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kath 2:30 Dies DominiDies Domini – 13. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr C

Es sind die Töne zwischen den Pausen, die Musik entstehen lassen. Aus dem Weißrauschen der Stille erstehen sie – ein Geräusch, das zum Klang wird und im Wechselspiel von Harmonie und Dissonanz jene eigentümliche Macht entfaltet, die den Menschen im Innersten zu treffen im Stande ist. Musik lebt von der Spannung zwischen Ruhe und Klang, von Tempo und Rhythmus, von Kopf und Geist und Seele und Leib. Gerade die die Harmonie störende Dissonanz in Klang und Rhythmus verleiht der Musik jene Spannung, die sie lebendig werden lässt. Eine unabänderliche stehende Harmonie ist nicht nur todlangweilig, sie ist auch keine Musik mehr, weil ihr die Veränderung fehlt. Der eingefrorene Klang gleicht einem Fossil, das bestenfalls Zeugnis von einem lebendigen Wesen gibt, aus Fleisch aber zu Stein geworden ist.

Die zu Stein gewordenen Glaubenszeugnisse der Kirche bezeugen in ähnlicher Weise eine ehemals glaubenslebendige Vergangenheit. Die Kathedralen dieser Welt lassen erahnen, aus welcher transzendentalen Überzeugung ihre Baumeister gehandelt haben – weit entfernt von den technischen Möglichkeiten der heutigen Zeit. Ihr Tun hatte eine Perspektive, die oft weit über die eigene Generation hinausreichte. Das waren wahrhaftig Projekte, die auf die Ewigkeit ausgerichtet waren. Wohl nur mehr als selten dürften diejenigen, die den Grundstein für eine Kathedrale gelegt hatten auch den Schlussstein eingesetzt haben. Jahrzehnte und Jahrhunderte vergingen darüber. Und doch bezeugte jede Generation, dass sie auf eine je eigene Weise an der Kirche weiterbaute. Die Kathedralen als Stein gewordene Glaubenszeugnisse lassen diese Lebendigkeit der Tradition, der Weitergabe der Botschaft in Wort und Tat noch heute erahnen. Sie gleichen grandiosen Resonanzkörpern, die den Klang der Ewigkeit erahnen lassen – ein Klang, der in der Dissonanz zwischen Zeit und Ewigkeit eine Spannung aufbaut, die in den großen Zeiten der Theologie die hellsten Köpfe und Geister anspornte, dem Urgrund allen Seins immer wieder neu auf die Spur zu kommen.

Wo man früher Kathedralen baute, entstehen heute bestenfalls stille Örtchen. Wo man früher der Schwerkraft trotzend dem Himmel entgegenstrebte, schaut man heute betreten zu Boden. Wo man früher aus Überzeugung weithin sichtbare Landmarken der Orientierung schuf, leckt man heute in Strategieprozessen bestenfalls die eigenen Wunden. Wo man früher dem Glauben Gestalt gab, erklingt heute ein harmonisches Tönchen von Klangschalen in eine Stille hinein und nennt es dann Spiritualität. Wo man früher den Heiligen Geist – jenen hospes animae, dem Gast der Seele – im Nächsten erkannte, wissen, dass er auch im eigenen Leib einen Tempel fand und Leben einhauchte, blickt man heute vor allem auf die eigenen Bedürfnisse. Nicht ohne Grund entstehen in der Zeit der Kathedralen oft am gleichen Platz die „Hotel de Dieus“ oder die Hospize, in denen das Bekenntnis zum hospes animae einen leibhaftigen Ausdruck in der Krankenpflege fand; man wusste damals noch, dass der Leib Tempel des Heiligen Geistes war und die Pflege des erkrankten Leibes einer Sanierung des Tempels Gottes gleichkommend ein Glaubensbekenntnis nicht nur der Worte, sondern vor allem der Tat war. Heute hingegen denken selbst diejenigen, die sich für den Dienst am Glauben bezahlen lassen, nur allzu oft daran, dass es jetzt an der Zeit sei, an sich selbst zu denken. Das Wort des Paulus aus der zweiten Lesung vom 13. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres C muss dann meist als Begründung der spirituellen Egomanie hinhalten:

