Der Mensch sollte aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit ausziehen – das war in den Augen Immanuel Kants das hehre Ziel der Aufklärung. Die Vernunft übernahm als Wagenlenker die Führung, Information ging vor Emotion, einfach etwas zu glauben, was vor dem Gerichtshof der Vernunft keinen Bestand hatte, war verpönt. Sicher: In der Romantik eroberte die Emotion wichtiges Terrain zurück. Der Mensch ist halt zutiefst ein Gefühlswesen, das ohne Zweifel vernunftbegabt ist. Man stelle sich vor, ein Liebender würde seiner Geliebte als aufgeklärter Mensch erklären, dass die Photonen ihrer physischen Existenz auf seiner Netzhaut eine Elektrostimulation in Gang bringen, die seine Synapsen veranlassten, einen Hormoncocktail aus Dopamin, Oxytocin, Noradrenalin und anderen Substanzen in sein Gefäßsystem auszuschütten, die ihn in einen irrationalen, ja fast rauschhaften Zustand versetzten. Wie anders klingt dagegen klingt jene poetische Liebeserklärung aus dem Hohenlied:
„Wie ein purpurrotes Band sind deine Lippen und dein Mund ist reizend. Dem Riss eines Granatapfels gleicht deine Wange hinter deinem Schleier.“ (Hld 4,3)
Es ist die Macht der Bilder, die alle Vernunft übersteigend, Wirkung zeigt. Die Evolution hat dem Sehsinn eine besondere Bedeutung zugewiesen. Das Auge scannt die Umgebung. Bewegung absorbiert Aufmerksamkeit. Wenn sich vor der Behausung unserer Urahnen etwas regte, war das überlebenswichtig. Entweder wartete im Gebüsch Nahrung, die es zu erlegen galt – oder eine Gefahr, der man sich erwehren musste. Bis heute zieht Bewegung unsere Aufmerksamkeit auf sich – ob wir wollen oder nicht. Deshalb sind die Errungenschaften der Technik oft Segen, oft aber eben auch Fluch. Das Aufploppen von Meldungen auf den Screens der digitalen Diener zieht unweigerlich unsere Aufmerksamkeit auf sich. Das wissen die Kommunikationsstrategen hinter den Messengern und sozialen Medien. Sie wollen nichts weniger als unsere permanente Aufmerksamkeit. Das wird in Zeiten der künstlichen Intelligenz nicht besser. Was glauben Sie denn?
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Dies Domini – Sechster Sonntag der Osterzeit, Lesejahr C
Am kommenden Donnerstag feiern wir das Hochfest Christi Himmelfahrt. Die Erzählung ist ebenso bekannt wie eindringlich. Der Auferstandene gibt seinen Jüngern letzte Anweisungen. Nur noch wenige Augenblicke, dann wird er nicht mehr bei ihnen sein. Er wird zum Vater heimkehren. Er wird nicht mehr in dieser konkreten Weise da sein, die unmittelbare Begegnungen ermöglicht. Er verheißt seinen Jüngern vor seiner Himmelfahrt aber die Sendung des Heiligen Geistes, die ihnen Kraft geben wird. Eine Kraft, die sie verwandeln wird. Bisher waren sie Jünger, also Schüler. Jetzt aber bekommen sie einen neuen Auftrag:
„Ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an die Grenzen der Erde.“ (Apg 1,8b)
Die Zeit ihrer Schülerschaft ist beendet. Es ist jetzt an ihnen, das Evangelium in Wort und Tat in die Welt zu tragen – und damit das Werk Jesu fortzusetzen.
