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kath 2:30 Dies DominiDies Domini – 2. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr A

Ein Spielzug in drei Stationen brachte den Sieg. Toni Kroos passt auf der Höhe der Mittellinie auf André Schürrle. Der läuft an der linken Seitenauslinie bis auf Strafraumhöhe und flankt den Ball gekonnt durch zwei argentinische Abwehrspieler in den Strafraum. Dort hatte sich Mario Götze, den eigentlich unerwartbaren Ball antizipierend in Position gebracht, legt ihn sich mit der Brust auf den linken Fuß und spitzelt den Ball an Torwart Romero vorbei ins Tor. „Der kommt an … Mach ihn, mach ihn … und er macht ihn“ – überschlägt sich der Kommentator. 1:0 gewinnt die Nationalmannschaft Deutschlands das WM-Finale 2016 gegen Argentinien, weil der eine nicht nur zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort war, sondern auch das Richtige tat. Es ist die Fähigkeit zur Antizipation, die den Unterschied macht.

Wer die Fähigkeit der Antizipation besitzt, erkennt Dinge, die sich noch nicht ereignet haben; er erkennt Wege, die anderen noch verschlossen erscheinen; er nimmt wahr, was vielen verborgen bleibt. In diesem Sinn kann der Antizipator nie Agnostiker sein, denn er sieht hinter das bloß sinnlich Wahrnehmbare. Erfahrung und Intuition hingegen schärfen seinen Blick für die Tiefe des Seienden, das auf der Oberfläche des Materiellen bloß ist, während das eigentliche Wesen des oberflächlich Wahrnehmbaren wesentlich tiefer reicht.

Genau das ist die Haltung des Glaubens. Der Volksmund spricht vorlaut davon, dass Glauben nicht Wissen sei. Das ist vorschnell gesagt. Der Glaube kann ja nicht gegen das Wissbare stehen. Der Glaube setzt das Wissbare voraus. Das Wissbare ist der Grund, hinter den der Glaube blickt. Echter Glaube bedient sich dabei nicht eigener Wünsche und Illusionen, Befindlichkeiten und Begierden. Im Gegenteil! Echter und fester Glaube ist das Ergebnis vernünftiger, logischer Reflexion. Nicht ohne Grund erinnert Paulus die Korinther:

Ich erinnere euch, Brüder, an das Evangelium, das ich euch verkündet habe. Ihr habt es angenommen; es ist der Grund, auf dem ihr steht. Durch dieses Evangelium werdet ihr gerettet, wenn ihr an dem Wortlaut festhaltet, den ich euch verkündet habe. Oder habt ihr den Glauben vielleicht unüberlegt angenommen? Denn vor allem habe ich euch überliefert, was auch ich empfangen habe: Christus ist für unsere Sünden gestorben, gemäß der Schrift und ist begraben worden. Er ist am dritten Tag auferweckt worden, gemäß der Schrift. (1 Korinther 15,1-4

Die Aufforderung zur Erinnerung intendiert Paulus mit dem Wort γνωρίζω (gesprochen: gnorízo). Darin steckt γνῶσις (gesprochen: gnôsis) – das Wissen. Es ist ein Wissen, in dem die Korinther fest stehen. Auf diesem Boden entfaltet sich ihr Glaube. Wenn sie von dem Wissen abweichen, wäre ihr Glaube umsonst. Das Wissen aber, auf dem ihr Glaube beruht, ist ein historisches Faktum, nämlich Kreuzestod und Auferstehung Jesu Christi.

Genau dieses historische Faktum aber birgt ja in sich eine intellektuelle Herausforderung, insofern die Auferstehung von den Toten an sich den naturgegebenen Erfahrungen der Menschheit widerspricht. Paulus führt deshalb einen zweifachen Beweis. Zum einen verweist er auf „die Schrift“ – also die Verheißungen der Schriften, die Christen heute als „Altes Testament“ bezeichnen, die aber für die Juden wie für die frühen Christen eben „die Heilige Schrift“ waren.

Da das aber alleine nicht ausreicht – denn die Zuweisung der Heiligkeit an die fraglichen Texte ist ja in sich ein Ergebnis von Erfahrung und Intuition – bedarf es noch eines objektiven Beweises. Da es zur damaligen Zeit weder Videoüberwachung noch Fotodokumentationen gab, kann das nur durch Zeugenaussagen belegt werden. Und in der Tat: Paulus benennt über 513 Zeugen für die Tatsächlichkeit der Auferstehung. Der Auferstandene erschien nämlich

erschien dem Kephas, dann den Zwölf.  Danach erschien er mehr als fünfhundert Brüdern zugleich; die meisten von ihnen sind noch am Leben, einige sind entschlafen.  Danach erschien er dem Jakobus, dann allen Aposteln.  Als Letztem von allen erschien er auch mir, dem Unerwarteten, der «Missgeburt». (1 Korinther 15,5-8)

