Dies Domini – 3. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr C
Die Sprache erschließt dem Menschen weite Welten, in denen er sich heillos verirren kann. Es besteht eine natürliche Differenz zwischen Meinen und Verstehen. Und dabei ist noch lange nicht geklärt, ob das Gesagte auch wirklich das Gemeinte ist. Die menschliche Sprache ist das Vehikel sozialer Kommunikation, ohne die der Mensch nicht sein kann. Mit Hilfe der Sprache erfasst und begreift er seine Umwelt. Mit Hilfe der Sprache vermag er die Dinge denkend zu ordnen. Mit Hilfe der Sprache kann er planen. Wahrlich: Die Sprache eröffnet ihm neue Welten, die ihm Visionen ermöglichen. Erst diese visionäre Macht der Sprache macht Entwicklung und Progression möglich. Sprache kann Frieden schaffen, aber auch den Krieg entfesseln. Denn der Segen der Sprache ist von einem ständigen Fluch bedroht: Der Uneindeutigkeit.
Die Differenz zwischen Gesagtem, Gemeintem und Verstandenem schafft die Notwendigkeit einer stetigen Interpretation. Das ist das Los der Worte: Es kann keine Kommunikation ohne Interpretation geben. Das Verstehen ist dabei im wahrsten Sinn des Wortes ein notwendiger Akt der Interpretation. Der um Verstehen Bemühte muss seine eigene Perspektive verlasse. Er muss den Standpunkt wechseln, sich im wahrhaft ver-stellen, um ver-stehen zu können. Die darin enthaltene Selbstrelativierung ermöglicht dann erst die Eröffnung neuer Blickwinkel. Sie weitet den eigenen Horizont. Die Habgier des bloßen Wissens ist dem um das Verstehen Ringenden zu wenig. Der Wissende glaubt seinem eigenen kleinen Horizont, der Weise versteht zu allererst, dass er nichts wirklich wissen kann.
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Dies Domini – 2. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr C
Vielleicht ist es eine etwas „anrüchige“ Kronzeugin, die da von einer großen Programmzeitschrift zitiert wird: „Zu viel von einer guten Sache kann wundervoll sein“, so schreibt es die HÖRZU der amerikanischen Filmschauspielerin und Broadway-Star Mae West zu.
Aber sie trifft mit diesem Satz einen Kerninhalt der Lesungen dieses Sonntags, der uns vor allem bei Jesaja und im Evangelium bei Johannes begegnet. Heute geht es nämlich einmal nicht um Wachsamkeit, Buße und Zucht und Maß, sondern um Freude und Überfluss. Jesaja vergleicht die Liebe des Bräutigams zu seiner Braut mit der Liebe Gottes zu den Menschen, die in der Stadt Jerusalem versammelt sind, er preist diese Stadt in dem er sagt:
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Dies domini – Fest Taufe des Herrn, Lesejahr C
der Mensch ist seiner Natur nach ein Lückenfüller. Er kann nicht anders. Er kann mit Sinnlosigkeit nicht leben. Ob gekonnt oder aus Unvermögen, ob aus solidem Wissen oder unbewusst – der Mensch muss die Dinge in einen Zusammenhang bringen und sie ordnen. Dieser Vorgang ist nicht objektiv. Er kann es nicht sein. Es ist ja die subjektive Perspektive des Einzelnen, seine eigene Weltsicht, aus der heraus die Dinge gedeutet werden und so Bedeutung bekommen. Nur allzu gerne sieht sich der Einzelne als Absolutum, der die Dinge in Relation zu sich setzt.
