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kath 2:30 Dies DominiDies Domini – 27. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr B

Es war ein stiller Anfang voller Energie. Der Urknall machte keinen Lärm. Ungeheure Licht- und Energiemengen brauchten Raum und schufen ihn und mit ihm die Zeit. Im Beginn des Werdens ereignete sich schon das Vergehen. Energie wurde zu Materie und Materie zu Energie. Nur laut war es nicht. Es fehlte noch das Medium, in dem sich die Schallwellen ausbreiten konnten. Es muss also ein lautloses und doch mächtiges Wort gewesen sein, durch das das Sein, wie wir es kennen, seinen Anfang nahm.

Die Welt, wie wir sie kennen und wahrnehmen, ist im Grundsatz geordnet. Die Naturgesetze gelten im gesamten Universum. Man kann sich auf sie verlassen. Die Welt ist berechenbar. Und selbst die chaotischen Strukturen folgen in ihrer Tiefe letztlich berechenbaren Gesetzmäßigkeiten, die ob ihrer Komplexität und wechselwirksamen Verflechtungen für den Menschen (noch) zu unüberschaubar sind. Selbst das Chaos ist Teil des Kosmos.

In der Welt, wie wir sie kennen, gibt es neben den naturgesetzlichen Grundkonstanten aber noch andere Prinzipien, die unübersehbar vor allem das Leben an sich prägen. Zu diesen Grundkonstanten zählt zum einen die Erkenntnis des Prinzips „Sehnsucht“. Leben existiert nicht für sich. Es ist auf Vermehrung hin angelegt. Wie sehr die Macht des Lebens drängt, kann überall dort beobachtet werden, wo das Leben nur den Hauch einer Chance hat. Es erobert sich jede Ritze, jeden Winkel, jeden Spalt. Das Leben selbst scheint ein Schöpfungsprinzip zu sein. Von daher kann es nicht verwundern, wenn auf anderen und fernen Planeten dereinst Leben entdeckt wird, wo doch schon jede irdische Asphaltwüste der Lebensmacht der Flechten und Sporen kaum etwas entgegen zu setzen hat. Die Schöpfung scheint sich geradezu nach Leben zu sehnen.

Das „Prinzip Sehnsucht“ ist aber nicht nur der Schöpfung als Ganzes eigentümlich. Auch die Lebenden kennen diese Sehnsucht nach einem Gegenüber, nach der Vereinigung derer, die anscheinend getrennt wurden, nach der Intimität der Begegnung in der die eigene Fragmentarität aufgehoben wird. Es ist gerade diese Begegnung getrennter Fragmente, die neue schöpferische Macht entfaltet.

Diese schöpferische Sehnsucht gehört zum Wesen der Welt, wie wir sie kennen. Sie ergibt sich erst aus der Imperfektion der Schöpfung. Das ist die zweite Grundkonstante dieser Welt. Sie ist gut, aber nicht perfekt. Die Welt ist fehlertolerant.  Es liegt kein Zwang in dieser Welt, sondern das Prinzip der Freiheit. Wo Freiheit ist, muss der Fehler möglich sein. Tatsächlich kann nicht geleugnet werden, dass Fehler oft schwerwiegende Konsequenzen nach sich ziehen. Die Fehlerfreundlichkeit der Schöpfung ist gleichzeitig aber auch eine Verheißung. Denn in ihr liegt die Macht des Lebens, das erst dann entstehen kann, wenn sich Unterschiedliches, Fragmentarisches zusammenfindet. Wäre die Welt perfekt, gäbe es nichts Fragmentarisches. Es gäbe nichts Unvollkommenes, nichts Getrenntes. Es gäbe nur Perfektion. Die perfekte Welt wäre tot, weil ihr jede Dynamik fehlt, die erst durch den Mut, Fehler machen zu können, entsteht.

Sehnsucht und Fehlerfreundlichkeit sind zwei Grundkonstanten, die die Welt, wie wir sie kennen, prägen. Es ist die Sehnsucht nach dem Werden und der Notwendigkeit des Vergehens, die sich in ihnen widerspiegeln.

Im paradiesischen Zustand der Unmündigkeit war sich die Welt ihrer selbst nicht bewusst. Werden und Vergehen waren da. Sie sind Teil der Schöpfung. Aber ihnen fehlte ein erkennende Subjekt, das das Staunen über das Werden und den Schrecken des Vergehens vergegenwärtigen konnte. Der Mensch aber ist zu dieser Erkenntnis fähig. Ob er das einzige Wesen im Universum oder auf der Erde ist, dass über das Werden staunen und über das Vergehen trauern kann, ist wohl kaum anzunehmen, wenn schon Tiere zur Trauer fähig sind. Aber der Mensch gehört auf jeden Fall zu den Wesen, die in der Lage sind, den Zusammenhang von Werden und Vergehen, von Sehnsucht und Fehlerprägung zu reflektieren.