Auch das Evangelium vom 6. Sonntag der Osterzeit im Lesejahr C verkündet diesen Auftrag – freilich nicht ganz so offensichtlich, wie es der Auferstandene bei seiner Himmelfahrt tut. Das ist kein Wunder. Das Evangelium entstammt den Abschiedsreden, die Jesus im Johannesevangelium vor seinem Leiden, Sterben und Auferstehen an die Jünger richtet. Noch ist nichts klar. Vieles mag für die Jünger rätselhaft erschienen sein. Jesus erklärt in den Abschiedsreden im Vorhinein, was sein kurz bevorstehendes Schicksal bedeutet. Und so sagt er jetzt schon, was der Auferstandene vor der Himmelfahrt unumwunden spricht:
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Wir Wuppertaler sind nun doch nicht Papst geworden. Damit kann ich sehr gut leben. Die Wahl fiel auf einen Kardinal mit einer Vergangenheit voller Bewegungen. Robert Francis Kardinal Prevost, der fortan Leo XIV genannt wird, stammt aus einer Familie mit französischen, italienischen, spanischen und kreolischen Wurzeln. Allein das ist schon „urkatholisch“, ist die ursprüngliche Bedeutung des griechischen Wortes „katholon“ doch „umfassend“ oder „universell“. Das steht einer nationalen Begrenzung christlichen Lebens in sich schon entgegen. Auch die römisch-katholische Kirche, die „römisch-katholisch“ genannt wird, insofern sie dem römischen Ritus folgt, kennt keine Ausländer: Wer getauft und wer gesalbt ist, gehört voll und ganz zur Kirche, die nach dem Glaubensbekenntnis einig, heilig, apostolisch und eben katholisch, also „universell“, ist. Dem neuen Papst ist diese Art ursprünglicher Katholizität nachgerade in das Leben eingeschrieben. Vielleicht liegt hier ein Grund, warum er sich im Februar 2025 nicht scheute, dem US-amerikanische Vizepräsidenten JD Vance, der im August 2019 zum Katholizismus römischer Provenienz konvertierte, ins Angesicht hineinzuwiderstehen, als der glaubt, das christliche Gebot der Nächstenliebe hierarchisieren zu können; die beziehe sich vornehmlich auf die Familie, dann auf die Nachbarn und bestenfalls erst denn auf den Rest der Welt. Die Antwort von Robert Francis Kardinal Prevost war knapp:
„JD Vance irrt: Jesus verlangt nicht von uns, unsere Liebe zu anderen zu priorisieren.“
Nächstenliebe ist urkatholisch, eben universell. Wo auch immer „christlich“ draufsteht, sollte auch „christlich“ drin sein. Wer auch immer glaubt, das „Christliche“ verteidigen zu müssen, muss sich an der Weisung des Namensgebers orientieren. Dieser Christus aber lässt wenig Spielraum. Das alte jüdische Gebot
„Liebe deinen Nächsten, er ist wie du!“ (Lev 19,18),
das Jesus im Lukasevangelium mit dem Gleichnis vom barmherzigen Samariter konkretisiert, führt zu dessen Auftrag an jeden wahrhaft katholischen Christen:
„Geh und handle genauso barmherzig wie der Samaritaner aus dem Gleichnis.“ (vgl. Lk 10,37
Ausnahmen oder Entschuldigungen sind da genauso wenig vorgesehen, wie die Entwicklung politischer Strategien, Menschen davon abzuhalten, überhaupt zu Nächsten werden zu können. Mauern setzen Grenzen. Sie sind nie universell. Zäune sind einfach nicht katholisch.
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Erinnerungen haben es schwer in Zeiten allgegenwärtiger digitaler Bildbannungen. Ob ein Papst stirbt, Deutschland Fußballweltmeister wird oder die Schönheit einer Landschaft einem den Atem raubt – die modernen Zeitgenossen erleben die Welt meist nur noch vermittelt durch den Screen der Smartphones. Ein Selfie hier, ein Selfie da. Das Essen, die Leiche, der Sonnenuntergang – alles bildet nur noch die Kulisse für ein Bild des äußeren Ich. War man wirklich da? Oder wurde das Bild möglicherweise mit der sogenannten „Künstlichen Intelligenz“ generiert? Wer weiß das schon. Was glauben Sie denn?
