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kath 2:30 Dies DominiDies Domini – 10. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr C

Die Nacht erst macht offenbar, was Tag ist. Erst das Erleben der Dunkelheit der Nacht lässt die Sehnsucht nach dem Licht wachsen. Es ist die Dunkelheit, die das Licht erst als Licht erkennbar macht. Farben, Formen, Kontraste – das alles wird erst aus dem Wechselspiel von Licht und Dunkelheit her erkennbar. Der schöpferische Geniestreich, mit dem alle begann, war eben die Scheidung von Licht und Finsternis, die Ordnung in das Tohuwabohu des ersten Tages brachte:

Und Gott sprach: Es werde Licht. Und es wurde Licht. Gott sah, dass das Licht gut war. Gott schied das Licht von der Finsternis und Gott nannte das Licht Tag und die Finsternis nannte er Nacht. Es wurde Abend und es wurde Morgen: erster Tag. (Genesis 1,3f)

Die Finsternis hat also den Vorrang vor dem Licht und die Nacht vor dem Tag. Der Tag geht aus der Nacht hervor, so wie das Licht aus der Finsternis hervorgeht. Das Licht muss erst erschaffen werden, wo die Finsternis schon war. Deshalb beginnt in der jüdisch-christlichen Tradition der Tag auch mit dem Sonnenuntergang. Es muss erst Nacht werden, damit Tag sein kann; die Dunkelheit muss das Licht neu hervorbringen.

Es ist also kein Wunder, dass die Auferstehung des gekreuzigten Jesus von Nazareth in Schein der Nacht geschah. Die Nacht ist der Ort der Schöpfung. Die Nacht gebiert das Leben. Angesichts dieser Beobachtungen kann es schon verwundern, dass manche Menschen der Nacht mit Schrecken entgegensehen. Vielleicht ist es die Ungewissheit des Neuen und Unerwarteten, das der Dunkelheit zu eigen ist, das so manche und manchen ängstigt. In der Dunkelheit wird die erprobte Ordnung der Sinne aufgehoben. Das Augenlicht lässt sich nicht mehr blenden von den Irrwichtigkeiten des Tages. Die Ohren übernehmen die Herrschaft, der Tastsinn wird geschärft. Der Lufthauch, am Tag kaum wahrgenommen, wird nun zu einer Botschaft. Der Orientierung durch das Sehen beraubt muss der Mensch die Eindrücke seiner Sinne neu deuten. Und das führt ihn in die Krise, in das Gericht des Zweifels. Ist das, was ich höre, das, was ich zu hören glaube? Ist das was ich fühle, das, was ich zu fühlen erhoffe? Selig ist jetzt, wer vertrauen kann, ohne zu sehen.

Es ist die Erfahrung, die dieses Vertrauen hervorbringt – die Erfahrung, dass die Dunkelheit Licht hervorzubringen im Stande ist. Die Krise, die der Verlust des Scheinbaren mit sich bringt, kann zur Quelle neuer Stärke werden, wenn man sich auf den Zweifel einlässt. Der Zweifel ist der Bruder der Erkenntnis. Er schärft die Sinne und das Denken. Wer in der Krise bloß verzweifelt, wird in der Dunkelheit gefangen bleiben. Wer die Dunkelheiten des Zweifels aber zur Erkenntnis nutzt, wird in der Aufklärung der Grauen neue Erleuchtung erfahren. Ein solcher Mensch fürchtet die Dunkelheit nicht. Er weiß ja, dass sich in der Nacht der Keim des neuen Tages entfaltet.

Die Dunkelheiten eines Menschenlebens sind vielfältig. Fehlentscheidungen, Niederlagen und Krankheiten führen Menschen in die Krise. Und nicht selten erwacht gerade in den Krisen die religiöse Ader selbst derer, die sonst nur der Vernunft trauen. Für den Bonner Erziehungswissenschaftler Volker Ladenthin liegt hier der Grund einer fundamentalen Religiosität des Menschen. Er unterscheidet deutlich zwischen Konfessionen als der menschengemachten, historischeren Realisierungen der religiösen Disposition des Menschen, die als Bekenntnisformen unterschieden, aber auch deformiert sein können. Die Religion hingegen ist für ihn – unabhängig von der jeweiligen Konfession –

„der Antrieb, sich nicht mit dem abzufinden, was wir vorfinden“. (Quelle: Deutschlandfunk [Stand: 4. Juni 2016])

Die Religion wird so zum Aufstand gegen die Endlichkeit, der auch der Mensch unterworfen ist. Es ist gerade die Dunkelheit der Erkenntnis der Endlichkeit, die die Erkenntnis der Religion hervorbringt. So antwortet Volker Ladenthin auf die Frage, ob Religion als Zweifel an irdischer Endgültigkeit verstanden werden könne:

„Ganz genau – an dem Glauben, wir könnten alles mit unserem Verstand regeln -und dann wird es auch gut.“ (Ebd.)

