Dies Domini – Neunter Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr B
Es ist noch nicht lange her, da wurde die Sonntagspflicht ausgesetzt. Die unabsehbaren Folgen zu Beginn der Corona-Pandemie zeitigten auch in der Kirche außergewöhnliche Entscheidungen. Schließlich ist die Sonntagspflicht das erste der fünf Kirchengebote. Der Codex Iuris Canonici (CIC) von 1983, also das Kirchenrecht der Katholischen Kirche, normiert unzweideutig:
„Am Sonntag und an den anderen gebotenen Feiertagen sind die Gläubigen zur Teilnahme an der Messfeier verpflichtet; sie haben sich darüber hinaus jener Werke und Tätigkeiten zu enthalten, die den Gottesdienst, die dem Sonntag eigene Freude oder die Geist und Körper geschuldete Erholung hindern.“ (can. 1247, CIC 1983)
Was über Generationen hinweg für gläubige Katholiken eine Pflicht war, wurde kurzerhand aufgehoben. Sogar die Feier des Triduum Paschale, das höchste Fest im Kirchenjahr, wurde 2020 ausgesetzt. Eingeführt wurde die Sonntagspflicht im Bistum Görlitz bereits im September 2020; in den meisten Diözesen kehrte man erst Anfang 2023 wieder. Ungeachtet der Frage, wie viele Mitglieder der römisch-katholischen Kirche sich überhaupt an die Sonntagspflicht halten, zeitigt die Entscheidung der Kirche in der Pandemie, was man sich überhaupt von einer Sonntagspflicht verspricht, die man fast drei Jahre lang aussetzen kann und an die sich schon vorher nur ein Bruchteil der Kirchenmitglieder sanktionsfrei gehalten hat und hält. Und überhaupt: Macht eine Verpflichtung zur Teilnahme an einer Eucharistiefeier, die doch eigentlich eine Feier der Befreiung und Dankbarkeit für das Leiden und Sterben Christi und seine Auferstehung sein soll, Sinn? Ist eine Sonntagspflicht nicht ähnlich abstrus wie ein Zwang zur Liebe? Fragen über Fragen …
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Wenigstens einmal im Jahr verlassen katholische Gläubige die schützenden Mauern der Kirche. Die Monstranz mit dem Allerheiligsten wird durch die Straßen getragen, jenem Stückchen ungesäuertem Brot, das nach katholischem Glauben durch die Konsekration zum Leib Christi selbst gewandelt wurde. Die, die dem Allerheiligsten durch die Straßen folgen, zeigen ihren Glauben mit offenem Visier. Zweifelsohne teilen nicht alle den Glauben an die reale Gegenwart Jesu Christi in der konsekrierten Hostie. Gerade deshalb zeugt es von Freimut, sich öffentlich zu seinem Glauben zu bekennen.
Öffentlicher Freimut – griechisch „Parrhesia“ – ist ein prägendes Wesensmerkmal, zu dem das Neue Testament immer wieder auffordert. Der Autor des 1. Petrusbriefes fordert unumwunden:
„Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die euch erfüllt.“ (1 Petr 3,15)
Die freimütige Rede ist auch in der aktiven Verkündigung gefordert:
„Verkünde das Wort, tritt auf, ob gelegen oder ungelegen, überführe, weise zurecht, ermahne, in aller Geduld und Belehrung!“ (2 Tim 4,2).
Leisetreterei scheint offenkundig nicht die Haltung der Zeugen Jesu Christi zu sein.
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Wissen Sie, wer Sie sind? Das ist jedenfalls die Forderung des wiedergewählten CDU-Parteichefs Friedrich Merz. Auf dem eben zu Ende gegangenen CDU-Parteitag forderte er mit gewohnt klarkantigem Ton: „Wir müssen wissen, wer wir sind, wo wir stehen, was wir wollen.“
Bei genauerem Hinschauen schillern die schönen Worte wie Seifenblasen. Wer wissen muss, wer er ist, wo sie steht und was wir wollen … weiß es eben noch nicht. Die Worte sind wie ein ungedeckter Scheck. Das gilt auch für die viel beschworene „Leitkultur“. Auch dieses Wort changiert in vielen Farben. Wer aber immer versucht, diese Leitkultur zu definieren, wird sich zwischen Leberkäs und Labskaus verlieren. Ist hier Brauchtumspflege gemeint (also Bosseln oder Platteln), das Grundgesetz und die dort definierten Grundwerte und -rechte oder die viel beschworene christliche Tradition des Abendlandes (die jüdische hat man ja erst nach der Katastrophe der Shoa entdeckt)? Die „Leitkultur“ bleibt eine Worthülse, die vielsagend nichts sagt.
