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kath 2:30 Dies DominiDies Domini – Vierter Sonntag der Osterzeit, Lesejahr C

Die Bilder sind brutal. Brutaler ist aber die Ursache, die zu den Bildern führt. In Butscha und vielen anderen Orten in der Ukraine kommt der Tod plötzlich, reißt Menschen vom Fahrrad, reißt sie von den Füßen, reißt sie aus dem Leben. Tagelang liegen die auf der Straße, die als Zivilisten durch eine russische Kugel mitten aus dem Leben gerissen wurden. Sie haben jetzt keine Zeit mehr, ihre Kinder und Kindeskinder aufwachsen zu sehen, Hochzeiten zu feiern, Träume zu verwirklichen, sich am erwachenden Leben im Frühling zu erfreuen. Der Tod ist brutal – brutal sinnlos. Kann es einen Sinn im Sinnlosen geben?

Die Frage ist innerweltlich nicht zu beantworten. Seit Menschengedenken wird nach Antworten gesucht. Eine einfache Rechnung lautet: Wer gut handelt, wird durch Wohlstand, Reichtum und langes Leben belohnt; Krankheit, früher Tod und Armut trifft hingegen die, die schlecht handeln. Dieser sogenannte „Tun-Ergehen-Zusammenhang“ aber scheitert an der Realität. Zu viele Menschen, die ihr Bestes gegeben haben, sterben früh oder scheitern, während manche Gewalttäter durchaus in Wohlstand alt werden. Fromme können krank werden und am Leben und auch an Gott verzweifeln, während Gottlose sich des Lebens freuen. Der „Tun-Ergehen-Zusammenhang“ mag einer einfachen Logik folgen – allein das Leben ist eben nicht logisch. Schon gar nicht, wenn ein Krieg von jemandem entfesselt wird, der der Logik des Rechtes der Stärkeren folgt. Kann es da überhaupt Gerechtigkeit geben?

In der Geschichte Israels spielt in einem frühtheologischen Verständnis der Tun-Ergehen-Zusammenhang durchaus eine gewisse Rolle. Das Muster, dem etwa das Richterbuch folgt, ist einfach: Wenn Israel auf den Pfaden der göttlichen Weisung wandelt, genießt es Wohlstand und Frieden. Verlässt es aber diese Pfade und folgt eigenen Wünschen und Befindlichkeiten, dann bricht Unglück über das Volk herein – solange, bis es sich wieder zu den göttlichen Weisungen bekehrt. Bei Letzterem spielen dann die sogenannten Richter eine wichtige Rolle, die das Volk wieder auf rechten Pfad lenken.

In der späteren Geschichte Israels aber kommt es zu Erfahrungen und Überlegungen, die durch den Tun-Ergehen-Zusammenhang nicht mehr zu erklären sind. Ein berühmtes Beispiel ist das Schicksal der sieben Makkabäer-Brüder und ihrer Mutter, das in 2 Makkabäer 7 geschildert wird: Trotz ihres hehren Anliegens, sich unter allen Umständen an die Weisung Gottes zu halten, verlieren sie auf grausame Weise ihr Leben. Innerweltlich ist so keine Belohnung für ihr Verhalten mehr möglich. Ihr Tod erscheint sinnlos und ungerecht. Die Logik des Tun-Ergehen-Zusammenhangs ist gescheitert, das Recht des Stärkeren scheint obsiegt zu haben. Kann Gott, so man an ihn glaubt, das hinnehmen?

Innerhalb des Judentums ist es unter anderem das Schicksal der Makkabäer-Brüder und ihrer Mutter, das zur Reflexion einer über den Tod hinausgehenden Gerechtigkeit führt. Es gibt verschiedene reflexive Ansätze. Mindestens einer aber führt aus logischen – näherhin theo-logischen – Überlegungen zu dem Schluss, dass die innerweltliche Sinnlosigkeit bei Gott Gerechtigkeit erfährt. Es ist der Moment, indem die Idee eines göttlichen Gerichtes gedacht wird, in dem es nicht um Strafe durch Gott, sondern die Schaffung der letzten und vollkommenen Gerechtigkeit geht. Gott setzt die, denen Unrecht widerfahren ist, wieder ins Recht.

Wer nicht an Gott zu glauben vermag, wird sich hier mit der nihilistischen Sinnlosigkeit abfinden müssen, wenn schuldlose Menschen brutal zu Tode gebracht oder um ihre Rechte betrogen werden und das Recht des Stärkeren regiert. Wer aber an Gott glauben kann, kann aus der Hoffnung leben, dass das sinnlos erlittene Unrecht eben nicht das letzte Wort hat.