Gleichwohl kritisiert er einen – wie er es nennt – verbreiteten „Kategoriefehler“, der darin besteht, politische oder medizinische Fragestellung mit religiösen oder konfessionellen Antworten zu lösen. Volker Ladenthin macht das an einem konkreten Beispiel fest:

„Das ist so, als wenn wir ein Bein gebrochen haben und dann nicht zum nächsten Arzt laufen, sondern zum nächsten Pastor, der das heilen soll. Und das kann nicht immer gut gehen – ich würde sogar sagen, in den meisten Fällen geht das schief. Das heißt nicht, dass der Pastor auch was zu sagen hätte, aber er kann das Bein nicht heilen.“ (Ebd.)

In der Art des Volksmundes gesprochen heißt das: Not lehrt beten. Aber das Gebet hilft nicht immer. Es ist sogar eher unwahrscheinlich, dass das Gebet hilft. Wenn die Not gelindert wird, kann das viele Ursachen haben. Wäre es das von Gott gehörte Gebet, müsste man die Frage stellen, warum Gott dem einen hilft, der anderen aber nicht. Ein solcher Gott wäre in höchstem Maße willkürlich und launisch. Es ist nicht der Gott, der eine Welt erschafft, in der es verlässlich Abend und Morgen wird und die Dunkelheit immer wieder neu Licht gebiert. Es ist nicht der Gott, der immer wieder neu ein Bund mit seinem immer wieder untreu werdenden Volk schließt, der ihm nachläuft wie der Bräutigam der untreuen Braut (vgl. Hosea 11) und von dem Paulus vor der korinthischen Gemeinde bekennt:

Treu ist Gott, durch den ihr berufen worden seid zur Gemeinschaft mit seinem Sohn Jesus Christus, unserem Herrn. (1 Korinther 1,9)

Warum also sollte ein solcher Gott auf das Gebet der Menschen warten, um ihnen zu helfen? Und was ist mit denen, die niemanden haben, der für sie beten könnte? Wer hier allein auf das Gebet vertraut, hat noch zu viel Angst vor der Nacht. Es fehlt ihm das Zutrauen, dass die Dunkelheit das Licht gebiert. Er hat noch nicht erfahren, dass in der Nacht die Erkenntnis wächst. Er vertraut diesem Gott nicht, der den Menschen zumutet, mündig zu sein und Erwachsene zu sein,

deren Sinne durch Gewöhnung geübt sind, Gut und Böse zu unterscheiden. (Hebräer 5,14)

Der Glaubende weiß, dass das Gebet wichtig ist – ohne Frage. Aber das Gebet ist kein Placebo, kein Alibi für die Unterlassung eigener Entscheidungen. Das Gebet taugt nicht als Entschuldigung, nicht selbst das Leben angefasst und gestaltet zu haben. Das Gebet ist kein Bestellformular, mit dem man Gott mit Dienstleistungen beauftragt. Es ist mehr ein Spiegel der Selbsterkenntnis. Im Angesicht Gottes erkennen Beter und Beterin ihren Lebensauftrag. Das Leben aber müssen sie selbst hervorbringen.

Die tiefste Krise, der sich der Mensch ausgesetzt sieht, ist die unausweichliche Endlichkeit. Der Tod ist das Gericht des Menschen. Der Mensch kann sich vielem entziehen, nicht aber der Unausweichlichkeit des eigenen Todes. Im Angesicht des Todes muss sich der Mensch seiner selbst stellen. Im Spiegel des Todes muss er sich seiner Endlichkeit und damit seiner selbst vergewissern. Kein Gebet vermag den Tod zu besiegen. Das ist auch die Quintessenz der Texte, die am 10. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres C verkündet werden. In der ersten Lesung sieht sich der Prophet Elija mit dem Tod des Sohnes der Witwe von Sarepta konfrontiert, die ihm Gastfreundschaft gewährt. Im Evangelium begegnet Jesus in der Stadt Nain ebenfalls einer Witwe, die ihren einzigen Sohn zu Grabe tragen muss.