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Dies Domini – Sechster Sonntag der Osterzeit, Lesejahr B
In den Schriftlesungen vom 6. Sonntag der Osterzeit ist viel von Liebe die Rede – und davon, dass wir einander lieben sollen. Liebe ist ein großes Wort, dass vielen allzu leicht über die Lippen kommt. Oft wird damit ein romantisches Gefühl verbunden oder eine Art von lieb sein, das Konflikte vermeidet. Auch Gott soll, oft als „lieber Gott“ angesprochen, möglichst anspruchslos sein, dafür aber als Vollversorger auftreten, der dem Menschen jegliche Last abnimmt. Tut er das nicht, wendet sich der Mensch enttäuscht ab und droht seinerseits mit Liebesentzug. Das ist eine fatale Vertauschung der Rollen, in der der Mensch letztlich Gott nach seinem Bild erschafft und nicht das nach dem Bild Gottes erschaffene Geschöpf ist. Wer sind wir, dass wir Gott sagen könnten, wie er uns gegenüber zu sein habe.
Kein Zweifel: Der Autor des Johannesbriefes unumwunden fest: Gott ist Liebe. Aber was ist Liebe? Zweifelsohne wohl kein romantisches oder oberflächliches Gefühl wohliger Befindlichkeit, den der Johannesbrief fährt fort:
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Dies Domini – Vierter Sonntag der Osterzeit, Lesejahr B
Die Kirche ist noch nicht am Tiefpunkt ihrer selbstgemachen Krise angelangt. Das Unvermögen derer, die sich Hirten nennen und die Vorgeben, die Kirche zu führen zu leiten, im Umgang mit denen, die von klerikalem Missbrauch betroffen sind, und die Unfähigkeit, sich konstruktiv kritisch mit ethischen Fragen der Gegenwart auseinanderzusetzen, zeitigen eklatante Folgen. Saßen früher in Talkshows fast schon obligat geweihte oder ungeweihte Theologinnen und Theologen in den Gesprächsrunden, in denen sie mehr oder weniger kompetent mitdiskutierten, sind sie nunmehr fast vollständig verschwunden. Das gilt zunehmend auch für Arbeitskreise und Expertenrunden, die die Politik in ethischen Fragen beraten sollen. Aktuell ist in der Arbeitsgruppe, die sich mit der möglichen Abschaffung des §218 des StGB befasst, keine (moral-)theologische Expertise mehr gefragt. Die Begründung ist frappierend und müsste allen, die Verantwortung tragen, die Schamesröte ins Gesicht steigen lassen: Eine Kirche, die es in eigenen Reihen offenkundig an Moral mangeln lässt und nicht in der Lage ist, den von Missbrauch Betroffenen würdig zu begegnen, hat jedes Recht und jeden Anspruch auf Mitwirkung an ethischen Diskursen verwirkt. Das, wofür die Kirchen einmal standen, haben sie selbst in den Staub getreten. Sie taugen noch nicht einmal mehr als clowneske Skurrilität in Talkshows; sie haben sich selbst unmöglich gemacht … und tun es offenkundig weiterhin.
