Dies Domini – 20. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr A
Die Welt ist voll von schönem Schein. Verpackungen gaukeln großen Inhalt vor, wo nur kalte Luft ist. Die Behaglichkeit des eigenen Heims vermittelt Sicherheit in einer komplexen Welt. Mit Betroffenheitsaktionismus kaschiert man angesichts der vielen Konflikte in der Welt die eigene Ohnmacht. Und nicht selten vernebeln wohlfeile Worte eine unliebsame Wirklichkeit – und das nicht nur in der Politik.
Der Mensch neigt offenkundig dazu, das Unliebsame, das Gefahrvolle, das Unschöne auszublenden. Das ist in gewissem Sinn sogar existentiell notwendig. Die Gefahr bedroht die eigene Existenz. Die Wahrnehmung der Gefahr war für die frühen Menschen lebensnotwendig. Diese Gefahren waren aber unmittelbar und real gegenwärtig. Sie erforderten eine sofortige Reaktion. Der Körper setzt Adrenalin frei, das entweder Flucht oder Angriff ermöglicht.
Der technische Fortschritt bringt es nun mit sich, dass die Krisen der Welt, von denen die Altvorderen möglicherweise nie, bestenfalls nach Wochen oder Monaten Kunde erhalten haben, in Echtzeit über Glasfaserkabel die Wohnzimmer erreichen. Der Genius des modernen Menschen mag die Technik beherrschen, nicht aber die von der Amygdala gesteuerten archaischen Reaktionsschemata, die immer noch im Zentrum des menschlichen Gehirns die ehemals existenzerhaltenden Funktionen steuert. Und so lösen die verstörenden Bilder und Nachrichten Reaktionen der Angst aus. War diese Angst früher segensreich, weil sie den Menschen in Stand setzte, auf eine real gegenwärtigen Gefahr angemessen zu reagieren, so geht sie heute ins Leere. Die eigentliche Bedrohung ist zu weit weg. So wächst die Angst, weil sie nicht abreagiert werden kann. Die Angst ist virtuell. Wer nicht fliehen kann, weil er nicht zu fliehen braucht, und wer nicht kämpfen kann, weil er nicht zu kämpfen braucht, muss andere Kanäle finden, seine Ängste abzuleiten. Und so entwickelt der Mensch virtuelle Abwehrstrategien, um die Angst fernzuhalten. Der schöne Schein ermöglicht das moderne Leben; das moderne Leben braucht den schönen Schein.
Der schöne Schein treibt manchmal skurrile Blüten. Gerade die medialen Sommerlöcher schwemmen sie nach oben, um die eigene Hohlheit zu füllen. Stammtische leben von den Architekten potiemkinscher Dörfer ohne Fundament. Und auch in den viel gelobten sozialen Netzwerken und Kommentarfunktionen von Online-Zeitungen wird deutlich, wohin die Segnungen modern-digitaler Kommunikation führen: Jeder darf – Gott lob! – sagen, was er denkt. Leider zeigt nicht jeder in dem, was er sagt, dass er gedacht hat.
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Dies Domini – 19. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr A
Das Auge gehört sicher zu den komplexesten Organen, die die Evolution hervorgebracht hat. Die Komplexität dieses Organs, die Umwandlung photonisch-physikalischer Impulse in elektrische Signale, die das Gehirn als Bilder wahrnimmt, ist für sich genommen schon eine Herausforderung. Der Mensch ist zwar in der Lage, die optischen Signale als solches in Film und Foto zu fixieren. Die vitale Qualität des Reiz-Reaktions-Schemas und die menschliche Fähigkeit, die optischen Reize mit Bedeutung zu versehen, ist bisher nicht künstlich zu reproduzieren. Nicht selten ist es daher gerade die Komplexität des Auges, die angesichts dieses Meisterwerkes der Evolution vor die Frage führt, ob ein solches Organ wirklich nur ein Produkt des Zufalls sein kann.
Das Auge versetzt den Menschen in die Lage, die Farben und Formen der Welt wahrzunehmen. Er erkennt die Vielfalt und Buntheit der Welt, in der er seinen Platz finden muss. Sehen und Erkennen werden nicht umsonst in der deutschen Sprache synonym verwendet. Allein der Aspekt des Erkennens zeigt schon, dass „Sehen“ nicht nur ein optisches Phänomen ist. Man muss nicht physikalisch sehen können, um Erkenntnis über die Vielfalt der Welt zu erlangen.