Die erste Lesung vom 27. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres B erzählt vom Beginn dieser Schöpfung, die von Werden und Vergehen geprägt ist. Sie erzählt von diesem paradiesischen Zustand, in der Sehnsucht und Fehlerfreundlichkeit weder Staunen noch Schrecken auslösten:

Gott, der Herr, sprach: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein bleibt. Ich will ihm eine Hilfe machen, die ihm entspricht. Gott, der Herr, formte aus dem Ackerboden alle Tiere des Feldes und alle Vögel des Himmels und führte sie dem Menschen zu, um zu sehen, wie er sie benennen würde. Und wie der Mensch jedes lebendige Wesen benannte, so sollte es heißen. Der Mensch gab Namen allem Vieh, den Vögeln des Himmels und allen Tieren des Feldes. Aber eine Hilfe, die dem Menschen entsprach, fand er nicht. Da ließ Gott, der Herr, einen tiefen Schlaf auf den Menschen fallen, so dass er einschlief, nahm eine seiner Rippen und verschloss ihre Stelle mit Fleisch. Gott, der Herr, baute aus der Rippe, die er vom Menschen genommen hatte, eine Frau und führte sie dem Menschen zu. Und der Mensch sprach: Das endlich ist Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch. Frau soll sie heißen; denn vom Mann ist sie genommen. (Genesis 2,18-22)

Der Mensch ist ein suchendes Wesen. Neugier gehört zu seinen besonderen Merkmalen. Auch wenn es ohne Frage einzelne Desinteressierte sind, so gibt der Mensch an sich nicht mit dem Sosein der Welt zufrieden. Er kann es nicht, wenn er ein mündiges Wesen ist. Wenn er mündig ist, befindet er sich nicht mehr im Urzustand der paradiesischen Unmündigkeit. Die Erkenntnis, die ihm die Mündigkeit ermöglichte, hat ihn aus seinem Paradies vertrieben. Der Mythos der sogenannten Sündenfallerzählung in Genesis 3, der doch eigentlich nicht den Fall des Menschen sondern sein Erwachsenwerden erzählt, beschreibt dies eindrücklich. Am Anfang sind Adam, der Lehmmensch, und seine Gefährtin noch nackt. Wie kleine Kinder sind sie sich ihrer Nacktheit aber nicht bewusst und schämen sich ihrer nicht. Erst als sie zu erkennen in der Lage sind und gut und böse unterscheiden können, erkennen sie ihren Zustand. Die Scham entsteht. Adam und seine Gefährtin sind jetzt wie Jugendliche. Der erste Entwicklungsschritt ist getan. Sie sind jetzt zu allem fähig, aber wollen für nichts verantwortlich sein. Auf den Anruf Adams durch Gott:

Wo bist du? (Genesis 3,9)

antwortet dieser nur ausweichend. Und als Gott ihn und seine Gefährtin zur Rede ob des Bruchs des Tabus vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse zu essen stellt, haben beide nur Ausflüchte und Schuldzuweisungen parat – eben wie Pubertäre.

Die wahre Lektion des Lebens steht beiden noch bevor. Gott selbst lehrt sie das Leben und seine Mühen. Er lehrt sie die Mühsal des Lebens. Adam und seine Gefährtin, die er später Eva (Leben) nennen wird, lernen das Staunen über die Sehnsucht, aber auch den Schrecken der Mühsal, die darin besteht, dass die Welt zwar gut, aber nicht perfekt ist, nicht perfekt sein kann, weil das Leben in der Perfektion keine Chance hätte. So mündig geworden müssen sie ins Leben gehen. Gott selbst schließt eine Rückkehr in die paradiesische Unmündigkeit aus. Aber er rüstet seine Geschöpfe für ein Leben in Freiheit. Er gibt ihnen das Notwendige mit auf den Weg, auf das sie jetzt selbst ihr Leben in der Schöpfung meistern. So wie er den Garten Eden beackert hat, so sollen Mann und Frau nun ihren Lebensgarten beackern. Gerade darin werden sie dem Schöpfer ähnlich sein, selbst schöpferisch tätig werden. Sie werden dabei Fehler machen, aber aus diesen Fehlern lernen. Die Schöpfung ist fehlerfreundlich und sie muss es sein, weil sie nur so werden und die Sehnsucht nach Leben stillen kann. Dieser Zusammenhang von Werden und Vergehen und Vergehen und Werden ist auch am Schluss der ersten Lesung zu finden:

Darum verlässt der Mann Vater und Mutter und bindet sich an seine Frau, und sie werden ein Fleisch. (Genesis 2,24)

Schöpferischer Fortschritt ist nur da möglich, wo der paradiesische Zustand des Umsorgtseins aufgeben wird. Das eine vergeht, Neues entsteht.

