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kath 2:30 Dies DominiDies Domini – 5. Sonntag der Osterzeit, Lesejahr A

Manch eine Beziehung leidet unter der zur Gewohnheit gewordenen Vertrautheit. Jede Geste, jedes Wort wird vorhersehbar. So braucht man einander gar nicht mehr wahrzunehmen oder zuzuhören. Man weiß doch, wie es ausgeht. Aus vollstem Vertrauen entsteht das Gefühl der Langeweile. Manch einer Liebe, die abenteuerlich begann, blüht in Ödnis. Weil die Vertrautheit keine Verheißung mehr bereit hält, geht dann manch einer auf der Suche nach Leben seine eigenen Wege.

Wer dieser Falle entgehen möchte, darf das Vertraute eben nicht zur Gewohnheit werden lassen. Das Vertraute immer neu zu entdecken die Herausforderung. Das Vertraute mit unvertrauten Augen anzusehen, so als würde man es eben zum ersten Mal sehen, die Aufgabe.

Es gibt nicht nur Menschen, die der Ödnis der Vertrautheit erliegen. Auch Texte teilen dieses Schicksal. Wie ein Reflex weiß man schon nach wenigen Worten, worum es geht. „Hat der alte Hexenmeister …“ – und schon klingt im Ohr „Walle! Walle!“ Und auch wenn manch einer bei Herrn Ribbeck an einen sakkotragenden Fußballtrainer denkt, die Birne werden viele trotzdem nicht aus dem Kopf bekommen.

Zu den Texten, bei denen man im allgemeinen schon weiß, worum es geht, gehört auch die erste Lesung vom 5. Sonntag der Osterzeit im Lesejahr A. Es ist ein Text, der nicht nur dem Schicksal der Vertrautheit anheim fällt; auch die traditionelle Interpretation verhindert, ihn genauer zu betrachten, weil doch eigentlich schon alles bekannt ist. Es ist der Text von der Wahl der Sieben, die landläufig als die sieben Diakone beschrieben werden. Und genau an diesem Punkt erliegt der Leser bzw. die Hörerin dem Gift der Gewohnheit, mit dem man versucht, den Text zu zähmen.

Dabei verdient gerade dieser Text eine genaue Betrachtung. Er ist wegweisend, weil er Neues erzählt. Es ist etwas geschehen. Die Zwölf, die Jesu öffentliches Wirken begleitet haben, die Augen- und Ohrenzeugen seiner Worte und Werke waren, scheinen überfordert. Nach dem grandiosen Erfolg der ersten Predigt ist die Gemeinde stark und schnell gewachsen. Aber die Gemeinde ist nicht homogen. Schon am Pfingstfest wird deutlich, dass hier nicht nur Jerusalemer Juden angesprochen werden. Am 50. Tag nach dem Paschafest feierte man damals und heute Schawuot, das Wochenfest. Die Juden vergegenwärtigen den Empfang der zweiten zehn Gebote am Sinai. Außerdem ist Schawuot ein Erntefest, da damals zu dieser Zeit der Weizen geerntet wurde. Anlass genug für eine Pilgerfahrt nach Jerusalem.

Und so war die Stadt Jerusalem auch zu Schawuot im Jahr des Kreuzestodes und der Auferstehung Jesu wieder einmal berstend voll. Juden von überall waren dann in der Stadt. Die Aufzählung in der Apostelgeschichte nennt ihre Herkunftsländer. Aber es sind Juden, die zu Schawuot die Pfingstpredigt des Petrus hören. Aus ihnen sind es dann 3.000, die zum Glauben an den Auferstandenen kommen und sich taufen lassen.

Von Beginn an ist die Kirche deshalb vielgestaltig und vielfältig. Diese Inhomogenität ist energiegeladen, denn das Fremde im Eigenen ist immer eine Herausforderung. Die viel beschworene Einheit ist ein bleibender Auftrag. Nur allzu oft wurde und wird versucht, die Kraft und Energie der Vielfalt zu zähmen. Dabei ist es gerade die Vielfalt der Feind der Gewohnheit. Sie ist aber auch die Quelle von Konflikten und Krisen.

Eine solche Krise steht auch der jungen Kirche ins Haus. Die rasant gewachsene Gemeinde ist nicht nur vielgestaltig; ihre Inhomogenität birgt einen Grundkonflikt. Der aus Galiläa stammende Zwölferkreis gehört den sogenannten Hebräern an. Sie sind in Jerusalem gewissermaßen „zu Hause“. Die anderen Juden aber sprechen weitestgehend griechisch, der damaligen Verkehrssprache. Es ist nicht gesagt, dass das die Zwölf kein Griechisch gesprochen hätten. Im eigenen Land aber spricht man die Muttersprache – also Aramäisch.

Sprache prägt die Identität. Wo unterschiedliche Sprachen gesprochen werden, entstehen kulturelle Untergruppen. So war es auch damals in Jerusalem. Und da dem Menschen das Eigene immer näher ist als das Fremde, fühlen sich die griechisch sprechenden Juden übervorteilt. Es heißt, dass

ihre Witwen bei der täglichen Versorgung übersehen wurden. (Apostelgeschichte 6,1)

Der Satz lässt auf einiges schließen. Lukas als Autor der Apostelgeschichte blickte wenige Kapitel vorher noch auf einen nahezu glückseligen Zustand der Urgemeinde zurück:

Alle aber, die gläubig geworden waren, waren beieinander und hatte alle Dinge gemeinsam. Sie verkauften Güter und Habe und teilten sie aus unter alle, je nach dem es einer nötig hatte. (Apostelgeschichte 2,44f)

Jetzt aber sieht es schon ganz anders aus. Ein wenig kirchlicher Alltag hat schon genügt, und die Witwen, die in der damaligen Zeit sozial besonders gefährdet waren, der griechisch sprechenden Juden geraten aus dem Blick.