Um so erstaunlicher ist es, dass viele Menschen – nicht nur in der Gegenwart – offenkundig nur zu einem Denken in Schwarz-Weiß-Mustern in der Lage sind. Grauabstufungen und Buntheit sind wohl zu komplex und überfordern das eigene, selbstgestrickte Weltbild. Eine Welt, die in Freunde und Feinde aufgeteilt ist, ist leichter zu beherrschen als eine differenzierte Welt, in der man seinen eigenen Standpunkt immer wieder selbst in Frage stellen muss. Eine bunte Welt fordert intensive Kommunikationen, ständige neue Selbstvergewisserungen, weil nichts so scheint, wie es eben noch aussah. Eine bunte Welt fordert ständige Evolution, Weiterentwicklung des Selbst. Das ist anstrengend und herausfordernd. Manch einer möchte da doch lieber weiter bei seinen einfachen Denkmustern bleiben.
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Dies Domini – 29. Juni 2014, Hochfest der Apostel Hl. Petrus und Hl. Paulus
Der Mangel an Fachkräften ist ein mittlerweile viel beklagtes gesellschaftliches Problem. Es fehlt an Facharbeitern und Handwerkern. Es fehlt offenkundig an Menschen, die nicht nur mit dem Kopf arbeiten. Es fehlt an denen, die mit Herz und Hand anpacken können und in der Lage sind, tatkräftig eine Idee oder eine Vision auch umzusetzen. Sie fehlen zunehmend in einer Gesellschaft, in der Luftschlösser und Karriereträume an die Stelle bodenständiger Realität getreten sind. Allzu viele vergessen, dass manch eine Karriere an dem einfachen Faktum scheitern wird, dass an der Spitze nicht nur Platz für einige Wenige ist, sondern dass dieser Weg auch hart erarbeitet sein will. Der Mangel an Fachkräften und Handwerkern ist deshalb vor allem auch ein Symptom für eine Gesellschaft, die den Boden unter den Füßen zu verlieren droht, weil immer mehr Einzelne ihre Bedürfnisse über die der Allgemeinheit stellen.
Auch die Kirche ist mittlerweile von einem tiefgreifenden Mangel an Fachkräften betroffen. Es ist sicher nicht so, dass es zu wenig Geweihte und Ungeweihte gibt, die ihren Dienst in der Kirche versehen. Das Handwerk der Verkündigung aber scheint nur ungenügend ausgeübt zu werden. Denn zur Verkündigung würde die Vermittlung der frohen Botschaft in die Welt von heute, in die konkrete gesellschaftliche Situation hinein gehören. Es gilt, Übersetzungsarbeit zu leisten, die alte Botschaft in eine neue Sprache zu kleiden.
Aber der Kirche mangelt es an Übersetzern. Sie sucht, wie es Matthias Dobrinski in einem Kommentar in der Süddeutschen Zeitung vom 10. März 2014 anlässlich der Wahl des neuen Vorsitzenden der deutschen Bischofskonferenz formuliert, nach einer neuen Sprachfähigkeit. Sie ist sprachlos geworden. Es mangelt ihr nicht an Worten. Aber sie erreicht die Menschen nicht mehr.
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Dies Domini – 12. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr A
Selten verbreiteten sich Gerüchte schneller als in diesen Tagen. Was früher von Mund zu Ohr und von Mund zu Ohr geflüstert würde, das zwitschern heute die digitalen Spatzen aus dem virtuellen Äther in die Welt. Und wie es sich für ein Gerücht gehört, reicht es, dass es den Geruch des Möglichen verbreitet. Und dieser Geruch ist hartnäckig, denn das Mögliche ist beständiger als das Wahre. Wahr ist immer nur eine Möglichkeit, möglich aber ist vieles. Die Wahrheit zu finden, ist mühsam. Die Wahrheit ist scheu. Wer die Wahrheit sucht, muss Licht ins Dunkel bringen. Wahrheit braucht Aufklärung und Erkenntnis. Das Gerücht hingegen entlastet von den Anstrengungen der Wahrheitssuche, denn was viele gehört haben, muss doch irgendwie auch wahr sein. Der und die haben es doch auch schon gehört. Und so haftet der Geruch der Gerüchte lange in den Kleidern; gegen ihre Ausdünstungen, die schwer in der Welt liegen, kann sich der leichte und lichte Duft der Wahrheit nur schwer durchsetzen.