Die Welt ist voller Lücken. Der Mensch kann schließlich nur die Oberfläche der Dinge betrachten. Von ihrer äußeren Erscheinung her muss er auf die inneren Zusammenhänge schließen. Die Objekte, die ihm mehr oder weniger unverbunden gegenüber stehen, setzt er so nolens volens – wollend nichtwollend – in Beziehung zueinander. Texte funktionieren so. Indem Sie, liebe Leserin und lieber Leser, diesen Text lesen, machen Sie sich ein konkretes Bild von dem Menschen, von dem bisher die Rede war. Der bisherige Text hatte noch nicht ausgeführt, ob es ein weiblicher oder ein männlicher Mensch war. Und doch hat dieser Mensch in Ihrer Phantasie bereits Gestalt angenommen – als Mann oder als Frau. Sie haben die Leerstelle, die der Text Ihnen bisher gelassen hat, bereits gefüllt. Sie haben diesem Menschen ein Gesicht gegeben. Es war möglicherweise ein westeuropäisches Gesicht, vielleicht aber auch ein Gesicht mit anderem Teint und anderer Physiognomie. Texte funktionieren genau so. Sie lassen Lücken, die wir als Leserinnen und Leser automatisch füllen. Wir können gar nicht anders. Selbst wenn dieser Text den Menschen, von dem bisher allgemein die Rede war, noch genauer gefasst und etwa seine Augen- und Haarfarbe, seine körperliche Statur usw. beschrieben hätte – es würden noch genügend Leerstellen übrig bleiben. Kein Text kann so exakt sein, dass er keine Lücken beinhalten würde. Selbst wenn der Text den intendierten Menschen in seiner Gänze zu beschreiben in der Lage gewesen wäre, es würde doch der Kontext fehlen, die Landschaft, der Raum, in den die Phantasie des Lesers und der Leserin den Menschen abbilden würde. Die Welt bleibt voller Lücken, die der Mensch zu füllen hat.
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Stille Nacht – gestört vom Schrei eines Neugeborenen. So ist das, wenn ein Kind zur Welt kommt. Der erste Atemzug wird – nach Leben gierend – begleitet von einem Schrei. Auch dem, den die Christen als menschgewordenen Sohn Gottes verehren, erging es wohl nicht anders. Ein Schrei ist das erste, was man von diesem Kind vernimmt; ein Schrei, der die Stille der Nacht stört.
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Dies Domini – 4. Adventssonntag, Lesejahr C
Mit einem kühnen Quintsprung schwingt sich die Melodie in die Höhe, um dann verwegen noch eine Stufe weiter höher zu klettern. Puer natus est – die Antiphon zum Introitusgesang der Heiligen Messe am Tage des Hochfestes der Geburt Jesu Christi lässt keinen Zweifel daran: Hier wird ein Fest gefeiert – und wo gefeiert wird, da muss man jubeln:
Puer natus est nobis, et filius datus est nobis – Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns geschenkt.
Dieses Zitat aus Jesaja 9,6 bildet den Kern der messianischen Verheißung des Weihnachtsfestes, auf das sich in diesen Tagen nicht nur die Kirche, sondern die Gesellschaft allgemein zubewegt. Man hat sich an die Worte so gewöhnt, dass man ihre Provokation gar nicht mehr wahrnimmt. Zu oft sind sie schon erklungen. Sie gehören zu Weihnachten, wie der Glühwein und die adventlichen Wetterberichte im Radio, in denen die Moderatoren den Meteorologen bereits zum 1. Advent die Verheißung einer weißen Weihnacht abtrotzen möchten, die – rein statistisch gesehen – doch nur alle Jubeljahre stattfinden kann.
In diesem Jahr aber ist alles irgendwie anders. Die Schneeglöckchen schlagen aus, weil das Wetter mehr an Frühling denn an Winter erinnert. An den Glühweinständen prostet man sich schon mit einem gekühltem Gerstensaft zu. Manch einer mag daran denken, mit der Familie am Heiligen Abend die Grillsaison zu eröffnen. Und in der Kirche predigt man wie alle Jahre wieder, dass Gott uns als Kind nahe gekommen sei, bevor dann das gefühlige „Stille Nacht, heilige Nacht“ doch noch einen Hauch winterlicher Kälte in die Herzen der Menschen zaubert, die danach endlich zum Wesentlichen schreiten und eine schöne Bescherung mit allem was dazu gehört anrichten. Das Kind – es liegt in der Kirche in der Krippe – ein holder Knabe mit lockigem Haar, der selig lächelnd genauso wenig aufrüttelt wie die seicht wiegende Melodie von Franz Xaver Gruber. Eine große Sekunde nach oben und wieder nach unten zu einer kleinen Terz. Sanft wiegend. Eher ein Schlaflied als ein Weckruf. Stille Nacht. Heilige Nacht. Gute Nacht.