Denn das ganze Gesetz ist in dem einen Wort zusammengefasst: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst! (Galater 5,14)

Sich selbst vor allzu schneller Herausforderung schützend wird dann zuerst die Vorgängigkeit der Selbstliebe moniert – als wenn das tatsächlich ein Problem wäre. Natürlich gibt es Menschen, die sich selbst hassen und mit sich selbst im Unreinen sind. Jenseits solcher Pathologien aber dürfte ein mangelnder Selbsterhaltungstrieb wohl nicht zu den Gefahren gehören, denen die meisten Menschen – auch jenen im kirchlichen Dienst – ausgeliefert sind. Wenn selbst diejenigen, die sich nach dem „Adsum“ durch Handauflegung und Gebet mit Leib und Seele dem Dienst am Herrn verschrieben haben, den freien Tag in der Woche für unantastbar erklären, ja sogar darüber diskutieren, ob man denn nun eine Fünf- oder eine Sechstagewoche habe, dann kann es um die Selbstliebe nicht allzu schlecht bestellt sein. Die Reminiszenz des Paulus, mit dem er wie die Evangelien in Markus 12,31 parr die Aussage der Thora in Leviticus 19,18 als Zusammenfassung des ganzen Gesetzes definiert, lässt sich aber gerade nicht auf diesen Aspekt zusammenschrumpfen. Im Gegenteil: Paulus mahnt seine Adressaten:

Ihr seid zur Freiheit berufen, Brüder. Nur nehmt die Freiheit nicht zum Vorwand für das Fleisch, sondern dient einander in Liebe! (Galater 5,13)

Die Freiheit soll keine ἀφορμή (gesprochen: aphormé), kein Vorwand für das Fleisch sein. Als ἀφορμή bezeichnete man im alten Griechenland ursprünglich den Ausganspunkt einer Expedition oder Unternehmung; schließlich wurde der Begriff aber auch als Inbegriff für die Mittel, die zur Durchführung einer solchen Unternehmung waren, bezeichnet. Dem Begriff wohnt also eine vereinnahmende Tendenz inne. Aus einem singulären Anlass wird schließlich eine umfassende Haltung. Die ἀφορμή, von der Paulus spricht, wird zu einem Grundsatz, der in der Freiheit vor allem die eigene Freiheit sieht, die sich durch alle Fasern menschlicher Existenz durchzieht. Diesem „Zuerst und vor allem ich!“ stellt Paulus aber die Notwendigkeit einer Liebe, die zum gegenseitigen Dienst bereit ist, entgegen.

Die vorangestellte Forderung, man müsse sich erst selbst lieben, bevor man den Nächsten lieben könne, erweist sich also als Ausrede. Der Impuls geht weit darüber hinaus. Er liegt gerade in der Überschreitung der Selbstfixierung, die diejenigen, die in permanenter Selbstreferenzialität auf die eigenen Bedürfnisse retardieren, mit grandioser Ignoranz pflegen.

Es ist bemerkenswert, dass Paulus in der Nächstenliebe kein harmonisches Potential erblickt. Im Gegenteil! Die Nächstenliebe ist eine Haltung, die sich gerade im Konflikt beweisen muss:

Wenn ihr einander beißt und verschlingt, dann gebt acht, dass ihr euch nicht gegenseitig umbringt. (Galater 5,15)

Der Konflikt als solches ist nichts, was zu vermeiden wäre. Paulus selbst kommt ja wenige Absätze vorher auf seinen persönlichen Konflikt mit Petrus anlässlich des sogenannten „antiochenischen Zwischenfalls“ zu sprechen (vgl. Galater 2,11-21). Unumwunden beschreibt er dort, dass er dem Petrus wegen seines Verhaltens, das jeder Absprache entgegenstand, in aller Öffentlichkeit (ἔμπροσθεν πάντων – gesprochen: émprosthen pánton; „in der Gegenwart aller“) entgegengetreten ist.

