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kath 2:30 Dies DominiDies Domini – 10. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr B

Vielstimmig ist das Geschwätz dieser Tage. Und diese Tage sind wie alle Tage, in denen Menschen den Planeten Erde bevölkern. Neu ist, dass die anthropogene Kakophonie, diese bisweilen hysterische Geräuschhaftigkeit aus vieler Menschen Mund und Hand, nicht mehr zu überhören ist. In Ermangelung redaktioneller Kompetenzen ist jedes Wort schnell gesagt bzw. getippt und abgeschickt. Wo man früher einen Brief verfasste, den man dann noch in einem Umschlag stecken und zum Briefkasten bringen musste, ermöglicht die Return-Taste eine scheinbare Unmittelbarkeit, die den Genuss des Nach- und Überdenkens, ja die Möglichkeit des Umdenkens nicht mehr kennt. Die vielfältigen reflektiven Möglichkeiten und die Chancen des Innehaltens der alten Zeiten scheinen verloren; dargebracht auf dem Altar der Meinungsfreiheit rauschen die Themen nur noch so durch die gläsernen Fasern – und wer nicht die eigene Meinung teilt, der wird verurteilt. Wo früher das Argument zählte, regiert heute die Lautstärke. Toleranz wird zwar in der Regel eingefordert, selten aber selbst geübt. Der Mensch von heute ist zwar des Lesens mächtig, aber will er auch verstehen? Ist er in der Lage den eigenen Standpunkt zu verlassen und die Sichtweise des Andersdenkenden einzunehmen, um sein Denken – selbst wenn er es nicht teilt – zu verstehen?

Selten wurden so viele Worte gewechselt wie heute. Im Rausch der Buchstaben aber ertrinkt die Kommunikation. Gerade die sozialen Medien offenbaren den Fortschritt der Evolution, der auch der Mensch sich nicht verschließen kann. Der homo sapiens sapiens erklimmt die nächste Stufe und wird zum homo hystericus. Diesen Eindruck gewinnt man jedenfalls, wenn man die Kommentarspalten studiert. Da wird verurteilt und getrollt, mit kaputter Feststelltaste geschrien und gedroht, was das Zeug hält. In der Hysterie dieser Zeiten wird offenbar, dass die Befindlichkeit über den Verstand herrscht und was das eigene Befinden stört, wird niedergemacht. Wie gesäter Wind, der zur Sturmesernte wird, ist die Frucht der Hysterie der Shitstorm, der Schneisen in die Gesellschaft schlägt, polarisiert und die Welt in gute und böse Menschen teilt. Und böse, das sind grundsätzlich die anderen.

Egal, ob es um die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare geht oder den G7-Gipfel, die Gestaltung der Inklusion behinderter und nicht-behinderter Menschen oder die Grexit-Frage, den Palästina-Konflikt oder die Eskalation in der Ostukraine – Stellung ist schnell bezogen. Und wie sich das für Stellungen gehört, wird die eigene Stellung schnell zementiert. Differenzierungen komplexer Sachverhalte stören da nur. In einer immer komplexer werdenden Welt besteht offenbar ein Bedürfnis nach radikaler Vereinfachung. Mit der digitalen Globalisierung kommen einem die Probleme der Welt nahe – zu nahe offenkundig, so dass man sich der eigenen Haut erwehren muss. Da bleibt kein Platz für Differenzierungen. Der eigene Platz muss verteidigt werden, jetzt! Hysterie wird zu Angst. Und wo Angst ist, regiert das limbische System. Es scheint, als befinde sich der Mensch von heute in einem steten Adrenalinrausch. Adrenalin setzt Kräfte frei, die die Vorfahren zum Überleben brauchten. Ihr Erbe ist auch heute noch wirksam. Und so verteidigt mancher auch heute noch sein Leben gegen die anderen als wenn es darum ginge, den Säbelzahntiger von der Höhle zu verjagen.

Im Lauf der Geschichte hatte der Mensch gelernt, das genetische Erbe der Ahnen zu zähmen und zu kultivieren. Mit Mühe entstanden Kultur und Zivilisation, ein fragiler Konsens der Menschlichkeit, dessen Zerbrechlichkeit  sich mehr als einmal erwiesen hat. Auch in der Gegenwart wird deutlich, dass die Waffe in der Hand der Beschränkten doppelt scharf ist. In der Unfähigkeit zu verstehen, sind allzu viele als Geisterfahrer unterwegs. Worte werden wie Pfeile geschleudert, Phrasen dreschen die Kultur in den Boden, mit lautem Krawall wird die eigene Angst überspielt. Wo aber niemand mehr zum Hören und Verstehen bereit ist, da haben Dialog und Kommunikation längst Reißaus genommen.

