Dies Domini – 6. Sonntag der Osterzeit, Lesejahr C
Es ist ein ekklesiales Drama, dass die Zeitgenossen erleben: Der Bischof von Rom stellt das Evangelium über den Katechismus. Was eigentlich kein Widerspruch sein dürfte, wird doch von manchem, der sich kirchentreu wähnt, so gedeutet. Die scheinbare Sicherheit der schwarz-weißen Katechismuswelt wird von einem, der auszieht, das Evangelium wirklich als Wort des Lebens zu verkünden, jäh gestört. Die hehren Worte, die ihre Ästhetik nicht selten daher erhielten, dass sie elfenbeinerne Ideale fern der staubigen Wirklichkeit des Lebens beschworen, werden verstört, aber sehnsüchtig zitiert – so etwa, wenn der Philosoph Robert Spaemann mit Blick auf das nachsynodale apostolische Schreiben „Amoris Laetitia“ von Papst Franziskus in einem Interview als „Bruch mit der Lehrtradition“ bewertet und verklärt feststellt:
„Johannes Paul II. erklärt die menschliche Sexualität als ‚Realsymbol für die Hingabe der ganzen Person’ und zwar ‚ohne jede zeitliche oder sonstige Begrenzung’.“ (Quelle: CNA [Stand: 30. April 2016])
Von hier aus verweist er auf die Enzyklika „Familiaris Consortio“ von Papst Johannes Paul II, die in Artikel 84 unmissverständlich feststellt, dass wiederverheiratet Geschiedene auf praktizierte Sexualität verzichten müssten:
„Eine Änderung in der Praxis der Sakramentenspendung wäre daher keine ‚Weiterentwicklung von Familiaris Consortio’, wie dies Kardinal Kasper meint, sondern ein Bruch mit ihrer wesentlichen anthropologischen und theologischen Lehre über die menschliche Ehe und Sexualität. Die Kirche hat keine Vollmacht, ohne vorherige Umkehr, ungeordnete sexuelle Beziehungen durch die Spendung von Sakramenten positiv zu sanktionieren und damit der Barmherzigkeit Gottes vorzugreifen.“ (Ebd.)
Tatsächlich hat die Kirche keine Vollmacht, das Wort Gottes an sich zu ändern. Das Wort Gottes ist ihr als Ur-Kunde in das Herz eingeschrieben. Das Wort Gottes selbst aber ist nach dem Zeugnis des Johannesevangeliums Fleisch geworden und hat unter den Menschen gewohnt (vgl. Johannes 1,14). Nach Paulus ist gerade das der Wesensausweis des Neuen Bundes, der eben nicht mehr auf dem Schwarz-Weiß wie in Stein gemeißelter Buchstaben gründet; er ist vielmehr in die fleisch-lebendigen Herzen der Menschen selbst eingeschrieben. So schreibt er an die Korinther:
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Dies Domini – 5. Sonntag der Osterzeit, Lesejahr C
Es ist Zeit. Mehr als der Raum beeinflusst die Zeit das Sein des Menschen. Er ist ihrem Lauf ausgeliefert. Im Laufe eines Tages vollzieht sich die Veränderung unmerklich. Über Wochen, Monate und Jahre hinweg ist die Veränderung aber nicht zu übersehen. Der Mensch ist ein zeitliches Wesen. Und seine Zeit ist begrenzt.
Gerade der Begrenzung wegen ist Zeit ein hohes Gut. Dabei kann man Zeit nicht besitzen. Sie ist nicht speicherbar. Man kann sie noch nicht einmal sparen. Die Zeit fließt, des Menschen Zeit verrinnt. Als Lebender allerdings hat er Zeit. Das Leben vollzieht sich in der Zeit. Tote haben keine Zeit mehr.
Das Leben und die Zeit sind also auf das Engste miteinander verbunden. Das Leben vollzieht sich in der Zeit. Es waren Naturläufe, die den Lauf der Zeit bestimmten. Sonnenunter- und -aufgang prägten das Geschehen des Tages. Der Mensch lebte im und mit dem Lauf der Jahreszeiten. Er lernte, die Lauf der Gestirne zu deuten für die Zeit der Aussaat und der Ernte. Frühere Generationen wussten noch um die Lebensqualität der Zeit. Zeit zu haben, Muße zu tun, ja Müßiggang zu treiben, galt als Ausweis des Reichtums. Reich war, wer Zeit hatte.