Die Neugier des Menschen lässt angesichts des Soseins der Welt, wie wir sie kennen, fragen, warum sie so ist. Dazu gehört auch die Frage nach einem möglichen Schöpfer. Weil ein möglicher Schöpfer aber nicht Teil der von ihm geschaffenen Welt ist, kann er nicht einfach erfasst werden. Wie ein Kunstwerk, das nach seiner Erschaffung unabhängig von seinem Erschaffer existiert, ist auch die Welt für sich. Man kann in ihr leben, ohne auf einen Schöpfer zurück zu greifen. Ob das aber schon die Neugier befriedigt, ist fraglich. Es ist daher alles andere als unvernünftig, weiter zu fragen. Es ist durchaus vernünftig, sich nicht mit der intraweltlichen Physik zufrieden zu geben, sondern nach dem zu fragen, was hinter der Physik steht und Metaphysik zu betreiben.

Ein Kunstwerk existiert nach seiner Vollendung unabhängig von seinem Erschaffer. Und doch hat sich der Erschaffer in sein Kunstwerk hinein geschaffen. Es ist sein Werk. Es trägt seine Handschrift.

Nimmt man – wenigstens hypothetisch – an, dass es geradezu unwahrscheinlich anmutet, dass die Komplexität der Welt, wie wir sie kennen, sich purem Zufall verdankt; und stellt man weiter in Rechnung, dass eine creatio ex nihilo, eine Erschaffung der Welt aus dem reinen, puren Nichts dem geradezu dem Naturgesetz der Energieerhaltung widerspricht, nach dem aus Nichts nichts werden kann, dann erscheint die Annahme eines Schöpfers in sich nicht als unvernünftig.

Wenn man aber einen solchen Schöpfer annimmt, dann kann man aus dem Sosein der Schöpfung etwas über ihn aussagen. Ähnliches schreibt Paulus im Römerbrief:

Wenn Heiden, die das Gesetz nicht haben, von Natur aus das tun, was im Gesetz gefordert ist, so sind sie die das Gesetz nicht haben, sich selbst Gesetz. Sie zeigen damit, dass ihnen die Forderung des Gesetzes ins Herz geschrieben ist. (Römerbrief 2,14f)

Wenn also Sehnsucht und Freiheit, auf die die der Schöpfung innewohnende Fehlerfreundlichkeit hinweist, Grundprinzipien der Welt sind, dann müssen sie in Gott selbst ihren Ursprung haben. Die christliche Theologie erkennt deshalb die Liebe als Wesensprinzip Gottes des Schöpfers. Gott birgt in sich Sehnsucht und Freiheit. Beide gehen in der Liebe auf. Die Liebe ereignet sich geradezu in der Sehnsucht nach einem Gegenüber.  Die Liebe bedingt aber auch die Freiheit, weil nur frei erwiderte Liebe zur Erfüllung der Sehnsucht führt. Zwang hingegen ist der Liebe Tod. Die Liebe muss den Schrecken der Nichterwiderung in Kauf nehmen.

Wenn Gott in sich selbst Liebe ist, muss er in sich selbst Begegnung sein. Das Erkenntnis der göttlichen Trinität trägt diese Erkenntnis in sich. Die christliche Lehre fasst diese Erkenntnis als Gegenüber des Vaters und des Sohnes zusammen, aus der der Heilige Geist hervorgeht. Gott ist immer schon Vater, Sohn und Heiliger Geist, liebende Begegnung voller Sehnsucht und Freiheit; eine Sehnsucht, die über sich selbst hinausdrängt und letztlich in die Schaffung der Welt überfließt. So ist der Vater der Schöpfer, durch den Sohn wird alles geschaffen, der Heilige Geist macht lebendig.

Die Schöpfung kennt zwar Raum und Zeit, Werden und Vergehen. Raum und Zeit sind Wesenseigenschaften der Schöpfung. Gott aber geht in der Schöpfung nicht auf. Er wird nicht und vergeht nicht. Er ist. Wie aber hängen dann Gott und Schöpfung zusammen. Kann Gott ohne Schöpfung sein?