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Das Gewohnte kann schnell gewöhnlich werden – vor allem wenn es darum geht, das Gewohnte bewahren zu wollen. Freilich muss man sich schon sehr anstrengen, um die Komplexität der Welt zu übersehen. In früheren Zeiten genügten einfache Erklärungsmuster, um die Welt begreifbar zu machen. Je tiefer der Mensch aber in der Erkenntnis vordringt, desto komplexer und vielschichtiger, verwobener und chaotischer erscheinen die Zusammenhänge. Für nicht wenige ist das beängstigend, so dass der Trieb zur Vereinfachung verständlich ist. Der Rückzug in das Private, die Flucht in virtuelle Scheinwelten und der Ruf nach einer individuellen Freiheit, die mit den Problemen und Zumutungen einer Welt, die sich nicht so einfach vom Menschen beherrschen lassen will, nichts zu tun hat, sind die Folge. Und so werden virale Pandemien, der Klimawandel, die Energiewende und die krisenhaften Bedrohungen des Friedens wohl eher als persönliche Kränkung, denn als Herausforderungen begriffen, gegen die sich der Widerstand regt. Wenn das Gewohnte in Frage steht, treibt es auch die Bequemsten aus dem Sessel – meist wohl virtuell. Weil aber Anstrengungen als Zumutungen empfunden werden, haben diejenigen Konjunktur, die mit einfachen Antworten die Komplexität der Welt übertünchen. Statt sich in demokratische Diskursen streithaft gemeinsam auf den Weg zu machen, sehnt sich so mancher gewöhnlich Gewordene nach einer starken Führung, die von eigenem Denken entlastet. Das ist wohl die tiefste Bedrohung der Gegenwart, weil die, die sich der Anstrengung des Denkens und Handelns entziehen wollen, früher oder später zu einer führbaren Masse degenerieren, die auf Befehl aus den Sesseln getrieben stillzustehen haben. Was glauben Sie denn?
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Die Bewegung ist gescheitert. Was so hoffnungsvoll ein gutes Jahr zuvor in Galiläa im Frühling begann, findet sein brutales Ende. Noch einen Abend zuvor hoffte man, das angekündigte Reich Gottes würde nun endlich anbrechen. Man war vorbereitet. Einige waren sogar bereit, mit Waffengewalt für das Reich Gottes zu streiten. Der aber, auf den sie all ihre Hoffnung gesetzt hatten, lies sich widerstandlos festnehmen und kreuzigen, als hätte man ein Opferlamm zur Schlachtbank beführt. Man macht sich heute keinen Begriff davon, wie brutal der Tod am Kreuz war. Geißelung, auch sexuelle Demütigung gehörten zum sadistischen Vorspiel, das manche Delinquenten schon nicht überlebten. Ans Kreuz genagelt konnte sich der Tod über Tage hinziehen, bis sein Eintreten Erlösung bedeutete. Kein Römer durfte am Kreuz sterben; diese entwürdigende Tötungsart war Sklaven und Provinzialen vorbehalten. Die Brutalität, die den Menschen damals vor Augen stand, konnte nur bedeuten, dass die, die so starben, unabhängig von Schuld oder Unschuld, von Gott verlassen, ja verflucht sein mussten. Und so heißt es folgerichtig in der Thora:
„Ein (am Pfahl) Gehenkter ist ein von Gott Verfluchter.“ (Dtn 21,23)
Die Jünger Jesu erlebten den Kreuzestod Jesu als totales Scheitern. Mit seinem Tod war auch ihre Bewegung gescheitert. Da half eben nur rennen, retten, flüchten. Alles war aus. Alles ist aus. Was glauben Sie denn?
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Dies Domini – Palmsonntag, Lesejahr B
An und für sich ist der Mensch von anpassungsfähigem Wesen. Er hätte sonst in längst vergangenen Zeiten kaum überleben können. Jäger und Sammler mussten den Herden hinterherziehen oder neue Gebiete suchen, deren Nahrungsangebot das Überleben sicherten, wenn Klimawechsel, Naturkatastrophen oder andere Gründe ihn dazu zwangen. Der frühe Mensch hat es aufgrund dieser Wesenseigenschaft der Flexibilität zu überleben. Das änderte sich, als er sesshaft wurde. Jetzt hatte er Haus und Grund, das nicht nur verteidigt werden musste. Auch die Flexibilität ging verloren. Weidegründe konnte man neue suchen. Bestellte Äcker und Schollen hingegen waren und sind immobil. Die nomadische Existenz muss stets offen sein für Neues; immobil Sesshafte hingegen beschwören gerne eine Hermeneutik der Kontinuität oder – etwas vorsichtiger – eine Hermeneutik der Reform in der Koninuität, die suggeriert es sei alles immer schon so gewesen, wie es ist und wie es weiter sein muss. Man kann das verstehen. Man baut halt nicht alles Tage ein neues Haus für sich und die seinen. Selbst kleine Häuser sind kleine Paläste. Merkwürdig aber wird es, wenn führende Vertreter eine Kirche, die sich seit Augustinus selbst gerne als wanderndes Volk Gottes definiert, denen, die als Späher und Pfadfinderinnen neue Wege suchen, das Wort Gottes in neuen Zeiten zu verkünden, in einer Weise von der Hermeneutik der Kontinuität reden, die die Wanderschuhe in Beton einzementiert.
