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kath 2:30 Dies DominiAuf WDR2 gibt es jeden Sonntag das härteste Rätsel der Welt. Nach und nach erfahren die Hörerinnen und Hörer vier Begriffe, deren Gemeinsamkeit sie erraten müssen. Ein Rätsel, das dort noch nicht gesendet wurde, das ich Ihnen aber heute anbieten möchte, lautet folgendermaßen: Was verbindet Winnetou, Dreadlocks, Erzbischof und Methan? Was glauben Sie denn?

Richtig: Es sind die Aufregerthemen der Gegenwart. Man ist dafür oder dagegen. Tertium non datur! Dazwischen gibt es nichts. Das kennzeichnet die Kommunikation der Gegenwart: Empörung gebiert Emporkömmlinge, deren Standpunkte fest zementiert sind. Wo es aber aufgrund der argumentativen Selbstbeschränkung keine kommunikativen Schnittmengen mehr gibt, bleibt nur das gegenseitige Abkanzeln. So wird die Gesellschaft in zwei Parteien gespalten, die ein garstig breiter und tiefer Graben trennt: Wir hier gegen die da.

Dem breiten und tiefen Graben entspricht der kommunikative Gestus: Man spricht nicht mehr miteinander, sondern brüllt sich an. Statt den Versuch zu wagen, durch Hören den anderen Standpunkt überhaupt erst einmal wahrzunehmen und zu verstehen, werden mit öffentlichen Statements oder offenen Briefen Positionen dargestellt. Oft stellt sich da die Frage, ob überhaupt eine Antwort erwartet wird, die zu einem echten Diskurs führen würde. Das Abkanzeln und Canceln ist an die Stelle des Streitens und argumentativen Ringens getreten.

Das hat Auswirkungen für jede soziale Gesellschaftsform – auch für kirchliche. Wer um jeden Preis weiß, von vorneherein und ohne Zweifel im Recht zu sein, braucht keinen Diskurs mehr. Man empfindet dann jedes Geräusch und jede Regung von der anderen Seite als störend, anmaßend und unpassend. Eine Gesellschaft, die an diesen Punkt gekommen ist, befindet sich allerdings in einem Zustand der Selbstauflösung, weil das verbindende Dritte, abhanden gekommen ist: Der Respekt vor der Perspektive der anderen, die möglicherweise doch eher im Recht oder der Wahrheit näher sein könnten. Wo diese Fähigkeit fehlt, droht jenes Schicksal, auf das Jesus warnend hinweist:

„Jedes Reich, das in sich gespalten ist, wird veröden und eine Stadt und eine Familie, die in sich gespalten ist, wird keinen Bestand haben.“ (Matthäus 12,25)

Der Gesellschaft droht ein kalter heißer Winter. Bereits jetzt erhalten die ersten Gaskunden horrende Abschlagsrechnungen mit bis zum Teil vervierfachten Abschlägen für die ehemals preisgünstige Methanlieferung. Wohl selten brauchte die Gesellschaft mehr gegenseitige Solidarität und Zusammenhalt als jetzt. Wo man kulturbereichernde Aneignung mit Enteignung verwechselt, sind Dreadlocks natürlich keine Frisur, sondern ein aggressiver Akt, der offenkundig dazu führt, dass jamaikanische Rastafaris nur noch Seitenscheitel tragen dürfen. Wer sich darüber völlig bis zur Unversöhnlichkeit zerstreiten kann, ob Winnetou nun ein native American, dessen Geschichte unterhaltungsgerecht geklittert wird, oder nicht doch eine von einem Franzosen dargestellte fiktionale Figur war, wird an seiner eigenen Moral scheitern, wenn es um die eigene Wohligkeit geht. Leider fällt auch die Kirche der Gegenwart im Streit um den Verbleib von Erzbischöfen und die Notwendigkeit oder Nicht-Notwendigkeit kirchlicher Hochschulen in nicht enden wollender Selbstumkreiselung als moralische Instanz aus. Es geht uns offenkundig noch zu gut. Der Winter steht bevor, doch es ist längst kalt geworden. Hoffentlich lehrt uns die nahe Zukunft nicht die alte Weisheit, dass das Fressen zuerst kommt und dann die Moral. Es wäre dringend an der Zeit, das respektvolle Hören wieder zu lernen. So Gott will, ist es noch nicht zu spät.

Dr. Werner Kleine

Erstveröffentlicht in der Westdeutschen Zeitung vom 9. September 2022.

Author: Dr. Werner Kleine

Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.

1 Kommentar

  1. Veronika Bittner schrieb am 11. September 2022 um 14:22 :

    Ich hinterlasse keinen Kommentar, da dieser Artikel/Predigttext, dieses Statement, diese Aussage eigentlich keinen Kommentar benötigt….

    Ich muss auch nicht aus der katholischen Kirche „austreten“, da die Kirche kein e.V. ist, sondern die Gemeinschaft der Gläubigen (m/w/d). Die offiziöse Kirche ist schon lange nicht mehr meine spirituelle Heimat. Die, in der heftig oder leise und beharrlich für eine lebendige und das Leben bejahende Gemeinde gerungen wird, schon eher!
    Für alle, die sich hierfür auf den Weg machen, bete ich.

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