Diese Frage verbirgt sich hinter einer kurzen Bemerkung der zweiten Lesung vom 27. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres B – eine Bemerkung, die man leicht überhören kann, obschon sie es im wahrsten Sinn des Wortes in sich hat:

Denn es war angemessen, dass Gott, für den und durch den das All ist und der viele Söhne zur Herrlichkeit führen wollte, den Urheber ihres Heils durch Leiden vollendete. (Hebräer 2,10)

Der Satz bekennt Gott als Schöpfer, „für den und durch den das All ist“. Die Welt existiert für sich. Aber sie ergibt sich aus der Sehnsucht Gottes. Sie ist für und durch ihn. So gesehen kann es keine weltlosen Gott geben, aber eben auch keine gottlose Welt. Gott und Welt – in diesem Gegenüber begegnen sich die pure dynamische Gegenwart reinen Seins und die raum-zeitliche Notwendigkeit von Werden und Vergehen, das Perfekt und das Imperfekte. Deshalb kann die Schöpfung nicht einfach sein. Sie ist nicht fertig. Weil Gottes Sehnsucht wirkt, wird die Schöpfung immer weiter. Paulus bringt es im Römerbrief auf den Punkt:

Denn wir wissen, dass die gesamte Schöpfung bis zum heutigen Tag seufzt und in Geburtswehen liegt. (Römerbrief 8,22)

Gott kann nicht von seiner Schöpfung lassen. Sie ist für ihn. Sie ist durch ihn. Gott und Schöpfung sind wechselseitig aneinander gebunden. Liebe, Sehnsucht und Freiheit sind ihre Prinzipien. Weil Freiheit und Sehnsucht aber nicht frei von Leiden sind, sondern sogar Leiden schaffen können, ja sogar Leidenschaft hervorbringen, sehnt sie sich nach der Vollendung:

Denn die ganze Schöpfung wartet sehnsüchtig auf das Offenbarwerden der Söhne Gottes. Die Schöpfung ist der Vergänglichkeit unterworfen, nicht aus eigenem Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat; aber zugleich gab er ihr Hoffnung: Auch die Schöpfung soll von der Sklaverei und Verlorenheit befreit werden zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes. (Römerbrief 8,18-21)

Gott weiß um die Folgen der Freiheit seiner Schöpfung. Und so wie er von Anfang an sein freiestes Geschöpf, den Menschen, mit dem Notwendigsten ausgerüstet hat, so lässt er ihn auch jetzt nicht im Unklaren. Er möchte ihn zur Erkenntnis führen – aber nach Art des Schöpfers. Die Freiheit kann nicht dadurch aufgehoben werden, dass Gott auf einmal autoritär auftreten würde. Nein, die Erkenntnis kann sich nur im beispielgebenden Gegenüber entwickeln. Deshalb heißt es im Hebräerbrief, dass Gott

viele Söhne zur Herrlichkeit führen wollte, den Urheber ihres Heils durch Leiden vollendete. (Hebräer 2,10)

Der Urheber des Heils kennt das Leiden selbst. Im Leiden des menschgewordenen Sohnes Gottes aber wird offenbar, dass das Leid eben nicht das letzte Wort ist. Die große Sehnsucht weist über die Welt, wie wir sie kennen hinaus:

Denn er, der heiligt, und sie, die geheiligt werden, stammen alle von Einem ab; darum scheut er sich nicht, sie Brüder zu nennen. (Hebräer 2,11)

Sicher – all das kann man als Spekulation abtun. Man kann in dieser Welt gut ohne Gott auskommen. Aber wird man dann die große Sehnsucht auch stillen können ohne sie zu leugnen oder abzutöten. Wird man dann wirkliche Antworten auf die Fehler dieser Welt haben? Hat dann nicht das Leid das letzte Wort? Braucht man dann nicht doch wieder Opium, um es in dieser Welt auszuhalten? Wer aber wachen Verstandes mit menscheneigener Sehnsucht in dieser Welt nach Erkenntnis strebt, wird Gott – wenigstens als Hypothese – nicht aus dem Weg gehen können. Ich aber bekenne: diese Hypothese ist wahr!

Dr. Werner Kleine

Author: Dr. Werner Kleine

Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.

1 Kommentar

  1. stefan Haas schrieb am 3. Oktober 2015 um 23:26 :

    Ihr Text hat mir sehr gefallen. Ich denke ähnlich.
    Stefan Haas

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