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kath 2:30 Dies DominiDas Glück der offenen Grenzen werden heute und in den nächsten Tagen wieder viele erleben, die in die Ferien fahren. Keine Staus am Schlagbaum, keine Überprüfungen am Zollhaus. Seitdem das Schengener Abkommen 1995 in Kraft getreten ist, genießen Europäer die Vorzüge des kontrollfreien Grenzübertritts. Das gilt – Gott sei Dank! – in beide Richtungen, so dass auch bei der Rückreise der Touristen nach Deutschland derzeit keine Wartezeiten entstehen. So können die gestressten Deutschen ihre wohlverdienten Ferien schnell und zügig antreten und sogar bis nach Kos, Malta oder Sizilien fliegen – alles noch europäisches Gebiet, nah an den Außengrenzen zwar, aber wunderbar im Mittelmeer gelegen. Dort machen erholungsbedürftige Mitteleuropäer Urlaub, während wenige Meter vom Hotel entfernt Schlepperboote mit Flüchtlingen landen. Kann man da wirklich in der Strandbar den Cocktail heben und den Ankömmlingen nach der glücklichen Rettung genussvoll zuprosten? Mögen sie doch ebenso sicher auf dem Weg dahin zurückkehren, woher sie gekommen sind und die eigene Gemütslage nicht weiter stören! Ist das vielleicht das, was manch einer mit der neudeutschen Wortschöpfung „Asyltourismus“ verbindet? Was glauben Sie denn?

Für Christen ist Nächstenliebe mehr als ein Lippenbekenntnis, das Herpes bekommt, wenn es konkret wird. Im berühmten Gleichnis vom Samariter, das der Evangelist Lukas überliefert, ist die Ausgangsfrage, wer denn überhaupt der Nächste sei. Jesus erzählt in dem Gleichnis von einem, der von Räubern ausgeraubt und halbtot geschlagen liegen bleibt. Zwei ehrenwerte und angesehene Bürger der Gesellschaft, ein Tempelpriester und ein Levit, sehen ihn zwar, gehen aber weiter, weil die Berührung mit dem Blutenden sie kultisch unrein macht. Ihr Bestreben, ihre Wertkultur zu wahren, hindert sie daran, zu helfen. Anders dagegen der Samariter, nach damaligen politischen Maßstäben ein Ausländer: Er sieht den Halbtoten, geht hin, leistet erste Hilfe und sorgt dann für alles für die Versorgung des Halbtoten Notwendige. Die Pointe der Erzählung besteht genau in der Aktivität des Samariters. Er ist es, der dem Halbtoten zum Nächsten wird. Er sieht und geht hin. Genau darauf zielt die Frage Jesu an den Schriftgelehrten: „Wer von diesen dreien meinst du, ist dem der Nächste geworden, der von den Räubern überfallen wurde?“ (Lukas 10,36)

Nicht nur die Verteidiger des christlichen Abendlandes, auch manche Politikerinnen und Politiker von Parteien mit dem „C“ im Namen spüren, dass die Nächstenliebe kein Ruhekissen, sondern ein Stachel des Antriebes ist. Deshalb wird, statt solidarische europäische Lösungen zu suchen, manches unternommen, um die Nächstenliebe zu zähmen. Es wird gesagt, Jesus habe ja nicht von Fernstenliebe gesprochen; auch habe Nächstenliebe ja nichts mit politischer Grenzenlosigkeit zu tun. Das stimmt! Aber vielleicht erinnern sich manche Urlauber ja in den nächsten Tagen daran, dass sie nicht nur frei reisen können, weil die Grenzen ja offen sind; vielleicht merken sie auch, dass sie im Süden Europas denen, für die Europa immer noch eine Verheißung ist, auch physisch nahe kommen. Hier geht es im christlichen Abendland tatsächlich ans Eingemachte, denn um die Nächstenliebe als Kern einer christlichen Leitkultur kommt man nicht herum. Die gegenwärtige Bigotterie des sich Abendlandes hingegen zeigt Zeichen christlicher Demenz, in der die Erinnerung an die Zeit offener Grenzen zunehmend verschwindet. Dann bleibt man halt zu Hause in der sicher umzäunten Heimat und genießt die Dämmerung …

Dr. Werner Kleine

Erstveröffentlicht in der WZ Wuppertal vom 13. Juli 2018

Author: Dr. Werner Kleine

Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.

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