die sich jetzt ein Urteil bilden, sonst könnte sich die gegenwärtige jüdisch-muslimische Irritation als bloßes Präludium zu einem ausgewachsenen Kulturkampf erweisen.

Dr. Werner Kleine

Author: Dr. Werner Kleine

Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.

5 Kommentare

  1. Peter Otten schrieb am 20. September 2012 um 15:28 :

    „Wer gegen alle Vernunft glaubt“, schrieb Volker Heise in der Frankfurter Rundschau „und sein Heil nicht nur in Rentenversicherungen, Fernsehapparaten oder Ferien auf Mallorca sucht (die vornehme Variante: Apple-Computer, Theaterbesuch, Haus in der Uckermark oder im Taunus), der gilt den durchsäkularisierten Deutschen als verdächtig.“ Und weiter: „Sie füttern ihre Kinder jährlich mit 1,8 Tonnen Ritalin und verachten am Gläubigen, was sie verloren haben: die Hoffnung.“ Ein provokanter anregender Gedanke, dem ein Theologe viel abgewinnen kann. Eine Tragik bei der Diskussion um die Beschneidung ist von daher auch, dass die Sprache der Religion für viele Menschen unverständlich geworden ist, was sich in der Debatte massiv zeigt.

    Dennoch: Navid Kermani sagte in diesem Zusammenhang in der SZ: „Aufklärung, wie sie gerade auch die deutsche Philosophie gelehrt hat, würde heißen, die eigene Weltanschauung zu relativieren und also im eigenen Handeln und Reden immer in Rechnung zu stellen, dass andere die Welt ganz anders sehen.“ Heißt das nicht auf die sich aufgeklärt verstehende Religion angewendet, dass das Rituelle in der Religion nicht auch veränderbar ist, ja womöglich sogar sein muss?

    • Daniel Offermann schrieb am 23. September 2012 um 21:01 :

      Zu Herrn Ottens letzter Frage möchte ich ergänzen:
      – Stimmt es, dass der Ritus der Beschneidung vor-islamisch und sogar vor-jüdisch ist?
      – Welcher Inhalt steckt genau hinter der Beschneidung – oder ist es nur ein Ritus um des Ritus willen (Zugehörigkeit zum Judentum per definitionem)?
      – Ist dieser Ritus nicht eher archaisch, im Sinne einer Hervorhebung der männlichen Zeugungskraft zu verstehen (Geschlecht, nicht der Glaube definiert die Gottesbeziehung)?
      Oder:
      – Geht es (auch!) in den Büchern Mose nicht eher um „die Beschneidung der Vorhaut des Herzens“, wie ich einmal gelesen habe?

      Sollten diese Fragen berechtigt sein, sollte – bei allem Respekt vor der Tradition des Judentums – jetzt erst recht eine ressentiment-freie Diskussion in Gang kommen (wie ich gehört habe, gibt es durchaus Strömungen im israelischen und amerikanischen Judentum zur Abschaffung der Beschneidung).

      • Dr. Werner Kleine schrieb am 23. September 2012 um 21:39 :

        Eine kurze Antwort auf Ihre Fragen:

        – Die Beschneidung ist gesichert vor-jüdisch (und damit eben auch vor-islamisch). Sie ist mindesten im Ägypten der Pharaonenzeit durchgeführt und dort auf Reliefs dargestellt worden. Sie entstammt offenbar einem wüstennomadischen Stammesritual, dessen Ursprünge allerdings nicht mehr nachweisbar sind.
        – Im jüdischen Kontext wird die Beschneidung mit Verweis auf Gen 17,1-27 als Bundeszeichen verstanden. Es ist das äußerlich sichtbare Siegel des Bundes des Volkes Israel mit seinem Gott JHWH, das von diesem nach der Verheißung der Nachkommenschaft an Abraham gefordert wird.
        – Was die Beschneidung mit Zeugunskraft zu tun haben soll, ist nicht einsichtig. Sie ist vielmehr von jeher auch aus hygienischen Gesichtspunkten empfohlen worden. Noch heute empfiehlt die WHO die Zirkumzision (medizinisch für “Beschneidung” als wesentlichen Teil eines umfassenden Maßnahmenpaketes gegen die Ausbreitung das HIV-Virus in den Hochrisikoregionen Afrikas (vgl.: http://www.who.int/hiv/mediacentre/news68/en/)
        – Die “Beschneidung der Vorhaut des Herzens” findet sich tatsächlich in Dtn 10,16 (Einheitsübersetzung). Dort geht es aber nicht um eine Alternative zur physischen Beschneidung. Vielmehr wird dort deutlich gemacht, dass die äußerliche Beschneidung als Bundeszeichen seine Wirkung verliert, wenn der Bund nicht auch im Herzen, sprich im Leben des Menschen und seiner Haltung, eine entsprechende Realisierung erfährt. Das komplette Zitat lautet: “Ihr sollt die Vorhaut eures Herzens beschneiden und nicht länger halsstarrig sein.” (Dtn 10,16 EÜ).

