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kath 2:30 Dies DominiDies Domini – 6. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr B

Jedem Geheimnis wohnt ein Zauber inne, eine Magie, dessen Energie manchen Geheimnisträger so mitreißt, dass der Mund überfließt, wovon das Herz voll ist. Manche Nachricht verbreitet sich um so schneller, je höher man sie zum Geheimnis stilisiert. Auch Kirche und Politik sind nicht vor der Macht des Geheimnisses gefeit. Und selbst da wo ein Geheimnis tatsächlich geheim bleibt, breiten sich die Gerüchte aus. Die stets gut informierten Kreise zeigen dabei stets aufs Neue, dass Narziss stärker ist als Sokrates: Obwohl sie wissen, dass sie nichts wissen, siegt das Bedürfnis der Selbstdarstellung über das Eingeständnis, eigentlich nicht zum Kreis der auserwählten Entscheidungsträger zu gehören. Und so wähnt sich mancher berufen, bei anstehenden Personalentscheidungen, aus ausgeworfenen Brocken einen Brei angeblich hochbrisanter Interna zusammen zu brauen, der im Innersten immer noch das ist, was er war: Erbrochenes Nichtwissen.

Der geradezu mythische Prototyp dieser Spezies ist Ernie aus der Sesamstraße. Kaum vertraut man ihm ein Geheimnis an, muss er es laut hinausposaunen. Ernie ist der Schutzpatron aller Gerüchteverbreiter und Geheimnisverräter, die nur deshalb vor Verfolgung geschützt sind, weil sie das eigentliche Geheimnis gar nicht kannten. Die Erniesierung von Kirche und Politik selbst allerdings ist mächtig. Noch heute behaupten manche Journalisten standhaft, sie hätten Kenntnis über die Liste der Kandidaten, die für die letzte Wahl zum Kölner Erzbischof in Frage kamen. Man muss sich das klar machen. Die Liste ist nur den Mitgliedern des Domkapitels bekannt, die zum strengsten Schweigen verpflichtet sind. Entweder ist also Ernie Mitglied des Kölner Domkapitels oder einer der Herren ist eidbrüchig geworden, was ihn für das vertrauensvolle Amt sofort diskreditieren würde. Wie könnte man da noch zusammenarbeiten?

Die menschliche Lust am Geheimnis bleibt aber ungebrochen. Wonne- und lustvoll werden hinter vorgehaltener Hand die neuesten Nichtigkeiten ausgetauscht, denn wer eine Geheimnis hat, gehört doch dazu. Wen interessiert es da schon, ob das Geheimnis überhaupt wahr ist. Wen interessiert schon die Wahrheit, wenn man einen interessante Neuigkeit hat?

Nachricht – das deutsche Wort bedeutet im Innersten mehr als News; es geht nicht bloß um die Mitteilung von Neuigkeiten. Nachricht – das bedeutet wesentlich etwas nach richten, nämlich den eigenen Blick auf die Wirklichkeit. Die Nachricht hilft, das Geschehene zu verstehen, einzuordnen, zu bewältigen. Wo das Gerücht geschwätzig vage bleibt, bringt die Nachricht etwas in Form, sie informiert. Nachrichten müssen deshalb gut recherchiert sein, während dem Gerücht das bloße Hören-Sagen genügt. Nachrichten können sich nicht auf die gewöhnlich gut informieren Kreise stützten, sie brauchen handfeste Belege.

Nachrichten brauchen deshalb Zeit. Nachrichten sind nichts für Live-Ticker, die in Echtzeit ohne die Möglichkeit des Bedenkens das, was vermeintlich geschieht, letztlich aber doch nur den subjektiven Eindruck des Tickernden wieder gibt, in den Äther jagt. Freilich geht auf diese Weise im Second Screen nicht nur das eigene Erleben verloren; an die Stelle der Wirklichkeit tritt der subjektiv vermittelte Eindruck eines anderen, den man nun für die Wahrheit hält. Folgerichtig erkennt der moderne Mensch auch nur noch Wahrheiten an, die er problemlos nebeneinander stellen kann. Widerspruch ist nicht mehr notwendig. Man hat halt seine Meinung. Wozu soll man sich da noch auseinandersetzen.

Die Diskursunfähigkeit ist auch in der Kirche virulent. Die Wahrheit wird nicht mehr in der Kommunikation gesucht, sondern in der Frömmigkeit. Auch hier ist die narzisstisch-sokratische Verschränkung stilprägend: Weil man nur glauben, nicht aber verstehen muss, sonnt man das eigene Ich im Glanz einer selbstgemachten Auserwähltheit. An die Stelle des Ringens mit dem Nächsten tritt der Gebetskreis. Die einzige Erhellung ist dann die Kerze der gestalteten Mitte, während man sich glaubenstrunken der Kälte des realen Lebens entfremdet. Und wo früher die Heiligen und Märtyrer im Glauben dem Tod mutig trotzten, wird heute mit gefühligen Liedern eine Glaubensfreude besungen, die die nächste Prüfung im Alltag nicht besteht, weil das Grau des Lebens nicht so recht zur wohligen Heimeligkeit einer Frömmigkeit ist, deren Ziel das schöne Gefühl, nicht aber der Verstand ist.