In beiden Fällen ist es eine Witwe, die ihren einzigen Sohn bestatten muss. Das bedeutet für die betroffenen Frauen nach damaligen Maßstäben eine katastrophale Krise, die in höchstem Maße existenzgefährdend ist. Nicht nur das Leben der Söhne ist dahin. Mit dem Verlust der Söhne ist auch die Zukunft der beiden Mütter gestorben, die nun niemanden mehr haben, der für sie sorgen wird. Es ist ein doppelter Tod, der jeweils gestorben wird. Das Klagegeschrei dringt durch die Zeiten an diesem Sonntag in die gebetsgesättigten Kirchenräume.

Aber weder Jesus noch der Prophet Elija sehen angesichts der harten Schicksale, die ihren eigenen Lebensweg kreuzen, vorrangig das Heil im Gebet. Beten ist keine Kategorie, mit der Krankheit und Tod besiegt werden können. Da braucht es kraftvollere Reaktionen. Besonders den Propheten Elija trifft die Trauer der Witwe in der ersten Lesung vom 10. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres C hart:

Was habe ich mit dir zu schaffen, Mann Gottes? Du bist nur zu mir gekommen, um an meine Sünde zu erinnern und meinem Sohn den Tod zu bringen. (1 Könige 17,18)

Er war auf das Geheiß Gottes nach Sarepta gegangen und bei der Witwe untergekommen. Die dem Lesungstext vorgängige Erzählung schildert eindrücklich die Armut der Witwe und ihres Sohnes, wenn sie dem Propheten auf dessen Wunsch nach Wasser und Brot entgegnet:

So wahr der Herr, dein Gott, lebt: Ich habe nichts mehr vorrätig als eine Hand voll Mehl im Topf und ein wenig Öl im Krug. Ich lese hier ein paar Stücke Holz auf und gehe dann heim, um für mich und meinen Sohn etwas zuzubereiten. Das wollen wir noch essen und dann sterben. (1 Könige 17,12)

Doch Elija hilft der Not ab. Der Mehltopf soll nicht mehr leer werden und der Ölkrug nicht versiegen. Es ist fast wie bei dem Brotwunder Jesu, von dem die Evangelien berichten. Die Gastfreundschaft zahlt sich aus. Der Gast trägt das Seine zum Lebensunterhalt bei. Wer dem Fremden eine Chance gibt, wird es heimgezahlt bekommen. Die Gastfreundschaft erweist sich als lukrative Investition, wenn sie sich nicht mit dem Placebo frommer Worte zufriedengibt, sondern von gegenseitigem Respekt und beiderseitigem tatkräftigem Engagement gekennzeichnet ist.

Der Junge der Witwe aber stirbt – plötzlich und unerwartet, viel zu jung. Der Schreck ist groß. Schockstarre. Trauer und Wut:

Was habe ich mit dir zu schaffen, Mann Gottes? Du bist nur zu mir gekommen, um an meine Sünde zu erinnern und meinem Sohn den Tod zu bringen. (1 Könige 17,18)

Elija aber betet immer noch nicht. Die Krise duldet keine wortreichen Scharmützel besserwisserischer Beckmesserei. Der Tonfall der Krise ist der Imperativ:

Gib mir deinen Sohn! (1 Könige 17,19)

Und Elija packt an:

Und er nahm ihn von ihrem Schoß, trug ihn in das Obergemach hinauf, in dem er wohnte, und legte ihn auf sein Bett. (1 Könige 17,19)

Und erst jetzt ruft er zu Gott in einer Art Gebet, dass doch mehr eine Frage ist:

Herr, mein Gott, willst du denn auch über die Witwe, in deren Haus ich wohne, Unheil bringen und ihren Sohn sterben lassen? (1 Könige 17,20)

Der Frageruf des Elija bleibt ohne Antwort von diesem Gott, der dem Elija in den Versen zuvor immer wieder sagte: Tu dies, tu jenes, geh hierhin, geh dorthin. Und doch scheint Elija plötzlich zu wissen, was zu tun ist:

Hierauf streckte er sich dreimal über den Knaben hin. (1 Könige 17,21)

Und während er das tut, lässt er nicht von Gott:

Herr, mein Gott, lass doch das Leben in diesen Knaben zurückkehren! (1 Könige 17,21)

Das ist ein wahrhaft tatkräftiges Gebet. Das Gebet wird physisch. Es wird zur Motivation, die gefalteten Hände auseinander zu nehmen und das schwindende Leben am Kragen zu packen. Hieß es am Anfang noch, dass im Sohn kein Atem mehr war, kehrt das Leben nun in den Knaben zurück.

