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kath 2:30 Dies DominiDies Domini – 29. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr A

Blutsbrüder zu sein, Blutsbrüder wie Winnetou und Old Shatterhand, das war mehr als Freundschaft. Blutsbrüder standen mit dem Leben füreinander ein. Sie waren nicht nur eines Sinnes und Geistes; sie waren eins. Über mehrere Tagesritte hinweg erahnten sie nicht nur, dass der andere in Gefahr war; sie spürten es geradezu am eigenen Leib. Der eine war der andere. Raum und Zeit waren nicht in der Lage, sie zu trennen. Auch der Tod vermochte das nicht, als der Häuptling der Apachen in den Armen des Mannes mit der sicheren Hand starb und dabei die letzten Worte haucht:

Schar-lih, ich glaube an den Heiland. Winnetou ist ein Christ. Lebe wohl!

Schar-lih, wie Winnetou Old Shatterhand nennt, hatte seinen missionarischen Auftrag als Christ erfüllt. Er hatte dem Häuptling der Apachen den Sohn des guten Manitou verkündet. Wer, wie Schar-lih, vulgo: Old Shatterhand, in Christus den Urgrund des Lebens erkannt hatte, kann da gar nicht anders. Als Blutsbruder war das für ihn wohl selbstverständlich

Keinesfalls aber ist es selbstverständlich, Blutsbruder zu werden. Die Blutsbrüderschaft muss errungen, ja erkämpft werden. Manchmal ist das gar ein Kampf um Leben und Tod. Die Loyalität der Blutsbrüder hat hier ihren Grund. Sie ist erprobt, errungen, gehärtet an Rivalität des Lebens. Wer nicht nur auf die Worte des anderen hört, sondern ihm sein Leben anvertraut und mit seinem Blut für ihn einsteht, der muss den anderen bis in die Tiefe hinein kennen lernen. Nicht das Wort „Bruder“ zählt, sondern das Leben in der Hand des anderen, während man sein Leben selbst in Händen hält. Blutsbrüder sind nicht selbstfixiert; sie leiden und leben im anderen. Deshalb sind Blutsbrüder die Guten, sie suchen das Gute, sie tun das Gute. Der Blutsbruder kennt keine Falschheit, keinen Betrug.

Wie anders stellen sich die Bruderschaften dar, von denen die Bibel erzählt: Kain und Abel, Jakob und Esau, Josef und seine elf Brüder – sie alle sind zwar dem Blut nach verwandt, aber sie suchen den eigenen Vorteil. Mord, Betrug und Verrat sind die Mittel, um die eigenen Ziele zu erreichen, Intrigen und Fallen ihre Methode. Wer solche Brüder hat, braucht wahrlich keine Feinde mehr. Blut mag dicker als Wasser sein, wahre Blutsbrüder werden sie nie werden.

Von einem Bruder verraten zu werden, ist besonders schlimm. Denn die Brüderlichkeit suggeriert Vertrauen und Verlässlichkeit. Unter ihrem Mäntelchen kann man dem anderen kräftig vors Schienenbein treten und dabei hold selig lächeln: Bruder, kann ich dir helfen, du scheinst Schmerzen zu haben. Mit solchen Brüdern an einem Tisch zu sitzen, ist gefährlich. Oben reicht man sich die Hände zum brüderlichen Kuss; unter dem Tisch aber wird getreten, gehakt und gezogen – und die Schuld immer von sich gewesen: Der da, der da war’s!

Besonders unübersichtlich wird die Lage, wenn viele Mitbrüder an einem Tisch sitzen. Dabei ist entscheidend, wie die Bruderschaft zustande kam. Wurde sie hart erkämpft, oder wurde sie durch den formalen Eintritt in eine Gemeinschaft erlangt? Wurde man Bruder, weil man mit dem anderen auf Leben und Tod gerungen hatte, oder wurde sie durch ein wie auch immer geartetes gemeinsames Merkmal verliehen?

An dieser Stelle muss der Autor dieses Beitrages die Schwestern um Verzeihung bitten, dass bisher nur von Brüdern die Rede war. Das liegt leider in der Natur der Sache, denn die katholische Kirche spricht zwar gerne von den „Brüdern und Schwestern“. Echte Brüder sind aber meist nur die Kleriker. Mitbrüder nennen sie sich, in die Bruderschaft aufgenommen durch die Weihe – eine Bruderschaft, in die man als Ungeweihter und Ungeweihte nicht gelangen kann.

Man musste vielleicht mit sich ringen, nicht aber mit dem anderen, um Mitbruder zu werden. So sind sie zwar Brüder im Geiste, aber eben nicht Blutsbrüder. Und selbstverständlich sind ihre Vorbilder keine Romanfiguren aus einem Karl-May-Roman, sondern selbstverständlich die biblischen Brüder, deren Mut machende Botschaft vor allem darin besteht, dass Gott trotz aller List und Intrigenlust der Menschen Heil zu bewirken weiß. Josef ist dafür ein gutes Beispiel: Er, der von seinen Brüder in die Falle gelockt wurde, wird zum Retter in höchster Not – gerade weil er in der Falle saß. Das macht die Falle nicht besser und die Bruderschaft schon gar nicht hehr; es zeigt alleine, dass Gott seine eigenen Wege geht, auch wenn es Umwege sein müssen.

