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kath 2:30 Dies DominiDies domini – Vierter Fastensonntag, Lesejahr B

Die Nacht ist wahrheitstauglich. Wenn der Sinn äußeren Sehens behindert ist, schärfen sich nicht nur die anderen Sinne. Man hört und riecht nicht nur besser, der Tastsinn ist nicht nur sensibler; der Verlust der Macht der Bilder, die die Aufmerksamkeit im hellen Taglicht absorbiert und nur allzu oft zu Fehlschlüssen verleitet, macht den Geist frei für das innere Sehen. Es ist schon bemerkenswert, wie oft in der Bibel erwähnt wird, dass es Nacht ist. Schon die Schöpfung beginnt mit der Nacht, heißt es doch:

Gott sprach: Es werde Licht. Und es wurde Licht. Gott sah, dass das Licht gut war. Und Gott schied das Licht von der Finsternis. Und Gott nannte das Licht Tag und die Finsternis nannte er Nacht. Es wurde Abend und es wurde Morgen: erster Tag. (Genesis 1,3-5)

Die Nacht gebiert den Tag. Die Nacht ist schöpferisch. Das Licht wird aus dem Dunkel erschaffen. Es wundert daher nicht, dass viele bedeutende Ereignisse mit der Nacht verbunden sind. Die Befreiung Israels aus Ägypten beginnt nächtens (vgl. Exodus 2,6-8), es wird Nacht sein, wenn Jesus mit den Seinen das letzte Abendmahl halten wird und das Heilsgeschehen seinen Lauf nimmt und es ist der Schutz der Nacht, in dem Leben aus dem Tod geschieht. Die Nacht ist der Ort der Offenbarung, wenn keine irdischen Bilder den Geist ablenken und stören. Die Nacht ist der Ort der Erkenntnis und der Einsicht.

Es ist auch Nacht, als der Pharisäer Nikodemus zu Jesus kommt. Johannes berichtet von dieser eindrücklichen Begegnung – und zwar ziemlich am Beginn seines Evangeliums. Der Erzählung von dieser Begegnung geht der sogenannte Prolog, die Berufung der ersten Jünger und die Hochzeit von Kana voraus, aber auch die sogenannte Tempelreinigung. Letztere wird von den synoptischen Evanglisten Matthäus, Markus und Lukas am Tag nach dem Einzug Jesu in Jerusalem, also in der letzten Woche seines irdischen Lebens verortet. Dort ist sie sogar der letzte Funke, der das ohnehin konfliktbeladene Pulverfass zwischen Jesus und seinen Gegner zünden und zum letztendlichen Beschluss führt, ihn hinrichten zu lassen. Im Johannesevangelium ist die Dramaturgie anders. Dort steht die Tempelreinigung wie ein Fanal relativ am Beginn des Evangeliums. So wird klar, worum es geht. Hier kommt ein Prophet, durch den Gott selbst offenbar wird – mehr noch, dessen Leib selbst zum Tempel wird:

Jesus antwortete ihnen: Reißt diesen Tempel nieder und in drei Tagen werde ich ihn wieder aufrichten. Da sagten die Juden: Sechsundvierzig Jahre wurde an diesem Tempel gebaut und du willst ihn in drei Tagen wieder aufrichten? Er aber meinte den Tempel seines Leibes. Als er von den Toten auferweckt war, erinnerten sich seine Jünger, dass er dies gesagt hatte, und sie glaubten der Schrift und dem Wort, das Jesus gesprochen hatte. (Johannes 2,19-22)

Anders als in den synoptischen Evangelien, deren Dramaturgie in der Darstellung der Euphorie des Beginns der Bewegung im galiläischen Frühling beginnt und der Konflikt sich erst sukzessive anbahnt, ist er im Johannesevangelium von Anfang an präsent. Johannes berichtet nicht nur, er deutet das Jesusgeschehen auch theologisch: Jesus ist der Zeuge der Wahrheit, die man nur erkennen kann, wenn man nicht bloß dem äußeren Anschein glaubt, sondern die Fähigkeit des inneren Sehens und Erkennens schärft. Die groß angelegte Erzählung von der Heilung des Blindgeborenen wird an späterer Stelle diesen Aspekt mit erzählerischer Verve entfalten (vgl. Johannes 9,1-42). Das ist ohnehin bemerkenswert bei Johannes, dass er theologische Reflexionen häufig als Dialog teilweise dissonant gegenüberstehender Perspektiven entfaltet: Hier die Wahrheit, dort die Uneinsichtigkeit – hier die Erkenntnis, dort die Blindheit.