        Ihre Fragen sind also berechtigt, führen aber zu keiner Lösung der Frage. Es wird bestenfalls zu einer Frage der Interpretation, ob eine äußerliche Signatur für den Bund mit Gott notwendig ist. Das aber kann von Außenstehenden nicht entschieden werden. Für uns Christen ist diese äußerliche Signatur im Ablegen de Glaubensbekenntnisses gegeben, das jeden Sonntag in der Eucharistiefeier geschieht. Bei einer Taufe geht dem noch die Absage an das alte Leben und das Böse voraus. Das mag auf den ersten Blick humaner wirken. Aber es bleibt m.E. schwierig, als Nichtjude über das jüdische Selbstverständnis in dieser Frage zu befinden.

        Trotzdem haben Sie Recht. Es gibt m.W. durchaus innerjüdische Diskussionen um die Frage der Bechneidung. Soweit ich gehört habe – aber das kann ich nicht sicher verifizieren – gibt es in England durchaus die Praxis eines beschneidungsfreien Judentums. Aber das ist – wie gesagt – eine (noch) nicht verifizierte Aussage.

        In jedem Fall bleibt es schwierig, über andere Religionen zu urteilen, denen man nicht selbst angehört. Dass die Beschneidung an sich nicht negativ beurteilt werden darf, zeigt die Empfehlung der WHO. Ob die Beschneidung an Kindern, die ihren Willen nicht frei erklären können, vollzogen werden soll, ist sicher diskutabel – auch wenn die Weisung von Gen 17,12 eine Beschneidung am achten Lebenstag vorsieht (das bedeutet übrigens, dass auch Jesus nach Lk 2,21-24 beschnitten worden sein dürfte). Die außerjüdischen Ressentiments gegenüber der Beschneidung – zumindest soweit sie sich jenseits der medizinischen und juristischen Argumentationen bewegen – erscheinen mir jedenfalls problematisch, insofern hier zumeist über etwas geurteilt wird, dessen religiöse Dimension und Begründung sich den Kritikern zumeist nicht erschließt. Das wäre aber für eine sachliche Auseinandersetzung notwendig.

  2. Peter Otten schrieb am 26. September 2012 um 15:23 :

    Johannes Röser schrieb in „Christ in der Gegenwart“: Der Kölner Eingriff in religiöse Belange berührt allerdings ein noch weitaus größeres Problemfeld: Die Religionen – einschließlich des Christentums – neigen dazu, sich trotz mancher Reformbemühungen von einem starren Traditionalismus leiten, gefangen nehmen zu lassen. Aufklärerische Einsichten werden oftmals derart lange verweigert, bis es fast nicht mehr geht. Zweifellos ist die Beschneidung – ähnlich wie das Schächten von Tieren – mit archaischen, mythologischen, magischen Gottesvorstellungen und entsprechendem Opferverständnissen verbunden. Diese haben in einem naturwissenschaftlich geprägten Glaubens- und Weltverständnis jedoch radikal an Bedeutung und Nachvollziehbarkeit verloren.“ Du sagst, Außenstehende könnten nicht entscheiden, ob eine äußerliche Signatur für den Bund mit Gott notwendig ist. Ich meine aber andererseits, dass aufgeklärte religiöse Menschen dafür werben müssen, dass auch die Religionen sich aufgeklärt verhalten, also um die eigenen Grenzen wissen, sich also selber anfragen.

    • Dr. Werner Kleine schrieb am 26. September 2012 um 22:40 :

      Deiner Auffassung, „dass aufgeklräte religiöse Menschen dafür werben müssen, dass auch die Religionen sich aufgeklärt verhalten, also um die eigenen Grenzen wissen, sich also selber anfragen“, kann ich nur zustimmen. Aber eben werben und argumentieren – und nicht aufoktroyieren.