Es heißt ja, dass in den letzten Sekunden der irdischen Zeit das eigene Leben vor dem inneren Auge vorüberziehen würde. Ob das wirklich so ist, weiß man nicht so genau. Denn die, die davon berichten könnten, haben Zeit und Raum längst hinter sich gelassen und können nichts mehr erzählen. Aber nehmen wir einmal an, es sei so: Was werden die, die die ihnen geschenkte Zeit nur im Status medialer Maskierung verlebt haben, erinnern? Hat man den Geschmack des abfotografierten Essens noch auf der Zunge, den Geruch der Rapsfelder in der Nase, die Weite des Meeres, die jeden Bildrahmen sprengt, noch vor Augen? Hat man das äußere Leben wirklich erinnert?
„Erinnere dich: Als du in Ägypten Sklave warst, hat dich der HERR, dein Gott, dort freigekauft. Darum mach ich es dir zur Pflicht, diese Bestimmung einzuhalten.“ (Dtn 24,18)
Erinnerung erscheint hier als Wesensbestimmung, als Auftrag, eine Verpflichtung wahrzunehmen, die einen Vers vorher formuliert wird:
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Dies Domini – Zweiter Sonntag der Osterzeit/Weisser Sonntag, Lesejahr C
Was wäre gewesen, wenn es zur Zeit Jesu schon die Smartphones und die sozialen Medien gegeben hätte. Hätte man live vom Grab gestreamt, womöglich eine Überwachungskamera aufgestellt? Hätte man den Aufenthaltsort der Jünger geleakt und die Kameras auf sie gehalten? Wäre es Maria Magdalena als erstes eingefallen ein Selfie mit dem Auferstandenen zu machen? Und was hätte man darauf gesehen – womöglich nur eine verwirrt glücklich strahlende Frau, neben der nichts zu sehen ist, weil der Auferstandene eigentlich schon nicht mehr von dieser Welt ist. Sie konnte ihn damals schon nicht festhalten. Und auch Thomas, der berühmte Zweifler, kann nicht glauben, bevor er den Auferstandenen nicht begreifen darf. Davon erzählt das Evangelium vom zweiten Sonntag der Osterzeit. Die anderen Jünger sind dem Auferstandenen schon begegnet. Trotz verschlossener Türen kam Jesus zu ihnen. Wohlgemerkt: Er kam nicht durch geschlossene Türen oder Maurern wie ein Gespenst oder ein Geist. Die wären, so man denn an sie glauben möchte, immer noch Teil der diesseitigen Welt. Nein, der Evangelist Johannes sagt einfach, dass die Jünger bei verschlossenen Türen versammelt waren; dann
„kam Jesus, trat in ihre Mitte und sagte zu ihnen: Friede sei mit euch!“ (Joh 20,19b)
Das Besondere ist die Begegnung in sich, nicht die Art und Weise der Erscheinung. Letztere wird nicht hinterfragt, erstere bedarf hingegen einer Identifikation. Gerade weil die Begegnung mit dem Auferstandenen von den Begegnungen mit dem irdischen Jesus verschieden ist, stellt sich die Frage, ob es wirklich der Auferstandene ist oder nicht eine andere Vision. Das klärt zum einen, dass das Leben nach dem Tod nicht einfach eine Verlängerung der irdischen Existenz ist. Der Auferstehungsleib ist von dem aus Fleisch und Blut offenkundig verschieden. Andererseits muss doch die Identität erkennbar bleiben. Bei aller Diskontinuität in der Art der Leiblichkeit muss es eine Kontinuität in der Individualität geben. Deshalb wird der Auferstandene nicht an seiner äußeren Erscheinung erkannt. Die Berichte sind hier ohnehin äußerst diffus. Sie beschreiben nicht, was die ersten Auferstehungszeuginnen und -zeugen gesehen haben. Lediglich von Maria Magdalena heißt es, sie glaube, einen Gärtner vor sich zu haben (vgl. Joh 20,15). Die Identifikation des Auferstandenen erscheint dagegen fast unzweifelhaft eindeutig: Die Emmausjünger erkennen ihn an der Art und Weise des Brotbrechens (vgl. Lk 24,30f), Maria Magdalena erkennt ihn an der Stimme und der offenkundig einzigartigen Art und Weise, wie er ihren Namen ausspricht (vgl. Joh 20,16) und – wie es das Evangelium vom zweiten Sonntag der Osterzeit berichtet – die Jünger schließlich an den Wundmalen:
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Am Beginn steht das öffentliche und totale Scheitern. Was hoffnungsvoll im galiläischen Frühling begann, fand sein jähes Ende in der Demütigung des Kreuzestodes. Der, in dem manche den Gesalbten Gottes sahen, wurde vor aller Augen der Schmach des Todes am Kreuz überantwortet.