Das Evangelium vom vierten Fastensonntag im Lesejahr B verkündet ebenfalls einen Dialog – allerdings leider nur einen Ausschnitt. Bei einem nächtlichen Besuch des Pharisäers Nikodemus bei Jesus geht es um nicht weniger als um die Frage der Erkenntnis der Wahrheit. Es ist ein Gespräch auf hohem Niveau – weniger ein konfliktives Streitgespräch, wohl ein intellektuelles Ringen um die wahre Erkenntnis. Dieser Nikodemus ist an Jesus interessiert – und er wird es über den Tod Jesu hinaus bleiben, gibt er doch dem Gekreuzigten bei seiner Bestattung noch die letzte Ehre (vgl. Johannes 19,39). So wird der Pharisäer Nikodemus zu einer personellen Klammer im Johannesevangelium. Ausgerechnet ein Pharisäer? – möchte manch eine und manch einer da ausrufen … Ja! Ausgerechnet ein Pharisäer – möchte man da antworten, denn Jesus war den Pharisäern, die selbst an die Auferstehung glaubten, theologisch durchaus nahe. Es verwundert daher nicht, dass er immer wieder mit ihnen in Kontakt tritt. Die Episode der Begegnung Jesu mit der Sünderin, von der Lukas erzählt, spielt sich etwa bei einem Gastmahl ab, zu dem Jesus von einem Pharisäer eingeladen wurde (vgl. Lukas 7,36-50). Auch später noch werden Pharisäer in den Dunstkreis der nachösterlichen Jesusbewegung geraten – wie nicht zuletzt Paulus, der sich in Philipper 3,5 selbst als Pharisäer bezeichnet. Ist es nicht merkwürdig, wie hier die Geschichte des Christentums ein offenkundig einseitiges Vorurteil ausgebildet hat?

Jesus jedenfalls scheint dem Pharisäer Nikodemus mit hohem Respekt zu begegnen. Dieser erkennt in Jesus die besondere Gegenwart Gottes. Von einem Bekenntnis, dieser Jesus von Nazareth sei wahrer Mensch und wahrer Gott ist das noch weit entfernt. Aber der Sensus für das Besondere, dass um diesen Jesus ist, ist offenkundig da. So kreist dieses Nachtgespräch in den ersten Versen auch um die Frage der Ursache für diese besondere Aura. Es geht um das Geborensein aus dem Fleisch, dem Sichtbaren und Vergänglichen, und das Wiedergeborenwerden aus dem Geist, dem Nicht-Sichtbaren und Ewigen. Das widerstrebt dem nur mit den sinnlichen Augen Sehenden. Wer sich nur auf den äußeren Anschein beschränkt, kann nicht zur tieferen Erkenntnis gelangen. Man wird das Wesen Jesu nur erkennen können, wenn man sich auf diesen tieferen Blick einlässt, der freilich erst von der Auferstehung des Gekreuzigten her möglich wird. Ohne diese Perspektive wird man nur einen Handwerkerssohn aus Nazareth erkennen, dessen spinnerte Ideen für Unruhe gesorgt haben und dessen historische Existenz von manchen, die sich nur auf den Augenschein verlassen wollen, auch heute noch angezweifelt wird.

Dieses Gegenüber von bloß äußerem Sehen und wahrem Erkennen wird von Jesus selbst zur Sprache gebracht. Wenige Verse vor Beginn jenes Abschnittes, der am vierten Fastensonntag im Lesejahr B verkündet wird, heißt es:

Der Wind weht, wo er will; du hörst sein Brausen, weißt aber nicht, woher er kommt und wohin er geht. So ist es mit jedem, der aus dem Geist geboren ist.  Nikodemus erwiderte ihm: Wie kann das geschehen?  Jesus antwortete: Du bist der Lehrer Israels und verstehst das nicht? Amen, amen, ich sage dir: Was wir wissen, davon reden wir, und was wir gesehen haben, das bezeugen wir und doch nehmt ihr unser Zeugnis nicht an. Wenn ich zu euch über irdische Dinge gesprochen habe und ihr nicht glaubt, wie werdet ihr glauben, wenn ich zu euch über himmlische Dinge spreche? (Johannes 3,8-12)

Was nun folgt – und was am vierten Fastensonntag im Lesejahr B als Evangelium verkündet wird – ist nicht weniger als eine Vorwegnahme dessen, was zwischen Karfreitag und Ostern geschehen wird. Auch hier ist es kein Zufall, dass das Gespräch Nächtens stattfindet. Das Heilige kann nur im Schutz der Nacht offenbar werden, das Licht nur aus dem Dunkel geboren werden. Das Evangelium dieses Sonntages hebt unvermittelt an:

Wie Mose die Schlange in der Wüste erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, damit jeder, der glaubt, in ihm ewiges Leben hat. (Johannes 3,14f)