Der homo hystericus lebt vom Instinkt. Er braucht den Verstand nicht mehr. Er wittert die Gefahr. Deshalb zieht er sich in die sicheren Gefilde zurück, wo die Seinen in der gleichen Stellung sind. Von dort aus verteidigt man das Eigene mit allen Mitteln. Wer nicht dafür ist, gehört zu den Feinden. Identität wird hier vor allem durch das gebildet, was man nicht ist. Homophob, islamophob und xenophob, das sind immer die anderen. Man selbst ist gut. Schuld sind immer die anderen. Man selbst war das nicht. Meine Meinung ist meine! Der andere darf sie gerne teilen, sonst wird er zur Gefahr. Wer nicht für mich ist, ist auf jeden Fall ein Phob!

Das alles ist nicht neu. Die Angst vor dem Anderen ist dem Menschen eingepflanzt. Sie ist Teil seiner dilemmatösen Konstitution. Der Mensch ist das Wesen der Spannung von Selbsterhaltungstrieb und sozialer Zuwendung. Diese Spannung zwingt ihn zur stetigen Konsensbildung, zur Auseinandersetzung mit dem Gegenüber, zur Kommunikation der eigenen Bedürfnisse und zu ihrem Abgleich mit den Bedürfnissen des Gegenübers. Für sich kann keiner sein; sich selbst aufgeben, will aber auch niemand. Dieser Zwang zur Kommunikation ist die Triebfeder des menschlichen Fortschritts. Sie ist der Nährboden, auf dem Kultur und Zivilisation gedeihen.

Dabei ist dieser Nährboden von Anfang an von Erosion bedroht. Die erste Lesung vom 10. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres B weiß davon zu berichten. Sie ist dem Teil des biblischen Schöpfungsmythos, den die Tradition unter das Verdikt des Sündenfalls gestellt hat, die aber doch in Wirklichkeit eine Geschichte über das Erwachen von Erkenntnis, Mündigkeit und Verantwortung ist: Im Garten Eden leben die beiden Urmenschen Eva und Adam in einem paradiesischen Zustand der Unmündigkeit und Erkenntnisfreiheit. Sie sind sich – wie kleine Kinder – noch nicht einmal ihrer Nacktheit bewusst. In ihrer kindlichen Unschuld achten sie auch das göttliche Verbot, nicht vom den Früchten des Baumes des Lebens und des Baumes der Erkenntnis von Gut und Böse zu essen. Die göttliche Pädagogik ist weise, denn eine Handlung wird gerade (nicht nur!) von Kindern garantiert dann vollzogen, wenn sie mit einem Verbot bewehrt ist. Und so geht Eva, die Mutigere der beiden Menschenkinder, hin und nascht von der verbotenen Frucht. Und wie es sich für Kinder gehört, zieht sie den zögerlichen Zauderling Adam hinzu. Die Frucht der Erkenntnis von Gut und Böse tut ihre Wirkung. Die beiden werden zu erkennenden Menschen. Sie erkennen ihre eigene Nacktheit.

Gott, der Herr, rief Adam zu und sprach: Wo bist du? Er antwortete: Ich habe dich im Garten kommen hören; da geriet ich in Furcht, weil ich nackt bin, und versteckte mich. (Genesis 3,9f)

Ob dieser Erkenntnis erwacht die Scham – ein Gefühl, das Kleinkinder noch nicht kennen, wohl aber Heranwachsende. Der Reifungsprozess hat begonnen. Eva und Adam werden erwachsen. Aber sie sind noch nicht mündig. Sie übernehmen noch keine Verantwortung für ihr Handeln. Schuld – das sind immer die anderen:

Darauf fragte er: Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist? Hast du von dem Baum gegessen, von dem zu essen ich dir verboten habe? Adam antwortete: Die Frau, die du mir beigesellt hast, sie hat mir von dem Baum gegeben und so habe ich gegessen. Gott, der Herr, sprach zu der Frau: Was hast du da getan? Die Frau antwortete: Die Schlange hat mich verführt und so habe ich gegessen. (Genesis 3,11-13)

Was nun folgt, wird den Menschenjungen eine Lehre sein. Gott lehrt sie Verantwortung zu übernehmen. Worte alleine genügen nicht. Verantwortung kann man nicht meinen. Verantwortung will übernommen werden. Die kleine Silbe „Ver-“ macht dabei in der deutschen Sprache deutlich, dass es um das Verlassen der Eigenwirklichkeit geht. Es geht um einen Perspektivwechsel. Wer etwas ver-ändern oder ver-stehen will, muss die eigene Stellung ver-lassen und sich zu einer neuen Situation ver-halten. So wird er eine Haltung bekommen, die um den eigenen Standpunkt weis, ihn aber mit Respekt vor dem Anderen rechtfertigen, ja ver-antworten kann. Verantwortung ist die Haltung, die den erwachsenen, mündigen Menschen auszeichnet. Verantwortung setzt Mühe voraus. Mühsal ist das Schicksal des Erwachsenen:

Zur Frau sprach er: Viel Mühsal bereite ich dir, sooft du schwanger wirst. Unter Schmerzen gebierst du Kinder. Du hast Verlangen nach deinem Mann; er aber wird über dich herrschen. Zu Adam sprach er: Weil du auf deine Frau gehört und von dem Baum gegessen hast, von dem zu essen ich dir verboten hatte: So ist verflucht der Ackerboden deinetwegen. Unter Mühsal wirst du von ihm essen alle Tage deines Lebens. Dornen und Disteln lässt er dir wachsen und die Pflanzen des Feldes musst du essen. Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du zurückkehrst zum Ackerboden; von ihm bist du ja genommen. Denn Staub bist du, zum Staub musst du zurück. (Genesis 3,16-19)