Gleichwohl lebt auch das Gerücht von der Lust der Wahrheitsfindung. Es verbreitet sich ja gerade aufgrund der Illusion, man würde etwas Wahres, was nur wenigen zugänglich ist, meist unter dem Siegel der Verschwiegenheit erfahren. Und weil man vor Stolz in den Kreis einiger weniger Eingeweihter zu gehören platzen könnte, muss man sich natürlich mitteilen. Der Stolz der so Illuminierten lebt ja davon, dass sie vor der Welt leuchten wollen. Die eigene Eitelkeit überstrahlt dabei die Frage, ob an einem Gerücht überhaupt etwas dran ist. Denn die Aufdeckung, dass an einem Gerücht nichts dran ist, würde doch bedeuten, dass man einer Illusion aufgesessen sei. Der Illuminierte würde sich als kleines Licht offenbaren, die Einweihung als Betrug. Zu einer solchen Selbsterkenntnis sind wohl nur wenige fähig. Und so weicht die scheue Wahrheit allzu oft der Lust an einer selbstreferentiellen Relevanz.
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Dies Domini – Sonntag nach Pfingsten/Dreifaltigkeitssonntag, Lesejahr A
Vielleicht waren Sie in den letzten Wochen einmal im Kino oder haben sich einen Spielfilm im Fernsehen oder auf DVD angeschaut. Am nächsten Tag im Büro wollen Sie Ihren Kollegen erzählen, was sie gesehen haben, und versuchen, den Inhalt des Films möglichst kurz und prägnant zusammenzufassen. Haben Sie das schon einmal versucht? Wenn ja, dann wissen Sie, wie schwierig das ist. Schließlich darf nichts Wichtiges fehlen. Und es soll zudem so kurz wie möglich sein, denn langweilen wollen Sie Ihre Kollegen ja auch nicht.
Und so verwunderlich es klingt: Eine solche Zusammenfassung versucht der Evangelist Johannes im Evangelium des Dreifaltigkeitssonntages des Lesejahres A. Nur, dass es hier nicht um einen Film geht, sondern um die Botschaft des Evangeliums. Wo wir sonst eine schön ausgeschmückte Geschichte erwarten, beschränkt Johannes sich auf das Wesentliche. Klar und einfach, ohne originelle Verpackung, ohne Umschweife:
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Dies Domini – Pfingsten, Lesejahr A
Ein Kindergarten ist ein Abbild des Lebens. Wer immer begreifen möchte, wie Gesellschaften funktionieren, braucht nur einen Tag im Kindergarten zu verbringen. Die gruppendynamischen Gesetze sind hier unverstellt und in Reinform zu beobachten. Nach vorsichtigem Abtasten formen sich schnell typgerechte Rollenzuweisungen aus. Da ist das stille Kind, das aus der Distanz – manchmal mit dem Neid der Sitzengebliebenen – beobachtet, wie die anderen herumtollen. Dann gibt es das laute Kind, das nach Aufmerksamkeit lechzt. Dann gibt es das Konstrukteurskind, das die höchsten Türme baut, und das altkluge Kind, das immer eine Antwort hat und redet wie die Erwachsenen. Es gibt aber auch das Forscherkind, das das Terrain, das erst vor drei Jahren von der letzten Forschungsexpedition erschlossen wurde, kurz vor dem Kindergartenzaun hinter der Hecke neu entdeckt. Und das wehleidige Kind gibt es auch, das selbst nach kleinen Remplern ein Pflaster braucht. Es gibt auch das Chefkind, das der Bande vorsteht und bestimmt, was getan wird. Vor allem aber gibt es das liebe Kind, das die Leitung der Gruppe so mag. Darauf sind die anderen neidisch. Denn alle wollen geliebt werden. Alle wollen das liebe Kind sein. Für die Aufmerksamkeit der Erzieherin oder des Erziehers, für dieses eine öffentliche Lob, da geben die Kinder alles: Das hast du gut gemacht!
Zu den Gesetzmäßigkeiten eines Kindergartens gehört, dass selbst das Chefkind eigentlich nichts zu sagen hat. Die Gruppenleiterin bzw. der Gruppenleiter hat das Sagen. Und was er bzw. sie sagt, ist Gesetz. Sonst wird geredet. Geredet und besprochen, dass das so nicht geht, weil die anderen dann traurig sind. Es wird geredet, bis die Worte die Ohren verstopfen und der kleine, gerade erwachte Verstand unter dem Torf sozialpädagogischer Konfliktbewältigung erstickt. Vielleicht hören Kinder gar nicht auf das, was man ihnen sagt; vielleicht kapitulieren sie einfach vor der Macht der Worte, damit sie endlich wieder Kind sein und spielen gehen dürfen. Wenn der Preis heißt: Sei lieb! – dann muss es wohl sein. Wenigstens jetzt. Irgendwann, wenn die Kinder groß sind, ja dann werden sie es allen zeigen.
