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kath 2:30 Dies DominiWie ein Windhauch ist auch dieses Jahr vergangen. Höhen und Tiefen, Siege und Niederlagen – alles ist nur noch Erinnerung. Das Jahr hat seine Zeit gehabt und in diesem Jahr haben viele, allzu viele ihre Zeit verloren. Zwar ist die Festlegung eines Jahreswechsels eine einigermaßen willkürliche Angelegenheit. Die ganz alten Römer begingen ihn am 1. März im Frühjahr, orthodoxe Christen feiern Neujahr am 1. September, dem Tag der Schöpfung der Welt. Christen der lateinischen Tradition feierten Neujahr im Lauf der Geschichte wahlweise am 25.12., dem Weihnachtsfest, dem 25.3., dem Hochfest Verkündigung des Herrn oder auch am 1. Advent, mit dem heute noch das Kirchenjahr beginnt. Dass man Neujahr am 1. Januar begeht, geht wieder auf die Römer zurück. Das Datum war der traditionelle Amtsantritt der römischen Konsuln und wurde von Julius Cäsar mit der Einführung des julianischen Kalenders im Jahr 45 v.d.Z. zum Datum des Jahresanfangs proklamiert. Nun feiern wir also als am 31.12. Silvester und am 1. Januar Neujahr. Wechselzeiten sind Bilanzzeiten. Es wird Inventur gemacht, die Bestände werden prüft, Gewinne und Verluste dokumentiert – das gilt wohl im geschäftlichen wie im privaten Leben. Vor allem aber gilt es eben im Leben, denn nur Lebende haben Zeit. Tote haben keine Zeit mehr. Was glauben Sie denn?

Zeit ist eine Ressource, die sich nicht regeneriert. Verlorene Zeit kann nicht wett gemacht werden. Das macht Zeit eigentlich zu einem wertvollen Gut, ein Gut, dessen Wert aber wohl nur denen bewusstwird, denen die Begrenztheit des lebenszeitlichen Budgets bewusst ist. Plötzlich zählt jede Sekunde. Geld, Besitz, materielle Güter erscheinen dann weniger wichtig. Mit nichts ist Zeit aufzuwiegen. Leben ist Zeit und Zeit ist Leben.

Intuitiv empfinden das wohl die meisten Menschen, auch wenn es nicht allen bewusst ist. Vielleicht liegt hier der Grund, warum es so schwerfällt, Haltungen zu ändern. Wenn man viel Zeit (und manchmal auch Geld) damit verbracht hat, sich eine „Meinung“ zu bilden, dann fällt es schwer, dieses Investment in den Wind zu schreiben, auch wenn die Fakten eine andere Sprache sprechen. Die Zeit, die viele in obskuren Telegram-Kanälen, auf der YouTube-Universität oder der Facebook-Akademie verbringen, ist unwiederbringlich verlebt worden. Das darf doch nicht umsonst gewesen sein! Und so erklären sich manche dann zu Querdenkern, die spazieren gehen – und korrumpieren dabei gleich zwei Begriffe, denen ursprünglich einmal der Charme gut investierter Zeit anhing. Wer ehedem querdachte, entwickelte neue Ideen für ein gutes Leben. Wer spazieren ging, genoss die Zeit. Jetzt aber laufen Spaziergänge bisweilen aus dem Ruder und der Begriff des Querdenkens ist wohl für lange Zeit kein Inbegriff mehr für jene, die in der Lage waren, Zeit in ein Denken für eine bessere Zukunft zu investieren. Schade um zwei Worte sinnvoll gelebter Lebenszeit, deren Sinngehalt in einer kurzen Spanne vollständig desavouiert wurde.

Nun neigt sich ein weiteres Jahr dem Ende zu. Viel wird wieder von Vorsätzen geredet, deren Haltbarkeitsdatum meist die ersten Tage des neuen Jahres nicht überschreitet. Vielleicht wäre es besser, jeden einzelnen Tag zu leben und zu genießen – im Hier und Jetzt, im Heute. So würde die geschenkte Zeit nicht einfach verloren gehen, sondern in blühende Erinnerungen investiert, deren Duft lächeln machen kann, wenn Rauhzeit ist. Im Psalm 103 heißt es:

„Wie Gras sind die Tage des Menschen, er blüht wie die Blume des Feldes. Fährt der Wind darüber, ist sie dahin; der Ort, wo sie stand, weiß nichts mehr von ihr.“ (Ps 103,15f)

Wie ein Windhauch ist die Zeit des Jahres 2021 vergangen. Sie kommt nicht wieder. Welcher Blütenduft bleibt haften? Carpe diem! – das wäre ein guter Vorsatz: Hütet den Tag. Lasst uns deshalb das Leben wählen – wir haben nur diese Zeit!

Dr. Werner Kleine

Erstveröffentlicht in der Westdeutschen Zeitung vom 31. Dezember 2021.

Author: Dr. Werner Kleine

Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.

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