Auch hier ist die Objektivierung argumentationsleitend. Der zweifache Verweis auf den Zwölferkreis und die besondere Heraushebung des Kephas (so der hebräische Name für Petrus) und Jakobus mag zwar in christliche Kreisen Ehrfurcht hervorrufen. Gleichwohl ist der Zwölferkreis bei Kritikern in der Gefahr, einer ausgeklügelten Verschwörung bezichtigt zu werden. Deshalb kommt den „über 500 Brüdern“, denen der Auferstandene auf einmal(!) (ἐφάπαξ – gesprochen: ephápax) erscheint. Dieses 500 Menschen gleichzeitige Erscheinen schließt sowohl Halluzination als auch Verabredungen aus: Bei über 500 Personen wäre es nie gewährleistet, dass jemand sich verplappert. Außerdem betont Paulus, dass die meisten noch am Leben und damit persönlich befragbar sind. Eine solche Aussage, wäre sie einfach so daher gesagt, könnte angesichts des angespannten Verhältnisses zwischen Paulus und der korinthischen Gemeinde, wie es vor allem im 2. Korintherbrief aufscheint, aber bereits auch im Hintergrund des 1. Korintherbriefes erkennbar ist, eine tiefe Glaubwürdigkeitskrise des Paulus verursachen. Gerade die kritische Grundhaltung der Korinther wird damit über die Jahrhunderte hinweg zum größten Ausweis der Glaubwürdigkeit der paulinischen Aussagen.

Es ist bemerkenswert, dass Paulus die Auferstehung des Gekreuzigten nicht einfach als zu glauben dahinstellt. Er begründet sie, ja er beweist sie geradezu. Von hier aus ist es nicht verwunderlich, wenn Paulus die Begriffe für Glauben (πίστις – gesprochen: pístis) und Wissen (γνῶσις – gesprochen: gnôsis, aber auch das Perfekt von ὀρᾶν/gesprochen: orân – sehen, οἶδα/gesprochen: oîda – im Sinne von „wissen“, „erkennen“) nahezu synonym verwendet. So kann er aufgrund seines auf Wissen, Erfahrung und Intuition gegründeten Glaubens ausrufen:

Wir wissen (οἴδαμεν – gesprochen: oídamen): Wenn unser irdisches Zelt abgebrochen wird, dann haben wir eine Wohnung von Gott, ein nicht von Menschenhand errichtetes ewiges Haus im Himmel. 2 Korinther 5,1

Der Glaube antizipiert ein Sein hinter dem bloß Sichtbaren. Er erkennt das tiefere Wesen des bloß Oberflächlichen. Es nimmt deshalb nicht Wunder, wenn manch einem, der bloß auf Ohren, Augen, Nase, Mund und Hände vertraut, der eigentliche Sinn der Dinge verborgen bleibt. Ähnlich muss es nach Auskunft des Johannesevangeliums auch den Zeugen der Taufe Jesu ergangen sein. So heißt es im Evangelium vom 2. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres A:

In jener Zeit sah Johannes der Täufer Jesus auf sich zukommen und sagte: Seht, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt. Er ist es, von dem ich gesagt habe: Nach mir kommt ein Mann, der mir voraus ist, weil er vor mir war. Auch ich kannte ihn nicht; aber ich bin gekommen und taufe mit Wasser, um Israel mit ihm bekannt zu machen. Und Johannes bezeugte: Ich sah, dass der Geist vom Himmel herabkam wie eine Taube und auf ihm blieb. Auch ich kannte ihn nicht; aber er, der mich gesandt hat, mit Wasser zu taufen, er hat mir gesagt: Auf wen du den Geist herabkommen siehst und auf wem er bleibt, der ist es, der mit dem Heiligen Geist tauft. Das habe ich gesehen. Und ich bezeuge: Er ist der Sohn Gottes. (Johannes 1,29-34)

Johannes hat das dritte Auge, jene Fähigkeit, hinter die Dinge zu sehen, das dem Offensichtlichen Verborgene, die Wahrheit hinter dem bloß sinnlich Wahrnehmbaren. Indem Jesus auf ihn zukommt, antizipiert er dessen Wesen. Er sieht einen Menschen, wie es viele gab, die zu ihm gekommen sind. In dem einen aber erkennt er das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt, jenen, auf den er immer hingewiesen hat.

Bemerkenswert ist die Retrospektive Johannes’ des Täufers, der rückblickend sagt:

Ich sah, dass der Geist vom Himmel herabkam wie eine Taube und auf ihm blieb. (Johannes 1,32)

Es erscheint, als habe Johannes diese Offenbarung exklusiv erfahren. Die Umstehenden erwähnt er gar nicht. Dabei betont das Evangelium zweifach, dass Johannes der Täufer Jesus eigentlich gar nicht kannte (Johannes 1,31.33). Und doch antizipiert er die eigentliche Offenbarung in Jesus: Auf ihn kommt der Geist nieder – eben jene Intuition und jenes Wissen, auf das sein taufendes Wirken überhaupt zurückgeht:

