Dies Domini – Palmsonntag, Lesejahr A
Nein: Ostern fällt nicht aus! Palmsonntag auch nicht. Nichts ist wie es sein soll in den Zeiten der Corona-Pandemie. Die Heilige Woche, die mit dem Palmsonntag beginnt und in ihrer Dramaturgie über die Vergegenwärtigung des letzten Abendmahles, des Leidens und Sterbens Jesu und seine Auferstehung durch Trauer in die Osterfreude führen wird, wird nicht so mit den tiefen Symbolen und starken Riten gefeiert werden, wie Christinnen und Christen es gewohnt sind. Es ist eine verstörende Erfahrung. Das Selbstverständliche wird verrückt. Sicher: Die Liturgien werden gefeiert, bisweilen sogar live oder via Aufzeichnung ins Internet übertragen. Man kann vielerorts seine heimische Kirche mit den vertrauten Seelsorgerinnen und Seelsorgern erkennen. Aber es ist nicht dasselbe. Es ist anders. Wird es auch anders bleiben?
Der tschechische Theologe Tomáš Halík sieht in der derzeitigen Erfahrung leerer Kirchen, in denen Liturgie zelebriert, eine Vorwegnahme einer Erfahrung, die in wenigen Jahren zum kirchlichen Alltag gehören wird. Noch sitzen die treu Glaubenden vor den Bildschirmen und schauen online zu – ja, feiern vielleicht sogar andächtig mit – wenn im leeren und doch merkwürdig stillen Kirchenraum der vertraute Ritus in ungewohnter Leere gefeiert wird. Wird die Online-Liturgie aber auch das Modell der Zukunft sein. Wird da noch jemand sein, der mitfeiert? Oder erleben wir jetzt schon jenes Menetekel, das bereits der Prophet Daniel dem König Belschazzar auslegte:
Diese Worte bedeuten: Mene: Gezählt hat Gott die Tage deiner Herrschaft und macht ihr ein Ende. Tekel: Gewogen wurdest du auf der Waage und zu leicht befunden. (Daniel 5,26f)
Wird es wirklich so sein? Sind die leeren Kirchen das Menetekel einer Christenheit, in der niemand mehr mitfeiert?
Der Einzug Jesu am Palmsonntag war ein Ereignis. Es hat Aufmerksamkeit erregt. Es heißt im Matthäusevangelium, dass, als Jesus in die Stadt auf einem Esel reitend einzog, viele Menschen ihre Kleider ausbreiteten, während andere Zweige von den Bäumen schnitten und sie auf den Weg streuten. Das hört sich so an, als sei der Einzug erwartet worden (vgl. Matthäus 21,8). Haben die Menschen wirklich auf Jesus gewartet?
Im Matthäusevangelium darf man daran zweifeln, gibt es doch am Schluss des Evangeliums, das sonst während der üblichen Palmprozessionen in den Liturgien verkündet wird, zum Schluss eine Bemerkung, die verstört:
Als er in Jerusalem einzog, geriet die ganze Stadt in Aufregung, und man fragte: Wer ist das? Die Leute sagten: Das ist der Prophet Jesus von Nazaret in Galiläa. Matthäus 21,10f
Jesus scheint nicht bekannt gewesen zu sein – sonst müsste man nicht fragen, wer er sei. Trotzdem gerät die ganze Stadt in Aufruhr. Der Einzug in Jerusalem muss also ein echtes Spektakel gewesen sein. Sicher: Der Ruf Jesu wird ihm vorausgeeilt sein. Die Heilung der Blinden von Jericho etwa wird ja nur wenige Verse vorher erzählt. Von seinem Reden und Handeln wird man gesprochen haben. In Zeiten, in denen es aber keine Berichterstattung mit Livebildern gegeben hat, wusste man wohl nicht – oder wenigstens nicht alle – wie dieser Mann aus Nazareth ausgesehen hat. Das eine ist, was man sich so erzählt; das andere ist, was man selbst erlebt!