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Dies Domini – 7. Sonntag der Osterzeit, Lesejahr A
Der Alltag ist der Feind des Außergewöhnlichen. Nichts scheint der moderne Mensch mehr zu fürchten als die Tristesse des Alltäglichen. Bunt soll es sein das Leben und harmonisch, frei von Not, Kampf und Auseinandersetzung. Und wo man früher das Brot im Schweiße seines Angesichts zu verdienen hatte, da hält der Supermarkt des Lebens nun allerlei Zerstreuung bereit. Und immer schwebt über allem die Außergewöhnlichkeit der eigenen kleinen Existenz, die von nichts in Frage gestellt werden soll.
Vielleicht ist das das Geheimnis all der Katholiken und Kirchentage, der Parteikongresse und neuerdings auch Bloggerkonferenzen wie etwa re:publica. Unter Gleichgesinnten kann man sich ohne Gefahr die Köpfe heißreden und sich der Außergewöhnlichkeit der eigenen Gemeinschaft versichern. Wir sind besonders, weil wir wir sind. Sonst erkennt es ja keiner.
Aber auch der bunteste Kirchentag und die aufregendste Konferenz geht ihrem Ende entgegen. Und wer auf dem Katholikentag eben noch ein jubilierendes Halleluja gesungen hatte wird – wie der aus den Medien bekannte Franziskaner Bruder Paulus Terwitte twitterte – schon am Bahnschalter der gastgebenden Stadt schnell in die Realität zurückgeholt:
Kann http://ow.ly/i/5KuRa #bahn sagen, das in Rgbg #kt14 ist? Nur 2 von 5 Schaltern offen. (Quelle: Tweet Br. Paulus Terwitte)
Es ist schon bitter, wenn der Mülleimer zu Hause darauf wartet, entleert zu werden, wo man doch eindeutig zu Höherem berufen ist. Und so dürften nicht wenige Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Katholikentages 2014 in Regensburg in wenigen Tagen den Kirchenkater verspüren, wenn sie feststellen, dass der Sonntagsgottesdienst in der Heimatgemeinde ist wie immer.
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Dies Domini – 6. Sonntag der Osterzeit, Lesejahr A
Kirchenklischees bestimmen die Gegenwart. Und es sind beileibe nicht nur die Vorurteile derer, die der Kirche kritisch gegenüber stehen, mit denen sich der Glaubende konfrontiert sieht. Nein, es gibt auch Klischees, denen die Kirche selbst erliegt. Ein solches Klischee, das schier unausrottbar in zahlreichen Predigten, Radioansprachen, Vorträgen und sonstigen Gelegenheiten christlich-selbstreferentieller Vergewisserung begegnet, ist der suchende Mensch. Das Klischee behauptet, dass die Menschen alle Suchende sind und nur darauf warten, dass ihnen jemand den Weg weist. Und natürlich ist die Kirche der Wegweiser schlechthin, denn sie ist im Besitz der Wahrheit. Allein: Die Wirklichkeit entlarvt das Klischee als das, was es ist – ein durch allzu häufigen Gebrauch abgenutztes Schema, das ohne individuelle Überzeugung unbedacht verwendet wird. Und gerade deshalb ist es unglaubwürdig. Würde das Klischee des suchenden Menschen auch nur annähernd der Wirklichkeit entsprechen, die Kirchen wären voller. Niemand würde vom Verdunsten des Glaubens reden.
Die Wirklichkeit indes sieht anders aus. Es besteht kein Zweifel, dass es einzelne suchende Menschen gibt. Aber die ganz große Sinnsuche hat die Gesellschaft nicht ergriffen. Es sieht vielmehr so aus, dass auch 2.000 Jahre Christentumsgeschichte nicht dazu beigetragen haben, dass Europa im tiefsten Inneren christlich durchtränkt ist. Wie ein Kieselstein im Fluss ist man vom Wasser der Taufe äußerlich benetzt worden; bricht man ihn aber auf, entdeckt man, dass er innen unberührt und trocken ist. Zu Recht stellt der Historiker Paul Nolte deshalb in einem Interview fest, das in der Zeitschrift „Christ & Welt“ veröffentlicht wurde:
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Dies Domini – 5. Sonntag der Osterzeit, Lesejahr A
Manch eine Beziehung leidet unter der zur Gewohnheit gewordenen Vertrautheit. Jede Geste, jedes Wort wird vorhersehbar. So braucht man einander gar nicht mehr wahrzunehmen oder zuzuhören. Man weiß doch, wie es ausgeht. Aus vollstem Vertrauen entsteht das Gefühl der Langeweile. Manch einer Liebe, die abenteuerlich begann, blüht in Ödnis. Weil die Vertrautheit keine Verheißung mehr bereit hält, geht dann manch einer auf der Suche nach Leben seine eigenen Wege.
