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kath 2:30 Dies DominiDies Domini – 11. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr A

Frömmigkeit feit vor Fehlern nicht. Schon gar nicht, wenn sich Frömmigkeit zur Überheblichkeit eines Bewusstseins außergewöhnlicher Erwähltheit entwickelt, die lässig auf all die herabschaut, die man für weniger fromm hält, als man es selbst ist. Gerne spricht der Fromme dann von den „Heiden“ und urteilt über alles, was nicht in sein Weltbild passt als „heidnisch“, vor allem dann, wenn er es mit Menschen zu tun hat, die vermeintlich ungläubig sind.

Freilich zeugt eine solche Denkweise von einer fundamentalen Wissenslücke, bezeichnet das Wort „Heide“ in den deutschen Übersetzungen des Neuen Testamentes meist jene Menschen, die im griechischen Urtext als ἔθναι (éthnai) bezeichnet werden. Der Begriff leitet sich von ἔθνος  (éthnos) ab, der einfach „Volk“ bedeutet. Das ἔθνος τοῦ θεοῦ  (éthnos toû theoû) ist das Volk Gottes. So bezeichnet sich das Volk Israel selbst. Davon werden die ἔθναι  (éthnai) abgegrenzt – die Völker. Im Griechischen entsteht auf diese Weise ein signifikanter Unterschied, der semantisch aber doch Verwandtschaften zeigt. Theologisch hingegen liegen Welten zwischen Israel und den Völkern, wie er im Hebräischen zum Ausdruck kommt. Es ist Israel, mit dem Gott einen Bund geschlossen hat, wie es in der ersten Lesung vom 11. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres A heißt:

„Das sollst du dem Haus Jakob sagen und den Israeliten verkünden: Ihr habt gesehen, was ich den Ägyptern angetan habe, wie ich euch auf Adlerflügeln getragen und zu mir gebracht habe. Jetzt aber, wenn ihr auf meine Stimme hört und meinen Bund haltet, werdet ihr unter allen Völkern mein besonderes Eigentum sein. Mir gehört die ganze Erde, ihr aber sollt mir als ein Königreich von Priestern und als ein heiliges Volk gehören.“ (Exodus 19,3b-6a)

Gott handelt in Wort und Tat an diesem Volk Israel. Dieses Volk erwählt er als ein „Königreich von Priester und als ein heiliges Volk“. Freilich ist das an Bedingungen geknüpft. Israel soll auf die Stimme Gottes hören und seinen Bund halten, damit es „unter allen Völkern sein besonderes Eigentum“ ist. Hier kommt also schon ein Wechselspiel zwischen dem einen Volk und den vielen anderen Völkern zum Vorschein. Israel soll diesen besonderen Bund eben auch vor den anderen Völkern sichtbar machen. Dann ist es ein Königreich von Priestern und ein heiliges Volk. Die Erwählung Israels ist also kein Selbstzweck, sondern ein Auftrag, den Namen Gottes und seinen Bund sicht- und hörbar zu machen. Dass Israel in seiner Geschichte immer wieder mit diesem Auftrag ringt, wie Jakob am Jabbok mit Gott – davon ist das, was Christen allgemein als das „Alte Testament“ nennen, voll. Israel scheitert, bekehrt sich, wird wieder aufgerichtet – eine Geschichte mit vielen Wiederholungen. Nur eine Konstante bleibt: Gott lässt nicht von Israel. Er hält treu an seinem Bund fest – und der besondere Auftrag Israels bleibt. Die Herausforderung des Bundes wird nicht aufgehoben. Nie!

Es kann deshalb nicht verwundern, dass Israel sich dieser besonderen Erwählung bewusst ist, die vor allem Auftrag ist, ein ausgezeichneter wie ein auszeichnender! Das eine Volk unter den vielen Völkern – das schlägt sich auch sprachlich nieder. Deshalb steht Israel als Volk inmitten der vielen Völker, der גוים (gójim). Als גוימ aber werden die Heiden bezeichnet. Ein Heide ist also ein Nichtjude, einגוי  (gój).

An dieser Stelle wird schon deutlich, dass die Rede von „Heiden“ als Ungläubigen schwierig ist. Streng genommen sind im biblischen Sinn nahezu alle Christen, so sie denn nicht Juden sind oder jüdisch waren, Heiden. Die Kirchen der Gegenwart sind eben keine judenchristlichen, sondern heidenchristliche Kirche. Das Bemerkenswerte an den Texten des 11. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres A ist, das sie die ganze theologische Brisanz zusammengenommen auf den Punkt bringen. So spricht Jesus im Evangelium bei der Aussendung der Zwölf:

„Geht nicht den Weg zu den Heiden und betretet keine Stadt der Samaríter, sondern geht zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel! Geht und verkündet: Das Himmelreich ist nahe! Heilt Kranke, weckt Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt Dämonen aus! Umsonst habt ihr empfangen, umsonst sollt ihr geben.“ (Matthäus 9,5b-8)

Das muss man als Heidenchrist erst einmal sacken lassen. Der irdische Jesus beauftragt die Zwölf, auf keinen Fall zu den Samarítern oder den Heiden zu gehen, sondern ausschließlich zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel. Der irdische Jesus hat nicht nur keine Kirche gegründet; er weiß sich auch exklusiv zu Israel gesandt. Und diese Haltung findet sich in der Frühphase seines öffentlichen Wirkens häufig – man denke nur an die merkwürdige Begegnung mit syrophönizischen Frau, die um Heilung ihrer kranken Tochter bittet und die sich brüsk zurückweisen lassen muss:

„Die Frau, von Geburt Syrophönizierin, war eine Heidin. Sie bat ihn, aus ihrer Tochter den Dämon auszutreiben. Da sagte er zu ihr: Lasst zuerst die Kinder satt werden; denn es ist nicht recht, das Brot den Kindern wegzunehmen und den kleinen Hunden vorzuwerfen.“ (Markus 7,26f)

Die Frau muss und kann Jesus Gott sei Dank argumentativ überwinden. Vielleicht ist diese Begegnung für Jesus sogar ein Aha-Erlebnis gewesen. Sein grundlegendes Bewusstsein der Sendung zur Restitution der Erwählung Israels aber bleibt in seinen irdischen Zeiten erhalten. Da stellt sich in der Tat die Frage, warum die Kirche heute ist wie sie ist, nämlich eine Kirche (in der Regel) aus גוימ, ἔθνη, den Völkern, also Heiden.