Bei Jesus verhält es sich ähnlich. Die Ausgangslage ist von der des Elija verschieden. Hatte dieser durch die erfahrene Gastfreundschaft schon eine Beziehung zu der Witwe und ihrem Sohn aufgebaut, ist die Witwe von Nain eine Jesus Unbekannte. Die Begegnung mit dem Trauerzug aber lässt ihn nicht kalt. Lukas beschreibt seine Reaktion mit dem griechischen Wort ἐσπλαγχνίσθη (gesprochen: esplangchníste). Das bedeutet wörtlich übersetzt: Es traf ihn im Innersten/in den Eingeweiden. Die Reaktion Jesu ist mehr als das, was die deutsche Sprache als Mitleid kennt. Er lässt sich geradezu physisch vom Schicksal der Witwe und ihres Sohnes treffen.

Auch Jesus begegnet dieser Krise nicht zuerst mit einem Gebet, sondern mit einer physischen Aktion:

Dann ging er zu der Bahre und fasste sie an. (Lukas 7,14)

Der physischen Aktion folgt auch hier ein Befehl:

Ich befehle dir, junger Mann: Steh auf! (Lukas 7,14)

Gebet und Befehl sind auf den ersten Blick scheinbar unvereinbare Sprechakte. Es ist aber gerade die autoritäre Geste des Befehls, die sowohl bei Elija als auch bei Jesus die Heilung initiiert. Dazu gehört auch die manifeste physisch-körperliche Komponente. Das Gebet des Elija wirkt dagegen wie eine Selbstmotivation, die noch die letzten Kräfte freisetzt. Das ist die eigentliche Macht des Gebets, in dem der Beter nicht seine Verantwortung einseitig Gott überträgt und sich dann nicht selten wundert, dass Gott ihn nicht erhört hat. Das wahrhafte Gebet ist handfest, körperlich. Ein solcher Beter entfaltet die Hände, um das Leben mit ganzer Kraft anzufassen. Der Ruf nach Gottes Hilfe ist da nicht die schlechteste Motivation. Anfassen muss er es aber trotzdem selbst.

Volker Ladenthins Kategoriefehler ist auch bei den Christglaubenden der Gegenwart weit verbreitet. Es werden viele Krisen beschworen: Glaubenskrisen, Kirchenkrisen, Priestermangel, Glaubensschwund, Kirchenaustritte usw. usw. In schöner Regelmäßigkeit wird dann zum Gebet aufgerufen: Zum Gebet für mehr Berufungen, zum Gebet um mehr Glauben, zum Gebet für das Wachsen der Kirche. Man erwartet von Gott eine Rettung, während man selbst die Hände gefaltet im Schoß hält. Und Gott antwortet. Er antwortet unüberhörbar. Sein Wort steht festgeschrieben: Geht und fasst an! Streckt euch und schreit! Ich werde eure Kräfte freisetzen, mit denen ihr das Werk vollbringen werdet.

Die Beter aber warten darauf, dass endlich etwas geschieht. Sie sitzen in den Kirchenbänken wie Zuschauer im Theater und warten, und warten und warten. Und die Dunkelheit bricht herein, in der das Neue entstehen kann. Wenn die Beter endlich aufbrächen, könnten sie mit dem Beter des Antwortpsalmes vom 10. Sonntag im Jahreskreis im Lesejahr C singen:

Da hast du mein Klagen in Tanzen verwandelt, hast mir das Trauergewand ausgezogen und mich mit Freude umgürtet. Darum singt dir mein Herz und will nicht verstummen. Herr, mein Gott, ich will dir danken in Ewigkeit. (Psalm 30,12f)

Aber die Nacht ist noch lang, Winternacht. Viel zu viele beten und warten, warten darauf, dass etwas passiert. Sie tanzen nicht, sie knien gebeugt. Wenn sie doch endlich tanzen würden, die Welt würde endlich rufen:

Jetzt wissen wir, dass ihr Frauen und Männer Gottes seid und dass das Wort des Herrn wirklich in eurem Mund ist. (nach 1 Könige 17,24)

Dr. Werner Kleine

Author: Dr. Werner Kleine

Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.

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