„Ein Gehenkter ist ein von Gott Verfluchter.“ (Dtn 21,23)
– so heißt es in der Thora. Tiefer, entehrter und gottverlassener kann man nicht sterben. Christen glauben an einen Gescheiterten. Was glauben Sie denn?
Die römische Strafe der Kreuzigung war eine ausgesuchte Form der Demütigung über den Tod hinaus. Sie begann mit einer brutalen Geißelung, die viele Delinquenten schon nicht überlebten. Ihr folgte die öffentliche Vorführung der Todgeweihten, dann die Kreuzigung vor aller Augen. Der qualvolle Tod konnte sich manchmal über Tage hinziehen. Es stirbt sich nicht andächtig und privat am Kreuz. Die Hinrichtung am Kreuz ist ein politisches Statement der Römer, mit der sie ihre Macht demonstrierten. Römische Staatsbürger durften nicht nur nicht gekreuzigt werden. Man sollte jede Form des Kreuzes von ihnen fernhalten, wie die beredte Stellungnahme des römischen Philosophen und Redners Cicero zeigt, der feststellt:
„Was Kreuz heißt, soll nicht nur vom Leib der Bürger Roms fernbleiben, sondern auch schon von ihrer Wahrnehmung, ihren Augen und Ohren.“
Der Kreuzestod Jesu darf als historisch gesichert betrachtet werden. Nicht nur die Evangelien berichten davon. Auch die einer besonderen Nähe zum Christentum unverdächtigen römischen Autoren Sueton, Plinius der Jünger und Tacitus verweisen auf ihn. Letzterer scheint sogar Zugriff auf damals offenkundig archivierte Prozessakten des Pilatus gehabt zu haben. Dass solche existiert haben, belegt eine Äußerung Justins des Märtyrers, der noch in der Mitte des 2. Jahrhunderts n.d.Z. in seiner Apologia mit Verweis auf das heilende Wirken Jesu schreiben kann, das offenkundig Gegenstand des Verhörs durch den römischen Statthalter war:
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Dies Domini – 4. Sonntag der österlichen Bußzeit
Das Befinden changiert irgendwo zwischen Irritation, Verstörung, Desillusion und Belustigung. Mit dem Regierungsantritt von Donald Trump als Präsident der USA und seiner Administration sind die alten Gewissheiten innerhalb weniger Wochen aufgerieben worden. Möglicherweise entsprachen diese vermeintlichen Gewissheiten eher einem Wunschdenken, dass auf jenen Gewohnheiten beruhte, der große Bruder jenseits des Atlantik würde die kleine Schwester Europa schon beschützen, wenn es eng würde. Nun aber entpuppt sich der große Bruder als wenig zuverlässig, eitel, selbstsüchtig und unzuverlässig. Möglicherweise hätte man das schon lange ahnen können. Spätestens nach dem Ende des kalten Krieges hat sich der Abstand der Gesellschaften dies- und jenseits des großen Teiches schleichend vergrößert. Man denke nur an den ehemaligen US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, der 2003 die Weigerung Frankreichs und Deutschlands, die USA im Krieg gegen Saddam Hussein zu unterstützen, damit quittierte, dass „das alte Europa“ des Westens den Nationen des „neuen Europa“ des Ostens gegenüberstehe. Schon damals blickte man auf jenen Kontinent hinab, von dem man sich am 4. Juli 1776 mit der Unabhängigkeitserklärung befreit hatte. Europa war damals monarchisch geprägt; das neue Amerika wollte frei sein, demokratisch, modern. In der Nachkriegszeit hielten die USA – sicher nur aus moralisch-gutherzigen Gründen – ihre Hände über die westlichen Partner, auch um den großen Gegner Sowjetrusslands in Schach zu halten. Das alles ist Geschichte. Die Welt hat sich verändert. Der Blick der USA geht schon lange eher in Richtung Asien. Unter Donald Trump wird nun immer deutlicher, dass das Gewinnstreben die eigentlich