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Dies Domini – 3. Adventssonntag, Lesejahr C
Der Wind ist ein Meister der Wahrheit. Wo er den Staub verweht, tritt Verborgenes zutage. Die Aerosole und Kleinstsandpartikel die er mitführt, erodieren selbst härteste Felsen. Wie Wasser formt auch der Wind Landschaften. Wasser und Wind sind so schöpfungskräftig wie wahrheitsmächtig. Die Sonne kann nur bescheinen, was Wind und Wasser freigelegt haben.
Die Macht des Windes kann fast zärtlich sein, wenn er als Brise Haut und Haar fast streichelt. Als Sturm entfaltet er aber ach ungeheure Energien, vor denen sich die Zaudernden verzagt zurückziehen. Wer immer seine Nase in den Wind hebt, darf sich jedenfalls nicht wundern, wenn der Wind sie umweht.
Der Wind ist ein Meister der Wahrheit. Er legt das Verborgenen offen – manchmal mit der Kraft des Sturmes; manchmal aber auch mit dem bloßen Hauch, der die Spreu vom Weizen trennt.
Der moderne Mensch kann dieses Bild nur schwer verstehen. Die modernen Erntetechniken brauchen die sanfte Macht des Windes nicht mehr, die Friedrich Hölderlin noch vor Augen gehabt haben muss, wenn er in seinem dem Landgrafen von Homburg gewidmetem Gedicht „Patmos“ den Vorgang der Korngewinnung in lyrische Verse fasst:
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Dies Domini – 1. Adventssonntag, Lesejahr C
Er hat Witterung aufgenommen. Mit der Nase auf dem Boden folgt er der Fährte. Es sind die alten Instinkte, die wirken. Der Mensch hat sie gezähmt und sich gefügig gemacht. Der ursprüngliche Beutetrieb ist aber noch intakt. Nur wer Beute macht, kann überleben. Leben – das ist für den Instinkt eben zuerst überleben. Und dazu muss die Nase auf den Boden, um die Fährte zu wittern, die ein Festfressen verspricht.
Der Philosoph Jörg Splett machte sich in einer 1987 an der Hochschule für Philosophie in München gehaltenen Vorlesung über den Hund als vermeintlichen einzig wahren Freund des Menschen lustig: Der Hund sei kein Freund, sondern einfach nur blöd, weil er in der Gesellschaft des Menschen letztlich immer noch einem instinktiven Trieb folgen würde. Der Mensch hat erkannt, dass er durch Dressur den hündischen Trieb manipulieren kann. Letztlich geht es aber immer nur um Belohnung. Der Hund tut alles für ein Bröckchen Futter.
Diese Erkennentis des Philosophen gefällt sicher nicht jedem. Der Hund wird doch immer noch als treuer Gefährte wahrgenommen, treuer als Menschen es sein können. Ehrlich gesagt aber ist die launige Bemerkung Jörg Spletts nicht frei von Wahrheit, denn der Hund ordnet sich Herrchen und Frauchen unter. Er winselt um deren Gunst. Er ist letztlich der niedere Teil in einem Rudel. Übernimmt er hingegen im familiären Rudel die Führung, erleben oder besser: erleiden seine Besitzer wohl ein Hundeleben.
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Dies Domini – Hochfest Christkönig, Lesejahr B
Wer derzeit auch nur ein wenig die Weltlage verfolgt, kann nur die Haare raufen angesichts der Gewalt und des Hasses, der sich in den Anschlägen von Paris, aber auch in zahlreichen der Postings in den sozialen Medien Bahn bricht. Hat denn das alles nichts genutzt, was menschlicher Fortschritt seit Kain und Abel zum Guten hin bewegen wollte und was doch nach dem Zusammenbruch des Ost-/West-Gegensatzes so guten Weg nahm? Folgt den Jahrzehnten des kalten Krieges zwischen den Systemen nun die Zeit der heißen Auseinandersetzungen zwischen den Religionen? Kann das denn wahr sein?