Es ist eine neue Situation, eine unerwartete Herausforderung, der sich die Zwölf ausgesetzt sehen. Unangefochten sind die das Fundament der Urgemeinde und der Kirche. Sie begreifen die Krise nicht als Gefahr, sondern als Herausforderung. Ihr Handeln setzt Maßstäbe:

Da riefen die Zwölf die ganze Schar der Jünger zusammen und erklärten: Es ist nicht recht, dass wir das Wort Gottes vernachlässigen und uns dem Dienst an den Tischen widmen. Brüder, wählt aus eurer Mitte sieben Männer von gutem Ruf und voll Geist und Weisheit; ihnen werden wir diese Aufgabe übertragen. (Apostelgeschichte 6,2f)

Sie entscheiden nicht alleine. Die Gemeinde als Ganzes wird zusammengerufen und an der Lösung des Problems beteiligt. Sieben Männer aus der Mitte der griechisch sprechenden Juden sollen gewählt werden. Ihnen wird die Sorge für die Verteilung der Güter übertragen.

Diese Entscheidung ist weise. Denn das Eigene ist immer näher als das Fremde. Und für das Eigene zu sorgen fällt leichter. Es ist gut, Verantwortliche aus der Mitte der Betroffenen zu wählen. Sie sind die eigentlichen Experten in eigener Sache. Sie verstehen ohne viele Worte. Sie wissen, was Sache ist. Und sie wissen, was ihre Leute brauchen.

Die Namen der sieben Gewählten sind alle griechisch. Sie bilden eine eigene Gruppe. Aber sie stehen in Verbindung mit den Zwölfen. Sie arbeiten nicht neben ihnen oder gegen sie. Als Zeichen des Auftrags und der Bevollmächtigung legen ihnen die Apostel die Hände auf und beten. Die Handauflegung als Zeichen der Bevollmächtigung ist zur Zeit des Lukas schon ein festes Element gewesen. Es wird das prägende Symbol der Ordination werden, der Weihe, durch die heute noch die apostolische Vollmacht auf die Bischöfe übertragen wird und von ihnen auf die Priester und Diakone.

Diakone – das ist der semantische Reflex, den viele erleben, wenn sie die Erzählung aus der Apostelgeschichte hören, die in der ersten Lesung am 5. Sonntag der Osterzeit im Lesejahr A verkündet wird. Allein: Von Diakonen ist hier überhaupt nicht die Rede. Das Wort kommt noch nicht einmal vor. Lediglich von einem „Dienst an den Tischen“ (διακονία/diakonia – V.2) als „Aufgabe“ (χρεία/chreia) ist die Rede (V. 3). Einen Dienst (διακονία/diakonia) üben hingegen auch die Zwölf aus, nämlich den Dienst am Wort (V. 4).

Der Dienst am Wort allein gefährdete allerdings die Tischgemeinschaft. Und gerade diese Tischgemeinschaft war in der Tat in der damaligen Kirche in Gefahr – nicht nur in Jerusalem. In der frühen Kirche schwelte ein Grundkonflikt zwischen hebräisch sprechenden Judenchristen und griechisch sprechenden Heidenchristen. Es war die Frage, ob die Taufe die Beschneidung voraussetzt, die zum Streitpunkt wurde. In Antiochien, der Stadt, der auch die sieben Gewählten entstammen, war ein neuer theologischer Ansatz entstanden. Die griechisch sprechenden Juden, die das Evangelium angenommen hatten, nannten sich zum ersten Mal Christen. Sie verkündeten ein Evangelium der Gesetzesfreiheit. Anders als die Zwölf in Jerusalem hielt man sich nicht mehr an die Thora. Folglich war auch die Beschneidung nicht mehr notwendig, um die Taufe zu empfangen.

Welche Konsequenzen das für die Gemeinschaft von Juden- und Heidenchristen hatte, lässt sich noch aus einer Bemerkung des Paulus im Galaterbrief erahnen:

Als Kephas aber nach Antiochia gekommen war, bin ich ihm offen entgegengetreten, weil er sich ins Unrecht gesetzt hatte. Bevor nämlich Leute aus dem Kreis um Jakobus eintrafen, pflegte er zusammen mit den Heiden zu essen. Nach ihrer Ankunft aber zog er sich von den Heiden zurück und trennte sich von ihnen, weil er die Beschnittenen fürchtete. (Galaterbrief 2,11f)

Es ist also kein Zufall, dass gerade der Dienst an den Tischen zum Auftrag erklärt wird.

Im Hintergrund des Textes stellt also nicht die urkirchliche Einführung des Diakonenamtes. Im Hintergrund des Textes steht ein grundlegender Konflikt – und das Ringen um seine Bewältigung.

Konflikte sind Störungen der Gewohnheit. Sie können zerstören, wenn man ihrer Bewältigung ausweicht und seiner Wege geht. Sie können aber auch verstören und herausfordern, sich zusammen zu setzen und nach Lösungen zu suchen. Neues entsteht. Neue Wege werden gegangen. Und sie können Frucht bringen aus dem Boden der Vertrautheit – einer Vertrautheit, die die Sicherheit gibt, sich aufeinander verlassen zu können in guten und schlechten Tagen. Eine Vertrautheit, die im Konflikt reift und wächst, weil die Gewohnheit ihr Feind ist. Wer ein solches Vertrauen hat, ist unzähmbar!

Dr. Werner Kleine

Author: Dr. Werner Kleine

Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.

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