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kath 2:30 Dies DominiDie Freiheit steht auf dem Prüfstand. Es sind nicht die pandemiebedingten Einschränkungen, die vorübergehend notwendig sind, um die Verbreitung eines für nicht wenige tödlichen Virus einzudämmen. Es ist die Freiheitsdefinition der einzelnen, die mitunter dazu angetan ist, eine Freiheit für sich zu reklamieren, die man anderen nicht gönnt. Wie anders ist es zu erklären, dass – wie die Westdeutsche Zeitung am vergangenen Dienstag berichtete – es zu Sitzstreiks in Arztpraxen kommt oder man eine Pflegebedürftigkeit naher Verwandter konstruiert, um in den Genuss eines schnelleren Impftermins zu kommen. Die Politik ist daran nicht ganz schuldlos, verheißt sie doch jetzt schon für Geimpfte einen guten Sommer mit der Möglichkeit in Urlaub zu fahren. Da ist es schon erstaunlich, dass das urlaubswillige Volk seine spontane Solidarität mit den zahlreichen pflegebedürftigen Mitmenschen entdeckt, die die Pflegekassen sicher erschrecken lässt: Wer soll die ganzen vulnerablen Gruppen nur schützen, wenn die, die jetzt vor lauter Sorge um eine vorzeitige Impfung betteln, in Urlaub fahren? Was glauben Sie denn?

Frauen und Kinder zuerst! – Die Zeiten, in denen man mutig denen den Vortritt lies, ihr Leben zu retten, die für den Fortbestand der Gesellschaft sorgten, scheinen vorbei zu sein. Dabei hat gerade die jüngere Generation in den letzten Monaten einen hohen Preis bezahlt. Während sich die Politik scheute, mit Blick auf die Pandemie eine echte Homeofficepflicht einzuführen, wurde in Schulen und Kindertagesstätten mal wieder experimentiert: Distanzunterricht mit und ohne digitale Hilfsmittel, Wechselunterricht, Präsenzunterricht mit und ohne Maske, mit und ohne Selbsttestung und natürlich bei immer wieder geöffneten Fenstern. Erinnern Sie sich noch an ihre Schulzeit – was da so alles nebenher stattfand, im wahren Leben, für das man ja in der Schule eigentlich lernte? Klassenfahrten, Abschlussbälle, die erste Liebe – all das gibt es in diesen Zeiten, sicher aus gutem Grund, gar nicht oder nur eingeschränkt. Der erste Kuss mit FFP2-Maske wird sicher ein Leben lang unvergesslich bleiben!

Kein Zweifel: Man darf die eine Generation nicht gegen die andere ausspielen. Dieser unausgesprochene Pakt gilt seit Menschengedenken: Die Altvorderen ziehen die junge Generation auf und führen sie ins Leben, die Jüngeren erweisen den Älteren später die Ehre und verschaffen ihnen einen würdigen Lebensabend. Der alte Pakt aber gerät ins Wanken. Das zeigt sich nicht nur in Pandemiezeiten, sondern auch bei einem anderen, vielleicht wichtigeren Thema der Gegenwart: dem Klima. Das Bundesverfassungsgericht hat nicht ohne Grund ein historisches Urteil gefällt: Klimaschutz ist ein Grundrecht. Niemand darf die Freiheitsrechte zukünftiger Generationen schädigen. Was die Corona-Pandemie im Kleinen zeigt, gewinnt angesichts des Klimawandels fundamentale Bedeutung. Die Generationen müssen ihr Verhältnis neu austarieren.

„Handelt als Freie, ohne die Freiheit als Deckmantel der Bosheit zu benutzen, sondern als Knechte Gottes!“

heißt es im 1. Petrusbrief 2,16.

Vielleicht hilft es, sich die Freiheit als Budget vorzustellen: Was jemand jetzt als Freiheit verbraucht – auch um möglicherweise schnell in Urlaub zu fahren – geht möglicherweise zulasten des Freiheitsbudgets anderer. Soziale Konflikte entstehen dann, wenn andere das begehren, was einem selbst zusteht. Frauen und Kinder zuerst – hieß es früher mit Blick über das eigene Leben hinaus. Mein Urlaub zuerst, scheint für viele heute das Ziel zu sein. Was wäre, wenn wir uns die Freiheit nähmen, anderen Freiheit zu ermöglichen. Es lebe die Freiheit!

Dr. Werner Kleine

Erstveröffentlicht in der Westdeutschen Zeitung vom 15. Mai 2021.

Author: Dr. Werner Kleine

Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.

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