Und welche Tröstung hält unsere Kirche da bereit, wenn Sie am heutigen Sonntag den Christkönigssonntag feiert, der das Kirchenjahr beendet und abrundet, bevor dann am 1. Advent das neue Jahr mit der Erwartung des Herrn beginnt? Zwei Schlüsselsätze sind es, die mich gefangen nehmen und in ihren Bann ziehen:
„Sein Reich geht niemals unter!“ (Dan 7,14)
lesen wir in der ersten Lesung aus den Visionen des Buches Daniel und die Antwort Jesu auf die Frage des Pilatus:
„Mein Königtum ist nicht von dieser Welt“ (Joh 18,36)
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Dies Domini – 33. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr B
Es sind die Tage der Not, in der viele Wort gemacht werden. Der Schockstarre des Entsetzens und dem Moment erschrockenen Schweigens folgen Erklärungsversuche, die das Unfassbare begreifbar zu machen versuchen. Es sind die immer gleichen Worte, die in solchen Momenten zu hören sind. Geradezu rituell versichern sich die Getroffenen gegenseitig der Solidarität. Und das ist gut so!
Die Feigheit der Attentäter in Paris hat über 120 Menschen das Leben gekostet. Nach allem, was man in dem Moment, in dem diese Zeilen entstehen, gut einen Tag nach der Attacke, weiß, sollen die Angreifer gerufen haben „Das ist für Syrien“. Sie kämpfen bis an die Zähne bewaffnet einen Kampf gegen Unbewaffnete. Mannhaftigkeit sieht anders aus. Märtyrertum auch. Es sind die Mächte der Finsternis die so kämpfen, verdunkelte Seelen, die das Leben verachten. Wer aber das Leben verachtet, das eigene wie das fremde, verachtet auch den Geber des Lebens.
Es gibt keine Worte die das Unfassbare begreifen können. Sinnloses kann auch durch noch so viele Zeichen, Gesten, Rituale und Erklärungsversuche nicht mit Sinn aufgeladen werden. Und doch werden viele Worte gemacht. Worte verbinden. Sie helfen, die Sinnlosigkeit zu überleben. Es muss geredet werden, um die Trauer bewältigen zu können.
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Dies Domini – 32. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr B
Meisterlich versteht es der Mensch, die Dinge so zurecht zu denken, dass er sie in seinem jeweiligen Selbst- und Weltbild fassen kann. Wie selbstverständlich definiert er sich als Absolutum, von dem aus die Welt zu fassen ist. Das ist in gewisser Weise verständlich, denn der Mensch besitzt nur diese eine Perspektive, aus der heraus er die Welt sinnlich erfassen kann. Es ist sein Standpunkt, aus dem er die Welt wahrnimmt. Paart sich dieser egomanische Zentrismus aber mit einer Unfähigkeit zur Selbstreflexion und –relativierung, dann erhebt sich der Mensch schnell selbst zum Maß aller Dinge.
Eine Frucht dieses anthropologischen Autismus, der nicht wenige Zeitgenossen befällt, ist ein Mangel an emotionaler und kommunikativer Kompetenz. Weil er sich selbst und seinen kleine Weltausschnitt zum Maß aller Dinge macht, wird das Fremde und Unbekannte zur Bedrohung. Dem archaischen Urtrieb folgend reagiert er mit Angst. Er hat sich zwar selbst zum Maß aller Dinge gemacht; ihm fehlt allerdings ein Bewusstsein seiner selbst. Denn Selbstbewusstsein erwächst erst aus der Fähigkeit, von sich selbst zu abstrahieren, sich aus einer anderen Perspektive heraus zu betrachten, gewissermaßen mit den Augen eines Gegenübers. Selbstbewusst kann nur der sein, der seine Identität aus der Begegnung mit dem Anderen und vielleicht auch Fremden herausbildet.
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