Heute hingegen gilt als clever, wer seine Zeit effizient nutzt. Zeitfenster werden im Minutentakt gefüllt. Ein Tag, der früher durch Sonnenunter- und -aufgang begrenzt war, ist nun in 86.400 Miniatureinheiten eingeteilt, deren Länge exakt dem 9.192.631.770-fachen der Periode einer Mikroschwingung entspricht, die mit einem bestimmten Übergang des Niveaus innerhalb eines Caesiumatoms in Resonanz ist. Und Max Planck geht noch weiter, wenn er die Planck-Zeit definiert, jenes kleinstmögliche Zeitintervall von 5,391×10-44 Sekunden, in denen die bekannten Gesetze der Physik gelten. Jenseits dieser Grenzen greifen sie nicht mehr. Der Zwischenraum zwischen diesen kleinsten Einheiten entzieht sich dem Zugriff, er ist unverfügbar wie die Ewigkeit.
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Dies Domini – Vierter Sonntag der Osterzeit, Lesejahr C
Worte sind Windhauch – nichts als verwirbelte Luft, merkwürdige Striche auf solidem Grund. Bedeutung erlangen sie erst, wenn sie Gestalt annehmen. Die Laute, die der Mund eines Menschen formuliert, gelangen durch das Ohr eines Menschen in sein Inneres und müssen dort verstanden werden. Fehlt das Verstehen oder wird der Weg der Laute gestört, entstehen keine Worte. Es bleiben nur Geräusche ohne Sinn, schwarze Striche auf weißem Grund, eine Anordnung ohne Sinn. Es ist die Bedeutung, die dem Geräusch oder einer Anordnung von Strichelchen, die sich kontrastierend vom Hintergrund abheben, erst Sinn verleiht. Das Wort muss Gestalt annehmen um mehr als Gekritzel oder ein akustisches Weißrauschen zu sein.
Das Wort ist Gestalt. Das Wort gibt Gestalt. Das Wort schafft Gestalt. Das Wort braucht Gestalt. Das Wort kann nicht für sich alleine sein. Es braucht eine Identität, die es denken, gestalten, ausdrücken kann. Es braucht eine Identität, die es aufnehmen, neu gestalten und denken kann. Das Wort braucht, damit es Wort sein kann, eine somatische Existenz, eine leibliche Gestalt.
Alleine kann das Wort also nicht sein. Sein Sein ist nicht unabhängig. Worte hängen an den Lippen, stehen vor Augen, brauchen offenen Ohren. Es sind diese Öffnungen des menschlichen Leibes zur Welt, jene Kanäle, mit denen der Mensch mit der Welt kommuniziert, ohne die das Wort vieles sein mag – aber eben nichts von Bedeutung. Erst ein Mensch, der sich so mit Mund, Augen und Ohren dem Wort öffnet, kann ihm überhaupt Wohnung geben und Bedeutung verleihen. Das ist der tiefere Sinn des berühmten Satzes aus dem Prolog des Johannesevangeliums:
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Dies Domini – Zweiter Sonntag der Osterzeit (Weißer Sonntag), Lesejahr C
Theorien sind wie Häuser, deren Standfestigkeit im Kopf des Theoretikers unzweifelhaft ist. Unter den Laborbedingungen der intellektuellen Glasglocke ist alles erlaubt, solange es systemimmanent stimmig bleibt. Die meisten Theorien bestehen deshalb aus vereinfachenden Systematisierungen, die sich in powerpoint-affine Grafiken fassen lassen. Das ist meist unterkomplex, aber schön anzuschauen. Mit dem Anschein eines intellektuellen Gestus dargeboten, könnte man meinen, der Theoretiker habe den Schlüssel zur Wirklichkeit gefunden, die eine Formel, die die Lösung aller Problem in sich birgt.
Ob es sich bei einem theoretischen Entwurf um ein Luftschloss handelt oder einen soliden, lebenstauglichen Entwurf, das wird meist erst in der Praxis deutlich. Selbst faktenorientierte Ingenieure haben mittlerweile die kognitive Dissonanz zwischen Theorie und Praxis erkannt. Eines der bekannten Beispiele ist die 1940 erbaute Tacoma-Narrows-Brücke. Die Brücke im Staat Washington (USA) wies seinerzeit mit einer Spannweite von 853 Metern die drittgrößte Spannweite aller Hängebrücken weltweit auf. Sie zeichnete sich durch eine äußerst niedrige und schlanke Stahl-Vollwand-Konstruktion aus, wie sie auch an der Rodenkirchener Brücke in Köln zu finden ist. Die Statik sollte optisch leicht sein, den Berechnungen ihres Planers Leon S. Moisseiff zufolge aber auch größeren Windgeschwindigkeiten problemlos standhalten.