Die Dissonanz störte die Harmonie. Aber sie brachte eine Spannung hinein, die einen weiteren Schritt zur Klärung der damals schwierigen Frage des Verhältnisses von Heiden- und Judenchristen bedeutete. Es ist die Dissonanz, deren Auflösung einen Fortgang der Melodie des Lebens bewirkt, nur um in neue Dissonanzen zu münden, die in neuer Spannung einen weiteren Fortschritt bewirken, bevor der große Schlussakkord das Stück zum Abschluss bringt. Der Schlussakkord steht dann als Klang wie in Stein gemeißelt bis er verhallt und keine Musik mehr ist. Noch aber spielt die Musik des Lebens. Noch geht es voran. Und es muss vorangehen, wie Jesus selbst im Evangelium vom 13. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres C sagt:

Keiner, der die Hand an den Pflug gelegt hat und nochmals zurückblickt, taugt für das Reich Gottes. (Lukas 9,62)

Die Jesusjünger aller Zeiten sind gerufen, den Pflug weiter durch die Welt zu führen, um das Wort Gottes einzusäen. Nicht überall wird es Frucht bringen. Wer jetzt stehen bleibt, um zu jammern und zu zetern, ja das Feuer des Himmels über die ach so Unverständigen herabzuwünschen, hat nicht nur das Gebot der Nächstenliebe nicht verstanden (er verharrt ja immer noch bei seinen ureigensten Bedürfnissen), er muss sich auch von Jesus selbst zurechtweisen lassen, wie weiland Jakobus und Johannes, die ob des wenig gastfreundlichen Verhaltens den Samaritern wer weiß was an den Hals wünschen:

Als die Jünger Jakobus und Johannes das sahen, sagten sie: Herr, sollen wir befehlen, dass Feuer vom Himmel fällt und sie vernichtet? Da wandte er sich um und wies sie zurecht. (Lukas 9,54f)

Der Misserfolg gehört zum Leben im Allgemeinen wie zur Verkündigung im Speziellen. Warum sollten die, die das Wort des Lebens verkünden, von den Dissonanzen, die zum Wesen des Lebens gehören, verschont bleiben? Die Dissonanz aber macht ein Fortschreiten notwendig:

Und sie gingen zusammen in ein anderes Dorf. (Lukas 9,56)

Weiter, weiter immer weiter führt die Nachfolge Jesu in ihren unterschiedlichen Weisen. Es ist ein Unterwegssein ohne harmonische Orte der Ruhe, denn:

Der Menschensohn aber hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann. (Lukas 9,58b)

Wer nur auf das Vergangene schaut, schreitet nicht voran. Er blickt auf tote Fossilien wo lebendiges Leben auf ihn wartet:

Lass die Toten ihre Toten begraben; du aber geh und verkünde das Reich Gottes! (Lukas 9,60)

Verkündigung aber ist Arbeit. Sie geschieht nicht von selbst. Wie auf dem Acker Steine aus dem Weg geräumt werden müssen, damit der Pflug seine Furchen ziehen kann, so müssen sich auch die Verkünder mit den Widerständen der Zeiten auseinandersetzen, um fortzuschreiten:

Keiner, der die Hand an den Pflug gelegt hat und nochmals zurückblickt, taugt für das Reich Gottes. (Lukas 9,62)

Harmonie mag die zarten Seelen einlullen. Der lebendige Gott suche aufrechte Frauen und gestandene Männer, stolze Verkünderinnen und Verkünder, die vor einem Missklang nicht erschrecken, sondern in ihm die Musik des Lebens erkennen. Selbst die Musik des Himmels duldet keine reine Harmonie. Sie wäre einfach zu langweilig. Ja: Sie wäre keine Musik.

Dr. Werner Kleine

Author: Dr. Werner Kleine

Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.

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