Wer also sind die Menschen, die da ihre Kleider ausbreiten, Zweige von den Bäumen schneiden und sie auf den Weg streuen. Wer sind diese Leute, die sagen, dass das der Prophet Jesus von Nazaret aus Galiläa sei. Welche Leute sind es, von denen Matthäus sagt:
Die Leute aber, die vor ihm hergingen und die ihm folgten, riefen: Hosanna dem Sohn Davids! Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn. Hosanna in der Höhe! Matthäus 21,9
Die Jesusbewegung begann in Galiläa. Anfangs war es nur wohl nur eine kleine Gruppe Gleichgesinnter, die sich möglicherweise schon länger kannte. Die Evangelien erzählen übereinstimmend, aber in unterschiedlichen erzählerischen Rahmen, dass es sich dabei um Simon (Petrus), seinen Bruder Andreas, sowie den Zebedäus-Söhnen Jakobus und Johannes gehandelt habe (vgl. etwa Matthäus 4,17-22). Sie bilden den inneren Kern einer Bewegung, die zunehmend wächst. Aus ihnen wird Jesus zuerst 12 als Zeichen für das neue Israel erwählen, später wird er, als seine Bewegung gewachsen ist, 72 aussenden. Seine Bewegung wächst zunehmend. Auch, als er seinen Wirkungsschwerpunkt von Galiläa nach Judäa verlegt, wird die Gemeinschaft noch angewachsen sein. Vielleicht waren es 200 bis 250 Personen. Das ist zweifelsohne spekulativ, aber auch nicht unrealistisch. Man stelle sich vor, dass etwas mehr als 200 Personen einen Mann, der auf einem Esel reitet, laut Hosianna singend in eine Stadt begleitet und ihn dort nach Königsart einführt, indem man die Kleider auf der Straße ausbreitet und Zweige auf den Boden streut. Das ist ein Spektakel, von dem schnell die Rede sein wird. Das wird selbst heute in Zeiten, in denen alles und jedes von jeder und jedem live ins Internet gestreamt werden kann, nicht anders sein. Im Gegenteil: Eine solche Szene, die man heute wahrscheinlich als „Flashmob“ bezeichnen würde, würde möglicherweise sogar viral gehen. Die eine Szene würde sich ausbreiten, man würde sie teilen, liken, sich vielleicht auch über sie lustig machen, abschätzig kommentieren, auf jeden Fall über sie staunen und sie via Google suchen, wenn man sie noch nicht gesehen hätte, weil man sie einfach gesehen haben muss: Ein gestandener erwachsener Mann reitet auf einem Esel und seine Leute machen ein Spektakel daraus. Das war Palmsonntag – unwiederholbar. Alles, was danach kommt, ist bestenfalls eine billige Kopie – ähnlich wie die vielen Nachahmungen heutiger Flashmobs, bei denen jeder weiß: Die gute Idee eines Originals ist nie wiederholbar ohne sich als Plagiator zu entlarven, weil man auch etwas vom Stück des Erfolgs haben will …
Palmsonntag – das war einmal. Seit dem legendären Einzug des Jesus von Nazareth ist niemand auf die Idee gekommen, das zu wiederholen. In den Kirchen vergegenwärtigen wir diesen einmaligen Einzug allerdings jährlich. Wir wiederholen nichts, wir erinnern den Einzug Jesu. Er geschieht heute. Ebenso werden das letzte Abendmahl Jesu, sein Leiden und Sterben und seine Auferstehung nicht wiederholt, sondern vergegenwärtigt. Ostern? Das war schon. Einmal und einmalig! Ostern kann deshalb nicht ausfallen. Auch in diesem besonderen Jahr nicht. Verstummt deshalb das Hosianna? Auf keinen Fall! Wir sollten es in diesem Jahr vielleicht nur lauter singen, damit wir voneinander hören. Ein vielstimmiger Chor bei einem Flashmob macht Eindruck. Eindruck wird auch machen, wenn man das Hosanna aus vielen Kehlen durch geschlossene Türen hören wird. Hosanna, dem Sohn Davids! Und wenn dann jemand fragt, was wir Christinnen und Christen da so Verrücktes machen, dann sollten wir freimütig bekennen: Wir bejubeln Jesus von Nazaret aus Galiläa, den Christus, den Sohn Gottes – denn das haben wir den Leuten von damals voraus: Wir wissen, dass er mehr als ein Prophet ist. Damals hatten sie Ostern ja noch vor sich …
Dr. Werner Kleine
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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