Motivation ist. Der Dealer jenseits des großen Teiches ist nur am eigenen Erfolg interessiert. Im eingebildeten Wissen einer scheinbaren Stärke verprellt er ehemalige Verbündete, meldet verstörende Gebietsansprüche an, erhebt Zölle im Tagesrhythmus, die er kurz darauf wieder streicht. Kurz: Auf die USA ist kein Verlass mehr. Und doch zeichnete sich vieles schon ab. Für aufmerksame Beobachterinnen und Beobachter des Zeitgeschehens überrascht allenfalls die Überraschung vieler, die jetzt aus ihren Wolkenkuckucksheimen fallen und in Rekordzeit mündig werden müssen. Die kleine Schwester Europa muss sich selbst ermächtigen. Längst schon hätte sie erwachsen sein sollen …
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Frühlingsanfang. Die Natur zeigt, was sie kann. Das Leben blüht, bricht auf, explodiert gerade zu. Frühlingsanfang ist, wenn Tag und Nacht gleich sind – das Äquinoktium. Licht und Dunkelheit halten sich die Waage. In dieser Jahreszeit ist gewiss, dass das Licht siegen wird. Das Leben wird gewinnen! Frühlingsanfang halt.
Manche Zeitgenossen erinnern in diesen Tagen die eigene Kindheit. Mit der wärmenden Sonne begann die Saison, in der man wieder draußen spielen, balgen und laufen konnte. Waren das noch Zeiten, als man einfach nach draußen gehen konnte, und nicht wusste, was noch passieren würde. Wo es keine durchgeplante Tagesstruktur gab, wartete das Abenteuer das Lebens. Waren das noch Zeiten. So viel Freiheit! Bevor es dunkel wurde, musste man dann wieder zu Hause sein. Waschen, Abendessen, vielleicht noch das Sandmännchen und dann um 20.00 Uhr – noch vor der Tagesschau! – ab ins Bett. Die Eltern hatten halt das Sagen. Die Freiheit war begrenzt. Die Verantwortung hatten die Eltern. Deshalb bestimmten sie letzten Endes auch, was wann zu tun war. Das Paradies hatte immer schon einen Zaun – oder waren es Gitter?
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Dies Domini – 8. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr C
Die Welt scheint aus den Fugen geraten. Die alten Ordnungen, die über viele Jahrzehnte ein wenigstens relatives Maß an Sicherheit garantiert haben, zerfallen vor den Augen einer noch sprachlosen Öffentlichkeit zu Staub. Es gilt kein gegebenes Wort mehr, keine Ehre, keine Menschlichkeit. Die Dealer dieser Welt haben keinen Respekt vor jenen, die sie bestenfalls als Verhandlungsmasse sehen. Breitbeinig, großspurig und großmäulig treten die Bullys in den Präsidentenämtern auf – posieren mit nacktem Oberkörper auf Pferden, inszenieren sich als selbsternannte Könige oder zeigen sich mit Kettensägen. Respekt, Achtung, Nächstenliebe erscheinen ihnen als Schwäche. Wo kein Gewinn zu machen ist, kein „Deal“, haben die Schwachen und Bedrohten das Nachsehen – was haben sie schon zu bieten? Es ist unübersehbar, dass eine Zeitwende gekommen ist, in der sich zumindest in der nahen Zukunft nichts Gutes erhoffen lässt. Das Unvermögen der vielen, selbst den eigenen Anteil der Last der Verantwortung für das eigene Leben, die Familie und die Gesellschaft zu tragen, korrespondiert mit der Sehnsucht nach dem starken Führer, der einem sagt, was zu tun ist, dem man blind folgen will, um so keine Verantwortung übernehmen zu müssen. Die Welt ist in Unordnung geraten. Die Besonnenen müssen sich neu sortieren, andere jubeln, dass endlich etwas passieren würde. Das echte Leben, dieses Leben aber ist kein schlechter Actionfilm, der irgendwann zu Ende ist und man wieder in sein geordnetes Leben zurückkehrt. Das Chaos hat die Herrschaft übernommen.