Bereits vier Monate nach ihrer Eröffnung zerbarst die Brücke. Sie hatte den ersten Praxistest bei aufkommendem Starkwind nicht überstanden. Der Wind hatte die Eigenfrequenz der Brücke angeregt. Die gesamte Konstruktion geriet in eine selbsterregte und sich selbst verstärkende Schwingung, die dazu führte, dass sich die Fahrbahn in sich selbst verwand. Schließlich zerbrach die Konstruktion.
In der Theorie war die Tacoma-Narrows-Brücke von 1940 ein Meisterwerk der Ingenieurskunst, erdacht und errechnet am Schreibtisch. In der Praxis aber traten Einflüsse zutage, die der Ingenieur nicht mit bedachte hatte. Die Realität ist komplexer als es die meisten Theorien vorsehen.
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Dies Domini – Palmsonntag, Lesejahr C
Das Buch des Lebens ist dem Menschen in sein Antlitz geschrieben. Die feinen Fältchen erzählen von heiterer Gelassenheit, die tieffurchigen Falten hingegen von großer Erfahrung. Das von Furchen durchschichtete Gesicht hat Geschichte. Verantwortung, Not und Leid, Freude und Hoffnung hinterlassen Spuren. Wahrhaftig: Das Antlitz eines Menschen ist ein offenes Buch, das das Leben selbst schrieb und schreibt.
Das Gesicht erzählt viel über einen Menschen. Nicht nur seine Geschichte, auch seine Emotionen verschaffen sich hier Ausdruck. Selbst das Unterbewusste, das schwer Kontrollierbare, findet hier seinen Weg zur Welt. Feinste Regungen teilen sich dem Gegenüber mit. Selbst ein Mensch mit einem hohen Maß an Selbstbeherrschung kann sich dem nicht wirklich widersetzen. Das Innerste des Menschen findet in seinem Gesicht einen Ausdruck. Die Haut ist eben elastisch und zeigt an, was unter ihr ist. Deshalb zeichnen sich gerade die Schrunden und Abgründe der Seele so deutlich auf dem Antlitz ab.
Das Antlitz des Menschen ist in vielerlei Hinsicht sein Tor zur Welt. Augen, Mund und Ohren – diese wichtigsten Kommunikationsorgane des Menschen – sitzen im Gesicht. Mimik und Gestik begleiten das Gesagte und determinieren es ebenso wie der Tonfall der Stimme. Ob das Gesagte auch immer das Gemeinte ist, wird erst durch diese Interpretamente wirklich erkennbar. Wo das geschriebenen Wort bisweilen fragen lässt, welcher Aspekt eines Satzes die eigentliche Betonung trägt, helfen Mimik, Gestik und Tonfall den Angesprochenen, das Gesagte auch im Sinne des Gemeinten zu verstehen. Das Evangelium vom Palmsonntag im Lesejahr C – die Lukaspassion – liefert dafür ein Paradebeispiel. Jesus wird im Hohen Rat verhört. Man sucht dort nach einem todeswürdigen Grund in Jesu Handeln und Reden. Die Anklage lautet auf Gotteslästerei. Dementsprechend fragt man ihn:
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Dies Domini – 4. Fastensonntag, Lesejahr C
Unverhoffte Geschenke nähren das Misstrauen. Die Sache muss einen Haken haben. Nichts ist umsonst in einer Welt, in der alles nur auf Leistung und Gegenleistung beruht. Der Vorbehalt erwacht, bevor die Hände sich öffnen können. Sich zu öffnen, macht wehrlos. Und Wehrlosigkeit bedeutet Gefahr. So ausgeliefert steigt die Ohnmacht angesichts der vermuteten Hinterabsichten des vermeintlich selbstlos Schenkenden. Man hat da so seine Erfahrungen – vor allem mit sich selbst. Man weiß doch aus eigener Erfahrung, dass man nicht einfach so etwas schenkt. Wenigstens dankbar sollten die Beschenkten doch sein. Man hat die Enttäuschung doch mehr als einmal am eigenen Leib erfahren, wenn die Reaktion der Beschenkten nicht so ausfiel, wie man sich das erhofft hat. Auch Schenken ist eben ein Geschäft.
