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kath 2:30 Dies DominiIm Wein liegt Wahrheit. In der Wurst auch. Wenn es um sie geht, geht es immer ums Ganze. Wer glaubt, im Besitz der Wahrheit zu sein, scheut den Zweifel; noch weniger verträgt er Kritik. Zweifellos kann für solche Menschen deshalb immer nur die eigene Meinung zählen, die ja – wer könnte daran zweifeln – mit der Wahrheit nachgerade identisch ist. Jeder, der die eigene Meinung anfragt, kann deshalb nur ein Lügner sein oder auch – da muss man schon ganz genau sein – eine Lügnerin! Was glauben Sie denn?

Tatsächlich ist die Wahrheit von flüchtigem Wesen. Man mag zwar glauben, sie erfasst zu haben; tatsächlich aber hat man bestenfalls einen kleinen Zipfel in der Hand. Das ist nicht schlimm – wenn nur dieser Anspruch auf Zweifellosigkeit nicht wäre. Dabei ist es der Zweifel, der immer wieder den Antrieb gibt, sich mit dem, was man verstanden hat, eben nicht zufrieden zu geben.

Gerade in diesen Zeiten, in denen immer noch darum gerungen wird, wie man ein kleines, aber gefährliches Virus beherrschen kann ist die Wahrheitssehnsucht groß. Die einen forschen – wissend, dass am nächsten Tag schon neue Ergebnisse das bisher Erkannte in einem anderen Licht erscheinen lässt. Zu jeder vernünftigen Wissenschaft gehört deshalb das auf Karl Popper zurückgehende Prinzip der Falsifikation: Eine Erkenntnis hat nur dann wissenschaftliche Bedeutung, wenn sie sich prinzipiell widerlegen lässt. Und so forschen – um nur beim Beispiel der Bekämpfung des Corona-Virus zu bleiben – Frauen und Männer vieler Disziplinen auf der Suche nach Wissenslücken, neuen Erkenntnissen, immer zweifelnd, ob das bisher Erkannte auch tatsächlich ausreichend wahr ist. Wissenschaft ist anstrengend, denn sie erfordert die stete Bereitschaft, das Erkannte jederzeit zugunsten einer besseren Erkenntnis in Frage zu stellen.

Es gibt aber auch immer wieder jene, die sich lieber eine eigene Meinung bilden möchten. Schnell ein Video bei Youtube geschaut, einen Post bei Facebook gelesen – und fertig ist man mit der eigenen Wahrheit. Selbstverständlich weiß man um den Wert des Zweifels, denn man zweifelt die Erkenntnisse der Wissenschaft aufgrund der eigenen Recherche in den sozialen Medien selbstverständlich an. Eine Impfung kommt dann nur in Frage, wenn man seiner selbstgemachten Meinung und nicht einfach den Empfehlungen der Fachleute folgt, die jeden Tag mit fachlicher Kompetenz aufs Neue um die Wahrheit ringen. Dass man da selbst umfassend Studien lesen, ja sich die entsprechenden Fähigkeiten aneignen müsste, wird meist nicht als notwendig erachtet. Man weiß doch, was Wahrheit ist … und warum sollte man da ausgerechnet jenen glauben, die Experten auf ihrem Fachgebiet sind. Glauben ist eben nicht Wissen …

Wie auch immer – es bleibt dabei: Der Zweifel an sich ist ein Segen. Schwierig wird es allerdings, wenn die Zweifler glauben, der Zweifel selbst sei schon die Wahrheit. Das erscheint zwar quergedacht, verwechselt aber die Methode mit dem Ziel. Der große Zweifler des Neuen Testamentes ist eben nicht der ungläubige Thomas, der nur glauben möchte, was er begreifen kann; nein, es ist Pontius Pilatus, dessen Zweifel zu der Frage führt:

„Was ist Wahrheit?“ (Joh 18,38)

Als Richter, der der römischen Prozessordnung verpflichtet ist, glaubt er den Anklägern nicht einfach, sondern folgt dem Grundsatz des „Audiatur et altera pars“ – „Höre auch die andere Seite“. Als es um die Wurst ging, ging aber auch bei ihm die eigene Befindlichkeit vor der Wahrheit: Obwohl er keine Schuld Jesu sah, ließ er ihn trotzdem kreuzigen, um seine Ruhe vor denen zu haben, die jeden Zweifel an dem, was sie für die Wahrheit hielten, lautstark niederschrien. Die Menschheit hat sich seitdem nicht viel geändert. Wenn nur wahr sein darf, was der eigenen Befindlichkeit entspricht, dann ergeht es der Wahrheit zweifellos wie der Wurst: Vor die Hunde gegangen, wird sie gefressen.

Dr. Werner Kleine

Erstveröffentlicht in der Westdeutschen Zeitung vom 27. August 2021.

Author: Dr. Werner Kleine

Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.

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