Genau in diese Situation hinein erklingen am achten Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres C im Evangelium die Worte Jesu:
„Kann etwa ein Blinder einen Blinden führen? Werden nicht beide in eine Grube fallen?“ (Lk 6,39)
Sind aber die gegenwärtigen Herren des Chaos wirklich blind? Oder führen Sie die Welt sehenden Auges in eine Zukunft, in der Werte wie Respekt, Nächstenliebe und des Schutzes der Schwachen in den Hintergrund treten und dem Recht des Stärkeren Platz machen müssen?
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Es ist vorbei. Die Wahlkampfschlachten sind geschlagen. Die Wahl ist vollzogen. Der Souverän hat seine Arbeit getan und schaut nun zu, was aus seinem Willen wird. Das Volk wolle dieses oder jenes und man würde doch nur das tun, was die Mehrheit sage. Zumindest hätten Umfragen dieses oder jenes ergeben. Vor allem die Frage der Migration wurde zur Mutter aller Probleme erkoren. Und so hat man das Volk umworben, ihm scheinbar aufs Maul geschaut und dabei nur allzu oft das zutage gefördert, was man ihm zuvor in den Mund gelegt hat.
Ist die Migration wirklich die Mutter aller Probleme? Werden die Brücken wieder in Stand gesetzt sein, wenn man den „Zustrom“ begrenzt? Werden die Menschen wieder bezahlbare Wohnungen haben? Wird man sich dann endlich wieder auf den Fahrplan der Deutschen Bahn verlassen können? Begegnet man dem erstarkenden linken, rechten und islamistischen Antisemitismus mit einer klaren Haltung? Wohl kaum! In der gegenwärtigen Diskussion wird ein Scheinriese aufgebaut, der Herrn Turtur aus Michael Endes Jim Knopf-Erzählung alle Ehre macht.
Tatsächlich hält die Gegenwart zahlreiche Herausforderungen bereit. Wenn – wie vor Kurzem in Wuppertal bei der Konferenz des Stadtdekanates geschehen – Krankenhäuser in kirchlicher Trägerschaft davon berichten, dass sie Pflegekräfte in Kenia, den Philippinen oder der Ukraine anwerben müssten, weil der personelle Notstand sonst kaum auszugleichen ist; und wenn der Geschäftsführer eben dieses Krankenhauses berichtet, dass es viel zu lange dauert, bis etwa syrische Ärzte die Anerkennung ihrer Ausbildung erhielten, damit sie endlich hier in Deutschland ihren Beruf ausüben können, sie zuvor aber noch nicht einmal ein Pflaster verabreichen dürfen, dann wird die Mutter aller Probleme sichtbar: Es ist eine überbordende Bürokratie und eine verengte Sicht auf die Migration, die auf einer spontanen Empörung basiert: Wer würde angesichts der Taten von Solingen, Magdeburg, Aschaffenburg und München unberührt bleiben! Fraglich ist allerdings, ob solche Taten durch ein „Zustrombegrenzungsgesetz“ verhindert worden wären. Eher ist zu fragen, warum die Überwachung der schon zuvor auffälligen Täter nicht konsequent umgesetzt wurde. Personal, das zur Sicherung der Außengrenzen eingesetzt wird, fehlt in der Sicherung des Inneren.
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