Der entscheidende theologische Grund scheint in der zweiten Lesung vom 11. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres A auf. Unmittelbar zu Anfang führt Paulus dort aus:

„Christus ist, als wir noch schwach waren, für die zu dieser Zeit noch Gottlosen gestorben.“ (Römer 5,6)

Der Fokus liegt auf der Charakterisierung der Adressaten als jenen, die zur Zeit des Kreuzestodes Jesu noch (!) gottlos waren. Und Paulus denkt weiter:

„Dabei wird nur schwerlich jemand für einen Gerechten sterben; vielleicht wird er jedoch für einen guten Menschen sein Leben wagen. Gott aber erweist seine Liebe zu uns darin, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren. Nachdem wir jetzt durch sein Blut gerecht gemacht sind, werden wir durch ihn erst recht vor dem Zorn gerettet werden.“ (Römer 5,7-9)

Der Kreuzestod Jesu wäre in sich völlig sinnlos gewesen. Für wen soll man sein Leben schon hingeben. Für einen Gerechten „lohnt“ sich das nicht. Warum?

In der theologischen Sprache des Paulus geht es bei dem Begriff „Gerechtigkeit“ vorwiegend um die Gerechtigkeit vor Gott. Der Gerechte kann vor Gott bestehen. Das Gegenteil zum Gerechten sind die Sünder – jene Menschen, die nicht vor Gott bestehen können. Gerechte – und hier muss man an die erste Lesung vom 11. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres A erinnern – sind jene, die „auf die Stimme Gottes hören und seinen Bund halten“ (vgl. Exodus 19,5). Sünder sind jene, die entweder den Bund nicht halten. Das können nur Israeliten sein, die gegen die Thora handeln. Bemerkenswerterweise gehört dazu eben jener Jesus von Nazareth, der ausweislich als Ungerechter, ja als gottverfluchter Sünder starb, heißt es doch in der Thora:

„Ein Gehenkter ist ein von Gott Verfluchter.“ (Deuteronomium 21,23)

Sünder, also von Gott Getrennte, sind aber auch all diejenigen, die nicht zum Bund Gottes gehören – also auch גוימ, ἔθνη, die aus den nichtjüdischen Völkern, Heiden halt.

Hier kommt der entscheidende Gedankenfortschritt: Weil Christus am Kreuz wie einem gottverlassenen Sünder gestorben ist und doch von Gott in der Auferstehung gerettet wurde, muss etwas fundamental Neues geschehen sein. Offenkundig wurde der Bund Gottes in Kreuzestod und Auferstehung erweitert. Zu Israel kommen jetzt die Völker hinzu, zu den Juden auch die Heiden – sofern sie sich die Heiden auf dieses erweiterte Bundesangebot Gottes, das in Kreuzestod und Auferstehung begründet ist, glaubend einlassen können. Deshalb schreibt Paulus an die Gemeinde von Rom:

„Da wir mit Gott versöhnt wurden durch den Tod seines Sohnes, als wir noch Gottes Feinde waren, werden wir erst recht, nachdem wir versöhnt sind, gerettet werden durch sein Leben. Mehr noch, ebenso rühmen wir uns Gottes durch Jesus Christus, unseren Herrn, durch den wir jetzt schon die Versöhnung empfangen haben.“ (Römer 5,10f)

Der Neue Bund ist also eigentlich ein erweiterter Bund. Israel hat in seiner Geschichte so oft erfahren, dass Gott seinen Bund trotz aller Verfehlungen aufrechterhält. Israel hat so oft erfahren, dass Gott alles daran setzt, Israel zu retten. Ja, selbst Jesus hatte dieses Bewusstsein, zuerst die verlorenen Schafe Israels zu sammeln. Wer hat da das Recht, Juden das Heil abzusprechen, wie es leider immer wieder in der Geschichte von Christen getan wurde? Die Rede vom „nie gekündigten Bund“ ist deshalb missverständlich. Es gibt nur den einen Bund, in den durch Kreuzestod und Auferstehung Jesu – und das ist die entscheidende theologische Erkenntnis, der auch Paulus folgt – nun auch die Heiden hineingenommen werden: Gerade weil der laut Thora eigentlich gottverflucht am Kreuz gestorbene Jesus von Nazareth in der Auferstehung von Gott gerettet wird, muss darin eine besondere Botschaft Gottes liegen. Wird damit die Thora hinfällig? Gerade nicht. Aber sie ist eben nicht mehr allein seligmachend. Das ist ein echter Grund für alle Heiden, also auch (wahrscheinlich) für Sie, liebe Leserin und lieber Leser, und auf jeden Fall für mich, in das große Rühmen und die Freude über die Versöhnung, „die wir jetzt schon empfangen haben“ (vgl. Römer 5,11) einzustimmen: Das eine Volk Israel und die vielen Völker rühmen nun gemeinsam den einzigen Gott! Welch ein Spaß – gerade auch für die Heiden!

Dr. Werner Kleine

Author: Dr. Werner Kleine

Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.

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