Wie sehr das Gift des schönen Wortes „Bruder“ wirken kann, ist auch in diesen Tagen wieder zu beobachten. Die in Rom stattfindende Bischofsynode zu Fragen der Ehe und Familie ist nicht nur von einer für katholische Verhältnisse ausgesprochen offenen Diskussion geprägt, sondern auch von Tricksereien, die einem angesichts der Würde, die die dort tagenden Mitbrüder zu tragen den Anschein geben, die Blutröte fremden Schams in das Antlitz steigen lassen. Lucas Wiegelmann fasst das in einem Beitrag für die „Welt“ vom 17. Oktober 2014 treffend in folgende Worte:

„Liberale Kräfte erwecken den Eindruck, ein neuer katholischer Umgang mit Wiederverheirateten, mit Paaren ohne Trauschein und mit Homosexuellen stehe unmittelbar bevor. Die Konservativen sagen, entschieden sei noch gar nichts. Um die öffentliche Meinung im jeweils eigenen Sinn zu beeinflussen, schrecken die Anhänger beider Parteien mittlerweile auch nicht mehr vor Halbwahrheiten und Tricksereien zurück.“

Prominentestes Opfer der vatikanischen Fallensteller ist zur Zeit Kardinal Kasper, der für eine Pastoral der Barmherzigkeit wiederverheiratet Geschiedenen gegenüber eintritt; es ist kein Geheimnis, dass Papst Franziskus auf seine Einschätzung großen Wert legt. Kardinal Kasper wurde im Umfeld der Bischofssynode von dem Journalisten Edward Pentin auf englisch angesprochen – der Tonmitschnitt legt eine spontane Situation auf offener Straße nahe. Kardinal Kasper bestreitet, davon gewusst zu haben, dass es sich um eine Interviewsituation gehandelt habe. Das eigentlich Perfide ist aber, dass das den Legionäre Christi nahestehende Internetportal zenit.org aus dem Gespräch nur irreführende Auszüge veröffentlicht wurden, die den Eindruck erwecken, Kardinal Kasper äußere sich abschätzig gegenüber afrikanischen Synodenteilnehmern. Der Gesamtzusammenhang des Gespräches zeigt aber auf, dass das Gegenteil der Fall ist:

I think in the end there must be a general line in the Church, general criteria, but then the questions of Africa we cannot solve. There must be space also for the local bishops’ conferences to solve their problems but I’d say with Africa it’s impossible [for us to solve]. But they should not tell us too much what we have to do. (aus dem Transskript des Gespräches zwischen Edward Pentin und Walter Kardinal Kasper)

Kurz gesagt plädiert Kardinal Kasper für eine Stärkung der Entscheidungskompetenz der Bischöfe vor Ort. Die Europäer haben den Afrikaner nichts zu sagen, und die Afrikaner den Europäern nicht.

Aber nicht nur die Vertreter der sogenannten liberalen Linie sehen sich Intrigen solcher Art ausgesetzt, es trifft auch die konservative Fraktion. Der für seine starr dogmatische Haltung bekannte Präfekt der Glaubenskongregation Kardinal Müller wird mit Worten zitiert, mit denen er den Zwischenbericht der Synode vermeintlich als „unwürdig, schändlich und komplett falsch“ abqualifiziert (zitiert nach Lucas Wiegelmann/Welt). Einen Beleg für diese Kolportage, von der sich Kardinal Müller vollständig distanziert, gibt es freilich nicht.

Und so wogt der Schwall der Gerüchte hin und her, es wird geredet, aber noch nicht gerungen. Positionen werden zementiert, aber nicht kommuniziert. Haltungen werden zerrieben und abgeschliffen, bis Ermattung einen Kompromiss suggeriert, der doch kein Konsens ist. Würden sie miteinander ringen wie Blutsbrüder, so würden sie mit Achtung und Respekt nicht von Ketzerei und Häresie reden (die Worte waren wohl tatsächlich zu hören), sie würden aufeinander hören. Zum Hören gehört auch das momentane Schweigen. Zur Zeit schweigt im kakophonen Stimmengewirr der Mitbrüder aber nur einer: ausgerechnet Papst Franziskus schweigt und hört, er, dessen Wort bei einer Synode allein Entscheidungsgewalt hat.