Das genau ist die Idee, die unter anderem hinter den Johannesoffenbarung steht. Der Seher von Patmos leugnet nicht, dass auch Fromme und Glaubende auf der Erde Gewalt, Krankheit und frühen, brutal herbeigeführten Tod erfahren. Mehr noch: Er sieht in der Geschichte, die sich in Raum und Zeit ereignet eine Bewährung für die Glaubenden, deren Glaube sich gerade in der Krise beweisen kann. Die Glaubenden schauen nämlich bei ihm nicht nur über den Tod hinaus, indem sie auf die letzte, im göttlichen Gericht aufgerichtete Gerechtigkeit hoffen können. Bei ihm sind der Bereich der göttlichen Ewigkeit und er raum-zeitlichen Existenz der Menschen sogar ineinander verflochten. Die Ewigkeit umgibt die Glaubenden wie die Menschen. Aus ihr entspringen Zeit und Raum und kehren zu ihr zurück. Dieser Gedanke ist bemerkenswert, weil er den Impuls einer Vertröstung auf das Jenseits verhindert. Im Gegenteil gilt: Weil die Ewigkeit Raum und Zeit hervorbringt und diese zu ihr zurückkehren, ereignet sich das Jenseits gewissermaßen im Diesseits. Das Handeln und Reden in Raum und Zeit sind eben ewigkeitsrelevant. Genau dieser Gedanke spielt in der 2. Lesung vom vierten Sonntag der Osterzeit im Lesejahr C eine wichtige Rolle, wenn es dort heißt:

Ich, Johannes, sah: eine große Schar aus allen Nationen und Stämmen, Völkern und Sprachen; niemand konnte sie zählen. Sie standen vor dem Thron und vor dem Lamm, gekleidet in weiße Gewänder, und trugen Palmzweige in den Händen. Und einer der Ältesten sagte zu mir: Dies sind jene, die aus der großen Bedrängnis kommen; sie haben ihre Gewänder gewaschen und im Blut des Lammes weiß gemacht. Sie stehen vor dem Thron Gottes und dienen ihm bei Tag und Nacht in seinem Tempel; und der, der auf dem Thron sitzt, wird sein Zelt über ihnen aufschlagen. Sie werden keinen Hunger und keinen Durst mehr leiden und weder Sonnenglut noch irgendeine sengende Hitze wird auf ihnen lasten. Denn das Lamm in der Mitte vor dem Thron wird sie weiden und zu den Quellen führen, aus denen das Wasser des Lebens strömt, und Gott wird alle Tränen von ihren Augen abwischen. (Offenbarung 7,9.14b-17)

In einem der ausgelassenen Verse wird diesem Streben nach Rettung durch die, die vor dem Thron stehen, noch besonderer Ausdruck verliehen:

Sie riefen mit lauter Stimme und sprachen: Die Rettung kommt von unserem Gott, der auf dem Thron sitzt, und von dem Lamm. (Offenbarung 7,10)

Dieses Bewusstsein um die von Gott kommende, end-gültige Rettung, die rein innerweltlich möglicherweise nicht eintreten wird, führt zu einer Aufrichtung der Glaubenden. Wer – bildlich gesprochen – seinen Blick auf den Himmel richtet, kann nicht gebeugt da stehen, sondern muss sich aufrichten. Diese Aufrichtigkeit aber ist eine besondere Haltung, die wehrhaft macht und so an der Besserung der Verhältnisse schon in der Welt arbeitet.

Die Glaubenden leugnen deshalb die Herausforderungen, die sich in Raum und Zeit stellen nicht. Wahrhaft Glaubende träumen sich nicht in fataler Frömmigkeit von Raum und Zeit weg. Wahrhaft Glaubende stellen sich den Herausforderungen, weil sie wissen, dass Raum und Zeit Teil der Ewigkeit sind. So gesehen ereignet sich das göttliche Gericht eben schon in Raum und Zeit. Hier fällen Menschen ihr eigenes Urteil über sich selbst. Wer anderen – wie in der Ukraine – mit dem Recht des Stärkeren, das Leben nimmt, hat Anstand und Aufrichtigkeit längst verloren. Er kann im göttlichen Gericht nicht bestehen, weil er Gott wegen dieser fehlenden Aufrichtigkeit nicht in die Augen sehen kann. Er bereitet sich die Hölle so selbst. Die Hoffnung aber gilt, dass die, denen das Leben genommen wurde, bei Gott an den Wasser des Lebens sitzen werden.

Wer nicht glauben kann, wird hier eigene Antworten finden müssen. Für uns Glaubende aber ist das die Hoffnung, die uns antreibt, die Verhältnisse schon hier zu ändern, das Leben für alle möglich wird. Die Ewigkeit kommt nicht irgendwann und Gott ist nicht irgendwo. Die Ewigkeit ereignet sich jetzt, Gott ist das und das Jenseits ist hier. Wer seine Frömmigkeit nicht auf Luftschlösser, sondern auf den Gott richtet, der in den Texten vom vierten Sonntag der Osterzeit im Lesejahr C verkündet wird, lernt, dass es Raum und Zeit sind, in denen sich das Reich Gottes ereignet. Es ist an den Glaubenden, an dessen Verwirklichung immer weiter mitzuarbeiten – hier und jetzt. Die aber, die dem Recht des Stärkeren folgen, mögen Kreuze küssen, soviel sie wollen – ihr Urteil über sich selbst haben sie vor Gott längst gefällt. Wie wollen sie, die anderen das Leben genommen haben, dem, der allein das Leben gibt, aufrecht gegenüber treten? Sie werden wohl eher heulen und mit den Zähnen knirschen wenn die letzte Gerechtigkeit aufgerichtet wird …

Dr. Werner Kleine

Author: Dr. Werner Kleine

Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.

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