Das Misstrauen hat der Menschheit letztlich das Überleben gerettet. Auch wenn man einem geschenkten Gaul nicht ins Maul schauen soll, so mahnt doch das Geschenk an sich zur Vorsicht. Haben nicht die Danaer den Trojanern ein hölzernes Pferd geschenkt, das den Untergang Trojas einleitete? Je wertvoller das Geschenk, desto größer muss das Misstrauen sein. Geschenke können in den Untergang führen.
Der Überlebensinstinkt nährt das Misstrauen. Nichts ist umsonst im Leben, das lehrt doch jede Erfahrung. Da kann noch so viel von vorbehaltlosem Vertrauen geredet werden, das erst echte Kommunikation erübrigt. Wer freilich zuerst die Deckung herunter nimmt, darf sich nicht wundern, wenn er sich einen harten Schlag einfängt. Und das Leben lehrt doch immer wieder, dass selbst Gott einen harten linken Haken hat.
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Dies Domini – 3. Fastensonntag, Lesejahr C
Nicht jeder, der aufrecht steht, beweist schon Rückgrat. Manch eine mag schlicht an Rückenversteifung leiden und manch einer verlässt sich auf den Stock, der ihm Halt gibt. Ob jemand aufrichtig oder nicht doch einfach nur verstockt ist, ist auf den ersten Blick nicht zu erkennen. Manche scheinbare Standfestigkeit entpuppt sich bei näherem Hinsehen als banale Sturheit.
Die Natur verleiht dem Menschen mit Rückgrat eine Geschmeidigkeit. Das Rückgrat ist elastisch und biegsam. Es verschafft dem Menschen Beweglichkeit. Die Bandscheiben und Faszien verleihen dabei den einzelnen Wirbeln nicht nur untereinander Stabilität. Sie dienen auch dem motorischen Apparat des Menschen und gleichen die Bewegungen aus, so dass das Gleichgewicht gewahrt bleibt. Wer die Geschmeidigkeit und Beweglichkeit des Rückgrates missachtet, etwa indem er einseitige Haltungen einnimmt und unbeweglich bleibt, der darf sich über einen Bandscheibenvorfall oder anderweitig verursachte Rückenschmerzen nicht wundern. Hin und wieder wird als Therapie eine Spondylodese – eine Wirbelsäulenversteifung – als Therapie empfohlen. Der so versteift kann sicher aufrecht gehen. Aber seine Aufrichtigkeit ist dahin, weil er die Elastizität verloren hat, die ihm erst die wahre Bewegungsfreiheit verleiht.
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Dies domini – Fest Taufe des Herrn, Lesejahr C
der Mensch ist seiner Natur nach ein Lückenfüller. Er kann nicht anders. Er kann mit Sinnlosigkeit nicht leben. Ob gekonnt oder aus Unvermögen, ob aus solidem Wissen oder unbewusst – der Mensch muss die Dinge in einen Zusammenhang bringen und sie ordnen. Dieser Vorgang ist nicht objektiv. Er kann es nicht sein. Es ist ja die subjektive Perspektive des Einzelnen, seine eigene Weltsicht, aus der heraus die Dinge gedeutet werden und so Bedeutung bekommen. Nur allzu gerne sieht sich der Einzelne als Absolutum, der die Dinge in Relation zu sich setzt.
Die Welt ist voller Lücken. Der Mensch kann schließlich nur die Oberfläche der Dinge betrachten. Von ihrer äußeren Erscheinung her muss er auf die inneren Zusammenhänge schließen. Die Objekte, die ihm mehr oder weniger unverbunden gegenüber stehen, setzt er so nolens volens – wollend nichtwollend – in Beziehung zueinander. Texte funktionieren so. Indem Sie, liebe Leserin und lieber Leser, diesen Text lesen, machen Sie sich ein konkretes Bild von dem Menschen, von dem bisher die Rede war. Der bisherige Text hatte noch nicht ausgeführt, ob es ein weiblicher oder ein männlicher Mensch war. Und doch hat dieser Mensch in Ihrer Phantasie bereits Gestalt angenommen – als Mann oder als Frau. Sie haben die Leerstelle, die der Text Ihnen bisher gelassen hat, bereits gefüllt. Sie haben diesem Menschen ein Gesicht gegeben. Es war möglicherweise ein westeuropäisches Gesicht, vielleicht aber auch ein Gesicht mit anderem Teint und anderer Physiognomie. Texte funktionieren genau so. Sie lassen Lücken, die wir als Leserinnen und Leser automatisch füllen. Wir können gar nicht anders. Selbst wenn dieser Text den Menschen, von dem bisher allgemein die Rede war, noch genauer gefasst und etwa seine Augen- und Haarfarbe, seine körperliche Statur usw. beschrieben hätte – es würden noch genügend Leerstellen übrig bleiben. Kein Text kann so exakt sein, dass er keine Lücken beinhalten würde. Selbst wenn der Text den intendierten Menschen in seiner Gänze zu beschreiben in der Lage gewesen wäre, es würde doch der Kontext fehlen, die Landschaft, der Raum, in den die Phantasie des Lesers und der Leserin den Menschen abbilden würde. Die Welt bleibt voller Lücken, die der Mensch zu füllen hat.