      Ich glaube, dass das gerade eine herausragende Aufgabe und Eigenschaft des christlichen Glaubens ist. In dem von mir in dem Beitrag bereits zitieren Galaterbrief heißt es ja schon:
      „So waren auch wir, so

      lange wir unmündig waren, Sklaven der Elementarmächte dieser Welt.“ (Gal 4,3);
      und später:
      „Einst, als ihr Gott noc

      h nicht kanntet, wart ihr Sklaven der Götter, die in Wirklichkeit keine sind. Wie aber könnt ihr jetzt, da ihr Gott erkannt habt, vielmehr von Gott erkannt worden seid, wieder zu den schwachen udn armseligen Elementarmächten zurückkehren? Warum wollt ih von neuem ihre Sklaven werden? Warum achtet ihr so ängstlich auf Tage, Monate, bestimmte Zeiten und Jahre?“ (Gal 4,8-10)

      Das Christentum hat von seinem Ursprung her eine aufgeklärte Dimension (auch wenn diese zweifellos immer wieder von innen her bedroht wird). Und gerade hier ist es zweifellos die Aufgabe der Christen, archaische, mythologische und magische Gottesvorstellungen in Frage zu stellen (was m.E. auch nach innen immer wieder notwendig ist!). Und trotzdem: Die Aufklärung geht Hand in Hand mit der Toleranz. Aufklärung kann nur geschehen, wenn die entsprechenden Kanäle geöffnet sind und nicht geschlossen werden. Das scheint mir bei der gegenwärtigen Debatte aber die große Gefahr zu sein. Um aufzuklären, muss ich den Standpunkt des Gegenübers zuerst einmal verstehen. Und da scheint die Beschneidung gerade für Juden doch ein unabdingbares Element der eigenen Identität zu sein. Das mag man archaisch finden. Es ändert aber zuerst einmal nichts an der Identitätsfrage.

      Tatsächlich wird man möglicherweise andere Wege finden. Das Schächten von Tieren etwa ist mittlerweile gesetzlich geregelt. Ähnlich verhält es sich ja mit dem gerade aktuell veröffentlichten Gesetzesentwurf zu Beschneidung. Das Judentum selbst hat in seiner Geschicht aber Paradigmen, an denen man sich orientieren kann: Galt früher der Jerusalemer Tempel als Sitz der Herrlichkeit Gottes und damit als unverzichtbarer Ort der kurlischen Verehrung Gottes, mussten sich die Juden nach dem Verlust und der Vernichtung des Tempels im Jahr 70 n.Chr. durch die Römer neu definieren. Es entstand das rabbinische Judentum, das bis heute existiert.

      Es bleibt also die Frage, ob die jüdische bzw. die muslimische Identität wirklich an der Beschneidung hängt. Ich schrecke persönlich nur davor zurück, als Christ Juden und Muslimen ihre Identität zu erklären. Das lassen wir mit uns doch auch nicht machen. Es bleibt ein Prozess der inneren Selbstfindung. Dass das nicht einfach ist, sollten wir Christen am Besten wissen: Obwohl uns die klar sein sollte, dass die Sünde ihre Macht vor Gott verloren hat und dass uns nichts von der Liebe Gottes trennen kann, gibt es doch immer wieder Anordnungen, die kirchliche Bußpraxis betreffend, äußerliche Regelungen in Form von Ge- und Verboten usw. usw. – Dinge, die der ursprünglichen christlichen Intention widersprechen. Wie las ich gestern auf Facebook, als es um die Äußerung von Kard. Brandmüller ging, der Dialog habe keine biblische Grundlage (was an sich schon nicht stimmt, weil das griechische Wort „homilein“, das sich etwa im Rahmen der Emmausgeschichte in Lk 24,14f findet, soviel wie „sich miteinander besprechen“ – als Dialog – bedeutet), dass auch die Unfehlbarkeit, Papst und Enzyklika keine biblischen Begriffe sind. Auch die christliche Identität, zu der die mündige, freie und undeligierbare Verantwortung des Einzelnen vor Gott gehört, will auch nach 2000 Jahren Christentumsgeschichte immer wieder neu errungen werden.

      Daher stimmt ich Dir zu: Aufklärung ja, aber mit tolerantem und kommunikativem Augenmaß. Gesetze sind das eine, Einsicht das andere. Wenn die Menschen begreifen, dass man sich das Heil nie verdienen kann, weder durch Beschneidungen noch durch regelmäßigen Messbesuch, dann wäre viel gewonnen. Aber gerade da sind wir wieder bei dem christlichen Auftrag, die Freiheit der Kinder Gottes zu verkünden: „Ihr seid zur Freiheit berufen, Brüder und Schwestern! Nur nehmt die Freiheit nicht zum Vorwand für das Fleisch, sondern dient einander in Liebe!“ (Gal 5,13) Beim Streit um die Vorhaut sollte das nicht vergessen werden, denn können wir aufklären, wenn die Kommunikation verdunkelt wird?

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