Manch einer spricht von einem Erdbeben, andere sehen sich überschlagende Ereignisse angesichts der neuen Qualität episkopaler Auseinandersetzung. Dabei hat man eher den Eindruck sich rechthaberisch balgender Brüder. Das ist zwar wenig kreativ; immerhin aber soll die Katholizität der Kirche verteidigt werden. Da kann die Barmherzigkeit schon einmal auf der Strecke bleiben – oder es gibt sie nur unter Vorbehalt, wie der dem konservativen Kreis zuzurechnende Kardinal Pell ausführt:

Es war eine Atmosphäre des offenen Redens, der Wahrheit, der Vielfalt in der Einheit. Und es war sonnenklar, dass die Lehre der Kirche, die Lehre Jesu absolut fundamental und zentral ist. Natürlich bedeutet das: Barmherzigkeit, aber Barmherzigkeit in der Wahrheit! Die Dokumente aus den Arbeitsgruppen sind wirklich katholisch im besten Sinn des Wortes. Es gibt da Diversität – offensichtlich. Aber da ist auch die radikale Treue zum Evangelium und zu Jesus Christus. (Quelle: Radio Vatikan [kursiv: WK])

Abgesehen von der Frage, ob Barmherzigkeit und Wahrheit überhaupt in Konkurrenz zueinander treten könnten, stellt sich die Frage, wie Jesus selbst da Bestand haben kann, er der mit Zöllner und Sündern verkehrte, ohne dass sie sich vorher bekehren mussten. Jesus, der der Weg, die Wahrheit und das Leben ist, war vorbehaltlos barmherzig. Vor dem „und sündige von jetzt an nicht mehr“ sagt er der Ehebrecherin „Geh!“ (vgl. Johannes 8,11). Und was wird geschehen, wenn sie doch rückfällig wird? Wird er sie dann verurteilen? Oder wird er mit seiner Forderung, sieben mal siebzig mal zu verzeihen (vgl. Matthäus 18,22), ernst machen?

Papst Franziskus hat diesen Jesus in seiner Predigt am 13. Oktober 2014 als „gefährlich“ bezeichnet, weil er sich gegen die herrschende Lehre stellte:

„Dass er mit Sündern und Zöllnern zusammen aß. Er gefiel ihnen nicht, er war gefährlich, weil er die Lehre in Gefahr brachte, dieses Gesetz, das die Theologen über Jahrhunderte hinweg erstellt hatten.“ (Quelle: Radio Vatikan)

Und weiter:

„Sie hatten nicht verstanden, dass Gott der Gott der Überraschungen ist, dass Gott immer neu ist! Nie verleugnet er sich selbst, doch immer überrascht er uns. Das verstanden sie nicht, und darum schlossen sie sich in dieses System ein und forderten von Jesus ein Zeichen. Und dabei übersahen sie die vielen Zeichen, die Jesus wirkte und die deutlich machten, dass die Zeit reif war. Sie hatten vergessen, dass sie ein Volk auf dem Weg waren. Auf dem Weg! Wenn man auf dem Weg ist, findet man immer neue Dinge, Dinge die man vorher nicht kannte.“ (Ebd.)

Wer sich so mit Blick auf die Menschen vor ihm gegen die herrschende Gesetzeslehre stellt, muss mit dem Widerstand derer rechnen, die etwas zu gelten scheinen. Wem man aber mit Argumenten nicht habhaft werden kann, dem werden Fallen gestellt. So geschieht es auch im Evangelium vom 29. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres A:

Die Pharisäer kamen zusammen und beschlossen, Jesus mit einer Frage eine Falle zu stellen. Sie veranlassten ihre Jünger, zusammen mit den Anhängern des Herodes zu ihm zu gehen und zu sagen: Meister, wir wissen, dass du immer die Wahrheit sagst und wirklich den Weg Gottes lehrst, ohne auf jemand Rücksicht zu nehmen; denn du siehst nicht auf die Person. Sag uns also: Ist es nach deiner Meinung erlaubt, dem Kaiser Steuer zu zahlen, oder nicht? (Matthäus 22,15-17)

Die Falle liegt in der falschen Alternative: Erlaubt Jesus die Steuerzahlung, entscheidet er sich für den heidnischen Kaiser und damit gegen das Gesetz, das den Verkehr mit Heiden für unrein machend erklärt. Erlaubt er die Steuerzahlung nicht, stellt er sich gegen die römische Besatzungsmacht – eine entsprechende Anzeige dürfte auf dem Fuße gefolgt sein.

Aber Jesus erkennt die Falle und die niederträchtige Absicht. Wenn man zwischen zwei Wegen wählen soll, die beide nicht gangbar sind, muss man den dritten Weg gehen. Jesus deckt die Falschheit der Alternative auf, indem er die Frage nach dem Besitz stellt: Die Münze trägt das Bild des Kaisers, sie gehört ihm längst. Der Mensch, jeder Mensch aber ist Abbild Gottes!

In Rom stehen sich Blöcke gegenüber, die nicht wirklich alternativ sind. Solange destruktiv verurteilt und intrigiert wird, wird es keinen Fortschritt geben. Neu aber ist, dass die Blöcke sichtbar werden. Es ist die Zeit des Ringens – und gerungen muss werden, damit aus Mitbrüdern echte Blutsbrüder werden. Wenn nach dem Ringen das gegenseitige Misstrauen und die Verurteilung verschwinden können, kann man nach dem dritten Weg suchen, dem Umweg Gottes, der ihn längst gegangen ist. Es ist gut, wenn die Synode sich ein Jahr Zeit bis zum Oktober 2015 gibt, den Ringen braucht Zeit. Nur so können aus Fallenstellern Pfadfinder werden.

Dr. Werner Kleine

Author: Dr. Werner Kleine

Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.

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