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Dies Domini – 4. Adventssonntag, Lesejahr C
Mit einem kühnen Quintsprung schwingt sich die Melodie in die Höhe, um dann verwegen noch eine Stufe weiter höher zu klettern. Puer natus est – die Antiphon zum Introitusgesang der Heiligen Messe am Tage des Hochfestes der Geburt Jesu Christi lässt keinen Zweifel daran: Hier wird ein Fest gefeiert – und wo gefeiert wird, da muss man jubeln:
Puer natus est nobis, et filius datus est nobis – Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns geschenkt.
Dieses Zitat aus Jesaja 9,6 bildet den Kern der messianischen Verheißung des Weihnachtsfestes, auf das sich in diesen Tagen nicht nur die Kirche, sondern die Gesellschaft allgemein zubewegt. Man hat sich an die Worte so gewöhnt, dass man ihre Provokation gar nicht mehr wahrnimmt. Zu oft sind sie schon erklungen. Sie gehören zu Weihnachten, wie der Glühwein und die adventlichen Wetterberichte im Radio, in denen die Moderatoren den Meteorologen bereits zum 1. Advent die Verheißung einer weißen Weihnacht abtrotzen möchten, die – rein statistisch gesehen – doch nur alle Jubeljahre stattfinden kann.
In diesem Jahr aber ist alles irgendwie anders. Die Schneeglöckchen schlagen aus, weil das Wetter mehr an Frühling denn an Winter erinnert. An den Glühweinständen prostet man sich schon mit einem gekühltem Gerstensaft zu. Manch einer mag daran denken, mit der Familie am Heiligen Abend die Grillsaison zu eröffnen. Und in der Kirche predigt man wie alle Jahre wieder, dass Gott uns als Kind nahe gekommen sei, bevor dann das gefühlige „Stille Nacht, heilige Nacht“ doch noch einen Hauch winterlicher Kälte in die Herzen der Menschen zaubert, die danach endlich zum Wesentlichen schreiten und eine schöne Bescherung mit allem was dazu gehört anrichten. Das Kind – es liegt in der Kirche in der Krippe – ein holder Knabe mit lockigem Haar, der selig lächelnd genauso wenig aufrüttelt wie die seicht wiegende Melodie von Franz Xaver Gruber. Eine große Sekunde nach oben und wieder nach unten zu einer kleinen Terz. Sanft wiegend. Eher ein Schlaflied als ein Weckruf. Stille Nacht. Heilige Nacht. Gute Nacht.
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Dies Domini – 3. Adventssonntag, Lesejahr C
Der Wind ist ein Meister der Wahrheit. Wo er den Staub verweht, tritt Verborgenes zutage. Die Aerosole und Kleinstsandpartikel die er mitführt, erodieren selbst härteste Felsen. Wie Wasser formt auch der Wind Landschaften. Wasser und Wind sind so schöpfungskräftig wie wahrheitsmächtig. Die Sonne kann nur bescheinen, was Wind und Wasser freigelegt haben.
Die Macht des Windes kann fast zärtlich sein, wenn er als Brise Haut und Haar fast streichelt. Als Sturm entfaltet er aber ach ungeheure Energien, vor denen sich die Zaudernden verzagt zurückziehen. Wer immer seine Nase in den Wind hebt, darf sich jedenfalls nicht wundern, wenn der Wind sie umweht.
Der Wind ist ein Meister der Wahrheit. Er legt das Verborgenen offen – manchmal mit der Kraft des Sturmes; manchmal aber auch mit dem bloßen Hauch, der die Spreu vom Weizen trennt.
Der moderne Mensch kann dieses Bild nur schwer verstehen. Die modernen Erntetechniken brauchen die sanfte Macht des Windes nicht mehr, die Friedrich Hölderlin noch vor Augen gehabt haben muss, wenn er in seinem dem Landgrafen von Homburg gewidmetem Gedicht „Patmos“ den Vorgang der Korngewinnung in lyrische Verse fasst:
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