Aber er, der mich gesandt hat, mit Wasser zu taufen, er hat mir gesagt: Auf wen du den Geist herabkommen siehst und auf wem er bleibt, der ist es, der mit dem Heiligen Geist tauft. (Johannes 1,33)

Das mag ein zuerst inneres Wissen gewesen sein, das anderen verborgen bleibt – eine innere Gewissheit, die rein subjektiv ist, ja autosuggestiv sein kann – eine innere Gewissheit, die solange ohne Wert bleibt, bis sie sich verobjektiviert. Es ist gerade jene Sehnsucht nach objektiver Gewissheit, die zur Schärfung des Blickes mit dem dritten Auge geführt hat, ein Denken und Dringen durch die Dinglichkeit des Daseins in die abgründige Tiefe der Existenz. Die Wasser am Jordan mögen still sein. Das lange Warten auf den, der da kommen mag, hat sie tief werden lassen. Die Menschen, die zu Johannes gekommen sind, sein Reden und Predigen, sein Denken und die Auseinandersetzungen haben seine Erfahrungen vertieft, seine Intuition gestählt und sein Wissen um den Menschen bereichert. Er mag erkannt haben, was den Menschen, der gerade vor ihm stand bewegt. Menschenkenntnis ist Antizipation. Durch diese Schule hindurch ist ihm nicht nur das Erkennen der Wahrheit dessen, der jetzt auf ihn zukommt, überhaupt erst möglich geworden; er ist jetzt auch in der Lage, die richtige Schlüsse aus dieser Erkenntnis zu ziehen:

Das habe ich gesehen. Und ich bezeuge: Er ist der Sohn Gottes. (Johannes 1,34)

„Ich habe gesehen“ – ἑώρακα (gesprochen – heoraka) – auch dieses Wort ist mit dem Erwerb von Wissen verwandt – ähnlich wie das paulinische οἶδα (gesprochen: oîda). Das glaubende Erkennen ist eben kein frommer Wunsch, sondern ein antizipierendes Wissen aufgrund von reflektierter Erfahrung, die sich auch objektiver Kritik stellen kann und bisweilen muss.

Wie wenig eine bloß subjektive Gewissheit für den Glauben auszutragen vermag, wird in der ersten Lesung vom 2. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres A angesprochen:

Der Herr sagte zu mir: Du bist mein Knecht, Israel, an dem ich meine Herrlichkeit zeigen will.  Jetzt hat der Herr gesprochen, der mich schon im Mutterleib zu seinem Knecht gemacht hat, damit ich Jakob zu ihm heimführe und Israel bei ihm versammle. So wurde ich in den Augen des Herrn geehrt, und mein Gott war meine Stärke.  Und er sagte: Es ist zu wenig, dass du mein Knecht bist, nur um die Stämme Jakobs wieder aufzurichten und die Verschonten Israels heimzuführen. Ich mache dich zum Licht für die Völker, damit mein Heil bis an das Ende der Erde reicht. (Jesaja 49,3.5f)

Die Lesung lässt leider mit Jesaja 49,4 einen bemerkenswerten Vers in der Rede des intendierten Gottesknechtes aus:

Ich aber sagte: Vergeblich habe ich mich bemüht, habe meine Kraft umsonst und nutzlos vertan. (Jesaja 49,4)

Genau hier insistiert nämlich Gott:

Es ist zu wenig, dass du mein Knecht bist, nur um die Stämme Jakobs wieder aufzurichten und die Verschonten Israels heimzuführen. Ich mache dich zum Licht für die Völker, damit mein Heil bis an das Ende der Erde reicht. (Jesaja 49,6)

Der Glaube kommt erst dann zu seiner ureigenen Bestimmung, wenn er nicht bloß „Glaube für mich“ ist, sondern wenn er zum „Licht für die Völker“ wird. Der Glaube bleibt ein schönes, letztlich aber belangloses Gefühl, eine banale Befindlichkeit, die Zweifel und Kritik vermeidet, wenn er für die eigene kleine Existenz zum Opium wird, mit dem man sich selbst autosuggestiv den Blick für die harte Wirklichkeit des Seins vernebeln möchte. Echter Glaube hingegen strebt nach Aufklärung, nach einem Licht der Erkenntnis, dass unter die Oberfläche der Materie schaut und die Energie des Seins zu erkennen strebt.

Wissen, Erfahrung und Intuition, die sich nicht zu schade sind, sich dem kritischen Diskurs ebenso zu stellen, wie der Schärfe des Verstandes, der – einem Rasiermesser gleich – alles wegschneidet, was nicht wirklich brauchbar und notwendig ist, sind der feste Grund, auf dem ein starker Glaube entstehen kann – ein Wissen über das bloß sinnlich Wissbare hinaus, eine Antizipation, die im leeren Raum die Chance zum Sieg erkennt. Crede, ut intellige: Glaube, damit du erkennst –  und: Wisse die Wege, bevor du sie gehst. Sci vias!

Dr. Werner Kleine

Author: Dr. Werner Kleine

Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.

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