Es braucht wenig Phantasie, um zu erkennen, dass ein Christentum, wie es in der Gegenwart nur allzu oft gelebt wird, viel zu banal gewesen wäre, als dass es geschichts- und kulturprägend geworden wäre. Kein Staat kann etwas gegen harmlose Beter haben. Gegen Menschen, die im Glauben fest stehen und aufrecht ihre Sache auch gegen die herrschenden Verhältnisse behaupten, schon. Der Glaube erweist sich nicht in der Freude; er bewährt sich in der Krise und der Auseinandersetzung. Das spricht nicht gegen eine gesunde Glaubensfreude. Selig, wer im Glauben froh ist! Aber der Glaube erschöpft sich nicht darin. Er geht tiefer, viel tiefer, bis an den dunklen Abgrund der menschlichen Existenz. Er wird erst dann tief, wenn er die Angst ertragen lernt, Angst vor der eigenen Existenz, die im Innersten des Menschen wohnt. Es ist diese Angst, die erkennen lässt, wie wenig selbstverständlich das Leben ist. Erst auf diesem Hintergrund wird der Wert des Lebens überhaupt erst erkannt. Nicht Lebensfreude, Todesmut ist das, was den wahrhaft Glaubenden auszeichnet. Es ist das Kreuz, die Erniedrigung, die erst die Auferstehung möglich macht.

Tatsächlich zielt der christliche Glaube nicht auf das eigene Seelenheil, sondern auf das Heil der anderen. Der Christ weiß, dass die Erlösung bereits geschehen ist. In Kreuzestod und Auferstehung Christi ist offenbar geworden, dass selbst der Tod nicht von Gott trennt: Der als gottverlassener Sünder Gestorbene wird von Gott zum Leben erweckt. Das ist die Erkenntnis, die den Christen in seinem Leben, vor allem seinem Alltag trägt.

Wie wenig der Glaube dem Alltag fremd ist, führt Paulus zu Beginn der zweiten Lesung vom 6. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres B aus:

„Ob ihr esst oder trinkt oder etwas anderes tut: tut alles zur Verherrlichung Gottes!“ (1 Korinther 10,31)

Spiritualität ist nichts, was man macht. Spiritualität ist eine Haltung, die das Leben prägt. Wahre Spiritualität hat sich dabei am Spiritus rector zur orientieren, wie Paulus anmahnt:

„Nehmt mich zum Vorbild, wie ich Christus zum Vorbild nehme.“ (1 Korinther 11,1)

Christus ist das eigentliche Vorbild. Er zog sich eben nicht zurück, sondern machte sich berührbar. Die Szene, von der das Evangelium vom 6. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres B erzählt, zeigt dies eindrücklich. Ein Aussätziger kommt zu ihm, ein Unberührbarer, einer, der sich von der menschlichen Gemeinschaft fern zu halten hat, wie es im Buch Leviticus heißt:

„Solange das Übel [des Aussatzes] besteht, bleibt er unrein; er ist unrein. Er soll abgesondert wohnen, außerhalb des Lagers soll er sich aufhalten.“ (Leviticus 13,46)

Der Aussätzige, der zu Jesus kommt, überschreitet diese Weisung. Er kommt auf Jesus zu, hält aber Distanz. Es ist an Jesus, diese Distanz aufzuheben, indem er den Aussätzigen mit ausgestreckter Hand berührt. Eine wahrhaft berührende Szene. Dabei ist die äußerliche Berührung nur der Vollzug von einer inneren Berührung. Die Einheitsübersetzung spricht hier eher schwach:

„Jesus hatte Mitleid mit ihm.“ (Markus 1,41)

Das im griechischen Original stehende Verb σπλανγχνίζεσθαι (sprich: splangchnizesthai) geht auf das Substantiv σπλάνγχνον (sprich: splangchnon) zurück, das soviel wie „die Eingeweide“ bedeutet. Die Formulierung drückt aus, dass sich Jesus vom Schicksal des unberührbar Aussätzigen im Innersten, in seinen Eingeweiden treffen lässt. Er lässt ihn nicht nur an sich heran, es geht in ihn hinein. Aus dieser Ergreifung heraus, die in den Eingeweiden spürbar ist, erwächst die Berührung, die mehr ist als die Überschreitung der Konvention. Die Heilung erwächst aus der Überwindung vor der Angst der Ansteckung. Todesmut ist der Grund für das Leben.

Das Beispiel Jesu lehrt, dass Frömmigkeit keine Sache schöner und wohlfeiler Gedanken, der gediegenen Stille, der Sammlung und heimlichen Freude der eigenen Auserwähltet ist. Wahre Frömmigkeit bedeutet Ergriffenheit vom Schicksal der Ausgestoßenen, der Nächsten, die von niemand wahrgenommen den eigenen Weg kreuzen. Wahre jesuanische Spiritualität besteht nicht aus gefalteten, sondern aus ausgestreckten Händen, die selbst die berühren, die niemand sonst berühren möchte.

Das Evangelium ist kein Gerücht. Es ist eine Nachricht. Die Botschaft, die Jesus in Wort und Tat verkündet, hat die Welt neu ausgerichtet. Man darf diese Nachricht nicht behandeln wie ein Gerücht. Man darf es nicht hinter vorgehaltener Hand weitergeben, sondern offen und bei jeder Gelegenheit. So tut es auch der vom Aussatz Geheilte, obwohl Jesus ihn gemahnt hatte, niemandem etwas zu erzählen, sondern seine Heilung gewissermaßen amtlich von den Priestern feststellen lassen (vgl. Markus 1,44). Erst durch diese amtliche Feststellung wird aus dem Gerücht einer Heilung durch Jesus eine wirklich Nachricht: Jesus heilt Aussätzigen! Das ist amtlich, da braucht es keine gut informierten Kreise. Und weil es amtlich ist, ist es auch öffentlich. Diese Nachricht gehört verbreitet bei jeder Gelegenheit!

Ach, wären die Christen doch auch wieder eine Nachricht wert. Aber worüber soll man berichten, wenn sie sich in Gebetskreise zurückziehen. Nähmen sie doch die gefalteten Hände auseinander und würden sie berührend ausstrecken – es würde die Welt in den Eingeweiden treffen.

Dr. Werner Kleine

Author: Dr. Werner Kleine

Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.

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