Jesus spielt hier auf eine Erfahrung an, die das Volk Israel während der Wüstenwanderung nach dem Auszug aus Ägypten machte. Sie wird in Numeri 4,4-9 überliefert. Das Volk Israel lehnt sich gegen Gott auf und jammert über die Folgen des Auszuges aus Ägypten. Kein Brot und kein Wasser, nur elende Nahrung statt der Sklavennahrung in Ägypten. Gott aber statuiert an dem jammernden Volk ein Exempel. Er schickt giftige und todbringende Feuerschlangen. Gott gibt dem Mose aber auch ein Heilmittel:

Mach dir eine Feuerschlange und häng sie an einer Stange auf! Jeder, der gebissen wird, wird am Leben bleiben, wenn er sie ansieht. Mose machte also eine Schlange aus Kupfer und hängte sie an einer Stange auf. Wenn nun jemand von einer Schlange gebissen wurde und zu der Kupferschlange aufblickte, blieb er am Leben. (Numeri 21,8f)

Die Moral der Geschichte liegt auf der Hand: Wer angesichts einer Herausforderung jammert, wird sich um das Leben bringen; wer sich hingegen der herausfordernden Gefahr von Angesicht zu Angesicht stellt, wird ermächtigt zum Leben.

Das Bemerkenswerte an der jesuanischen Relecture dieser Erzählung im Gespräch mit dem Pharisäer Nikodemus liegt in der Deutung dieses Geschehens auf sein eigenes Schicksal. Das aber steht – zumindest in der erzählten Zeit des Johannesevangeliums – noch bevor. In der Zeit, in der Johannes sein Evangelium erzählt, aber steht – zumindest für die, die an die Auferstehung des Gekreuzigten glauben – schon fest, dass der Tod vom Leben überwunden ist. Jesus hat dem Tod ins Auge geschaut – und er lebt! Deshalb gilt für ihn das Kreuz nicht als Fluch oder Scheitern, sondern als Erhöhung. Es kommt also in der Tat auf den Blick an, mit dem man auf das Geschehen schaut. Von der Auferstehung her wird das wahre Wesen Jesu erkennbar – jenes Wesen, dass in diesem Nachtgespräch aufleuchtet, vollends aber erst in der Osternacht offenbar wird – zumindest für jene, die ihre Erkenntnis nicht nur dem äußeren Anschein widmen.

Eine solche Wahrheit aber hat Folgen, eine Erkenntnis führt zu praktischen Konsequenzen:

Jeder, der Böses tut, hasst das Licht und kommt nicht zum Licht, damit seine Taten nicht aufgedeckt werden. Wer aber die Wahrheit tut, kommt zum Licht, damit offenbar wird, dass seine Taten in Gott vollbracht sind. (Johannes 3,20f)

Wahrheit ist nämlich nicht bloß ein Akt der Erkenntnis, sondern zuvorderst eine Tat. Wer die Wahrheit erkennt, nicht aber nach ihr handelt, richtet sich – hier und jetzt. Das aber gilt nicht nur für die Erkenntnis des Glaubens an das fleischgewordene Wort Gottes (vgl. Johannes 1,14), sondern eigentlich für das Leben selbst. So, wie Mose eine Schlange macht und das Bild des Unheils den Israeliten vor Augen führt, damit sie nicht wegsehen, sondern hinschauen, so sollen auch wir heute unsere Herausforderungen annehmen: Ob es die Corona-Pandemie ist oder der Missbrauch Minderjähriger durch Kleriker oder anders mehr – Wegschauen ist keine Option der Wahrheit! So heilig die Nacht ist – sie muss zum Licht werden, wenn die Finsternis nicht siegen soll. Aufklärung und Offenbarung – das ist kein Widerspruch, ganz im Gegenteil! Beides führt die zur Erkenntnis, die nicht nur dem äußeren Anschein glauben …

Dr. Werner Kleine

Author: Dr. Werner Kleine

Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.

1 Kommentar

  1. Erich Häring schrieb am 14. März 2021 um 10:20 :

    Kurz und gerade dadurch sehr prägnant. Das Alter, ich bin 75, führt bringt mich nach dem Leben Nikodemus sehr nahe, auch die Nächte, wo ich öfters länger einmal wach liege, spielen in diese Perikope hinein: Daher bin ich dankbar für den Anfang Ihrer Erläuterungen. Auch für den Hinweis, die Wahrheit tun. Begleitet mich in die Woche hinein, als Versuch, dies zu leben.
    Schliesslich auch für Ihre Stellungnahme gegenüber den Pharisäern, die auch nach zweitausend Jahren immer noch in den christlichen Kirchen schlecht wegkommen.
    Vielen Dank für diesen Impuls.

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