Adam und Eva stehen noch vor dieser Bewährungsprobe der Mühsal. Beide versuchen sich noch mit dem ihnen innewohnenden Selbsterhaltungstrieb zu entschuldigen, dieser geheimnisvollen kriechenden Macht. Sie sind Opfer ihrer eigenen Bedürfnisse:

Die Schlange hat mich verführt, und so habe ich gegessen. (Genesis 3,13b)

Der Trieb der Selbsterhaltung ist da. Er ist notwendig, aber auch eine Bedrohung. Er muss deshalb gezähmt werden:

Da sprach Gott, der Herr, zur Schlange: Weil du das getan hast, bist du verflucht unter allem Vieh und allen Tieren des Feldes. Auf dem Bauch sollst du kriechen und Staub fressen alle Tage deines Lebens. Feindschaft setze ich zwischen dich und die Frau, zwischen deinen Nachwuchs und ihren Nachwuchs. Er trifft dich am Kopf und du triffst ihn an der Ferse. (Genesis 3,14f)

Es bleibt also ein stetes Ringen, dem der Mensch als Spannungswesen zwischen Selbsterhaltung und Kultur ausgeliefert ist. Er kann diesem Dilemma nicht entrinnen, mag er auch noch so zetern und die anderen zu Ausgeburten des Bösen erklären. Erst in der Übernahme von Verantwortung aber würde er sich als mündiges und erwachsenes Wesen erweisen. Das laute Geplärr hingegen erweist die vielen heute eher als kreischende Kinder, die ihren Willen nicht bekommen und in der Unfähigkeit, den Weg nach vorne mit Mühe und hartem Ringen zu finden, mit der Illusion von Allmachtsphantasien erbrüllen zu können. Dabei hat auch die beliebte Verteufelung ihre ganz eigene Geschichte, die im Evangelium vom 10. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres B eine ganz eigene Antwort findet. Bereits am Beginn seines öffentlichen Wirkens sieht sich Jesus massiven Vorwürfen ausgesetzt:

Als seine Angehörigen davon hörten, machten sie sich auf den Weg, um ihn mit Gewalt zurückzuholen; denn sie sagten: Er ist von Sinnen. Die Schriftgelehrten, die von Jerusalem herabgekommen waren, sagten: Er ist von Beelzebul besessen; mit Hilfe des Anführers der Dämonen treibt er die Dämonen aus. (Markus 3,21f)

In der Unfähigkeit, das Neue in Jesus zu ver-stehen, wird er verteufelt. Der Versuch des Ver-Stehens wird gar nicht erst unternommen. Es reicht, den Stab zu brechen. Gerade in diesem mangelnden Erkenntniswillen liegt der Grund für die selbstverschuldete Unmündigkeit. Und diese selbstverschuldete Unmündigkeit ist die einzige und wirkliche Verfehlung, die dem Menschen vorgehalten werden kann:

Amen, das sage ich euch: Alle Vergehen und Lästerungen werden den Menschen vergeben werden, so viel sie auch lästern mögen; wer aber den Heiligen Geist lästert, der findet in Ewigkeit keine Vergebung, sondern seine Sünde wird ewig an ihm haften. (Markus 3,28f)

Die sogenannte „Sünde wider den Heiligen Geist“ besteht darin, dass das Wirken des Heiligen Geistes ver-teufelt wird. Auch hier findet eine Veränderung der Haltung statt, aber eben nicht die der eigenen, sondern die des Anderen. Das ist nachgerade verantwortungslos. Gerade hierin liegt der tiefe Sinn der Mahnung Jesu:

Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet (Matthäus 7,1)

Ehe der Stab über den anderen gebrochen wird, muss man ihn erst ver-stehen. Genau das unterlassen diejenigen, die über Jesus vorschnell urteilen. Und genau das unterlassen auch die vielen, die heute vorschnell ihre Urteile sprechen – zu schnell, um überhaupt nachgedacht haben zu können. Es ist eine Krankheit, die auch manche Kirchenvertreter befallen hat. Den Heiligen Geist für sich in Anspruch zu nehmen, ist leicht – und oft allzu verfrüht. Denn es gibt ein Merkmal, das das Wirken des Geistes ausmacht:

Wer den Willen Gottes erfüllt, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter. (Markus 3,35)

Wer nur laut plärrt, ist kindisch. Wer wirklich ernst genommen werden will, sollte sich der eigenen Verantwortung stellen. So mancher Shitstorm erweist sich dann doch als Verwüstung des eigenen Kinderzimmers, in dem niemand mehr wohnen kann. Es wird Zeit, dass die Gesellschaft ihre Fundamente neu aushandelt. Wer aber soll damit anfangen? Ich!

Dr. Werner Kleine

Author: Dr. Werner Kleine

Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.

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