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Es geschah wahrscheinlich in den Weiten afrikanischer Savannen: die Vorfahren des Menschen richteten sich auf. So konnte man nicht nur Feinde schneller erspähen; auch bedeutete das Freiwerden der Vorderläufe, dass man mit den Händen nun die Herausforderungen des Lebens anpacken zu können. Dieser evolutionäre Fortschritt war entscheidend für jene Entwicklung, an deren vorläufigem evolutionären Höhepunkt heute die menschliche Spezies vor der Aufgabe steht, die lang errungene Aufrichtigkeit nicht selbstverschuldet zu verlieren.
Mittlerweile hat der Mensch die Natur bezwungen und kultiviert. Nun denkt er, zivilisiert zu sein. Dass das eine große Selbsttäuschung ist, zeigen nicht nur die verheerenden Kriege des 20. Jahrhunderts. Auch die Gegenwart ist von eine todbringenden Chaos von Kriegen gekennzeichnet: Der brutale Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, der wohl nur durch großimperiale Fantasien eines menschenverachtenden Diktators entspringt, oder der nach einem menschenverachtenden, von sadistischer Brutalität kaum zu überbietenden Angriff der Hamas auf Menschen im Süden Israels neu entflammte Krieg in Gaza oder den kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Aserbaidschan und Armenien oder die vielen anderen todbringenden Konflikte, die nie dem Leben dienen. Auf allen Seiten sterben Menschen einen unverdienten Tod, weil Diener einer Kultur des Todes ihre eigene Ideologie selbstherrlich zur alleinigen Norm erheben.
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Dies Domini – Zweiter Fastensonntag, Lesejahr B
Die Gegenwart zeigt auf vielen Ebenen, dass sie eine Zeit der Bewährung ist. Die gewohnte Ordnung in der Welt, aber auch in der Kirche ist in Bewegung geraten. Einiges wird verrückt, manche werden daran verrückt. Solche Zeiten der Bewährung sind nicht neu. Es hat sie zu allen Zeiten gegeben. Und zu allen Zeiten gibt es jene, die das Gewohnte um jeden Preis behalten wollen und deshalb gewöhnlich werden – sei es, dass sie die Herausforderungen der Zeit und die Zumutungen der Bewährung als solches gar nicht wahrnehmen wollen und sie ignorieren, sei es, dass mit brachial-beharrlicher Bunkermentalität jede Veränderung abgewiegelt wird. Konservativ nennen sich manche dieser Betonmischer, die der Tradition ein paar Schuhe aus Zement verpassen möchten, damit sie nicht fortlaufen und bewahrt werden kann. Dabei gehen manche Werte verloren, die es eigentlich wert sind, bewahrt zu werden. Was konservativ ist – die Bewahrung von Werten wie Nächstenliebe oder die Bewahrung der kurzen Rasenlänge und der Gartenzwerge im eigenen geistigen Vorgarten – ist schon lange nicht mehr klar …
Auf der anderen Seite gibt es jene, die die Unausweichlichkeit der Veränderung durchaus wahrnehmen, auf ihre eigene Weise aber das Bewährte irgendwie retten wollen. Solche Zeitgenossinnen und Zeitgenossen sprechen dann gerne von „Reform“. Sie hoffen darauf, dass ein wenig Kosmetik der äußeren Gestalt reichen würde um die Bewährung zu überstehen. Sich selbst aber wollen auch sie oft nicht in Frage stellen. Lieber rennt man immer wieder mit dem Kopf gegen die gleiche Stelle jener Mauer, die die brachialen Betonmischer mittlerweile um den geistigen Vorgarten gezogen haben. Das zeigt durchaus Wirkung – weniger für die Mauer, eher für den eigenen Kopf.
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