Wer dieser Falle entgehen möchte, darf das Vertraute eben nicht zur Gewohnheit werden lassen. Das Vertraute immer neu zu entdecken die Herausforderung. Das Vertraute mit unvertrauten Augen anzusehen, so als würde man es eben zum ersten Mal sehen, die Aufgabe.
Es gibt nicht nur Menschen, die der Ödnis der Vertrautheit erliegen. Auch Texte teilen dieses Schicksal. Wie ein Reflex weiß man schon nach wenigen Worten, worum es geht. „Hat der alte Hexenmeister …“ – und schon klingt im Ohr „Walle! Walle!“ Und auch wenn manch einer bei Herrn Ribbeck an einen sakkotragenden Fußballtrainer denkt, die Birne werden viele trotzdem nicht aus dem Kopf bekommen.
Zu den Texten, bei denen man im allgemeinen schon weiß, worum es geht, gehört auch die erste Lesung vom 5. Sonntag der Osterzeit im Lesejahr A. Es ist ein Text, der nicht nur dem Schicksal der Vertrautheit anheim fällt; auch die traditionelle Interpretation verhindert, ihn genauer zu betrachten, weil doch eigentlich schon alles bekannt ist. Es ist der Text von der Wahl der Sieben, die landläufig als die sieben Diakone beschrieben werden. Und genau an diesem Punkt erliegt der Leser bzw. die Hörerin dem Gift der Gewohnheit, mit dem man versucht, den Text zu zähmen.
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Dies Domini – 4. Sonntag der Osterzeit, Lesejahr A
Das Glück ist eine scheue Gefährtin. Der Mensch sehnt sich danach. Wer es empfindet, kann es doch nicht halten. Glück zu haben, es zu besitzen, ist nicht möglich. Vielleicht ist die Sehnsucht nach der Glückseligkeit der Grund für die Suche nach dem Paradies auf Erden. Freilich muss jeder Versuch scheitern, ein solches Paradies zu schaffen. Allein die historischen Versuche der Errichtung solcher Paradiese zeigen, wie schnell die Glücksversprechen in der Hölle totalitärer Systeme enden. Allzu viele fielen denen zum Opfer, die ihr eigenes Glück im Feuer menschlicher Verheißungsgläubigkeit schmiedeten. Mit schmeichelnder Stimme versprechen sie das Paradies, rauben aber vielen Zukunft und Leben. Man muss schon wie Odysseus fest an den Mast unverrückbarer Prinzipien gebunden sein, um solchem Sirenengesang zu widerstehen.
Die Gegenwart ist wie manche Zeit zuvor von einem Gewirr der Stimmen geprägt. Einen Nachricht jagt die andere. Das Ende der Welt liegt im eigenen Wohnzimmer. Und über die sozialen Netzwerke wie Twitter und Facebook lassen uns Freunde an jeder kleinen Banalität ihres Lebens teilhaben: „Bin gerade in den Zug gestiegen“, „Fahre los“, „Halte in Köln, viel los auf dem Bahnsteig“, „Fahre weiter“ usw. usw. Wer da nicht mitmacht, ist schnell als „tweetfaul“ verschrien.
Man fragt sich unwillkürlich, ob diese Menschen die reale Wirklichkeit noch erleben. Wer heute einen Film schaut, muss ihn per second Screen parallel kommentieren. Und so lesen viele, was sie doch gerade selbst sehen können. Pandemisch greift die Banalität dieser Paralelluniversen um sich. Verflucht – wer hier nicht mitredet, ist draußen. Es ist schon fast asozial, in den sozialen Netzwerken nicht mitzumachen. Und wer in der Timeline oben sein will, der muss ständig neu posten. Der Auswurf ist mächtig und die Logorrhöe greift um sich. Das Stimmengewirr schwillt zu einem großen digitalen Tinnitus an, einem pfeifenden Versprechen irdischen Glücks, dessen Symbol aus einem Doppelpunkt und einer Klammer besteht und so als Smiley in die Welt strahlt: :).
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