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kath 2:30 Dies DominiDies Domini – 28. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr A

Das Leben schreibt Geschichten, Erzählungen, die ein Leben überdauern können. Von manchen Menschen erzählt man noch, wenn die letzten Reste ihrer physischen Existenz längst zerfallen sind und in neue Formen irdischen Daseins aufgegangen sind. Auch wenn das Leben wird und vergeht – jeder Mensch schreibt seine Geschichte ein in das kollektive Gedächtnis der Menschheit. Und so, wie in komplexen Räderwerken die Veränderung eines noch so kleinen Parameters den Lauf der Dinge ändert, so prägt jedes Leben die Geschichte selbst. Das kollektive Gedächtnis der Menschheit bewahrt sie auf – oft unbewusst, manchmal bewusst, immer aber wirksam und wirklich.

Es ist daher kein Wunder, dass man über Generationen Geschichten erzählt. Kaum ein Familientreffen vergeht, ohne dass jemand mit den Worten „Wisst ihr noch …“ anhebt, eine der alten und allen bekannten Erzählungen vorzutragen – oft mit Worten, die die Zuhörer längst internalisiert haben, so dass jeder schon weiß, was als nächstes kommt und die Pointe trotzdem jedes Mal wie eine Erlösung Lachen oder Weinen auslöst. Die alten Geschichten der Ahnen schaffen Identität. Man vergewissert sich seiner Herkunft und Zugehörigkeit. Und auch, wenn mancher am Tisch die Augen ob der alten Kamellen rollt – sie gehören dazu, weil man ohne sie seine Geschichte verliert und nicht mehr weiß, warum man überhaupt zusammen gekommen ist. Es ist die Geschichte, die kollektive Erzählung, die die Menschen zusammenführt – eine Geschichte, die von Vergangenem berichtet, im Erzählen aber weiter geschrieben wird, auf dass man noch in Generationen etwas zum Reden und Weitertragen hat. Es ist die Geschichte, die dem Leben Bewusstsein verleiht.

Das Erzählen gehört zu den primären Formen menschlicher Existenz. Geschichten zu erzählen ist ein Teil des menschlichen Wesens. Es ist daher kein Wunder, dass das Wort Gottes von Anfang an Botschaft, weniger Lehre war. Das Wort Gottes wird in Kapiteln und nicht in Paragraphen erzählt. Das Wort Gottes ist erzählte Lebensgeschichte, eine Geschichte, in der Menschen Gott selbst entdeckt haben.

Man kann aus diesen Geschichten Gottes mit den Menschen sicher Folgerungen ziehen, wie der Mensch leben soll. Fängt man aber an, das lebendige Wort Gottes selbst in Regeln zu fassen, beraubt man es seines Wesens, nämlich der lebendigen Weitergabe. Das Wort Gottes kann man nicht regulieren, wohl aber erzählen und weitergeben.

Als das Wort Gottes in Jesus selbst Fleisch und Teil der lebendigen Geschichte der Menschen wurde, konnte es deshalb kein Regelwerk mitbringen. Paulus fasst das in drastische Worte, wenn er seinen Dienst der Verkündigung als Dienst des Geistes gegenüber dem Dienst am Buchstaben abgrenzt:

Wir haben durch Christus so großes Vertrauen zu Gott. Doch sind wir dazu nicht von uns aus fähig, als ob wir uns selbst etwas zuschreiben könnten; unsere Befähigung stammt vielmehr von Gott. Er hat uns fähig gemacht, Diener des Neuen Bundes zu sein, nicht des Buchstabens, sondern des Geistes. Denn der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig. (2 Korinther 3,4-6)

Wenn Paulus hier vom „Buchstaben“ spricht, dann bezieht er sich auf einen Glauben, der sich rein an der Norm, am Gesetz orientiert, an einer strikten und lebensfremden Orientierung an der Thora, jenem jüdischen Gesetz, dass aus den Erzählungen des Pentateuch (den sog. „Fünf Büchern des Mose“) 613 Ge- und Verbote herauskristallisiert, die das Leben des jüdischen Volkes als Ganzem wie des einzelnen Juden prägen. Paulus achtet die Thora hoch. In der Thora strahlt die Herrlichkeit Gottes auf. Christen sollten deshalb vorsichtig sein, die Thora abschätzig zu betrachten. Und doch sieht Paulus in der Thora nur etwas Vorläufiges, etwas, das auf das Wesentliche hinweist. Die Thora führt die Menschen aus seiner Sicht zur Verurteilung, während Gott die Gerechtigkeit der Menschen will. Deshalb folgert er:

Wenn aber schon der Dienst, der zum Tod führt und dessen Buchstaben in Stein gemeißelt waren, so herrlich war, dass die Israeliten das Gesicht des Mose nicht anschauen konnten, weil es eine Herrlichkeit ausstrahlte, die doch vergänglich war, wie sollte da der Dienst des Geistes nicht viel herrlicher sein? (2 Korinther 3,7f)

Der „Dienst des Geistes“ besteht für Paulus in der Verkündigung

der Botschaft von der Herrlichkeit Christi, der Gottes Ebenbild ist. (2 Korinther 4,4b)

Und Paulus fügt hinzu:

Wir verkündigen nämlich nicht uns selbst, sondern Jesus Christus als den Herrn, uns aber als eure Knechte um Jesu willen. Denn Gott, der sprach: Aus Finsternis soll Licht aufleuchten!, er ist in unseren Herzen aufgeleuchtet, damit wir erleuchtet werden zur Erkenntnis des göttlichen Glanzes auf dem Antlitz Christi. (2 Korinther 4,5f)

Paulus verkündet das lebendige Wort Gottes, das Wort, das in Jesus Christus Fleisch wurde, der wie ein Sünder, ein Regelbrecher, ein von Gott Verstoßener starb; der durch die Auferstehung von den Toten genau diese Regel und Rede von der Sünde ad absurdum führt, weil nur Gott den Tod besiegen kann: Das Paradox des von Gott geretteten Gottverlassenen stellt jede Norm auf den Kopf. Die Geschichte muss neu geschrieben und erzählt werden – und Paulus ist einer der ersten Autoren, der eine Regel für alle kommenden Verkünder des lebendigen Wortes Gottes aufstellt:

Wir wollen ja nicht Herrn über euren Glauben sein, sondern wir sind Helfer zu eurer Freude; denn im Glauben seid ihr fest verwurzelt. (2 Korinther 1,24)

Der Verkünder ist also ein Freund und Helfer voller Vertrauen. Freunde und Helfer gehören der Exekutive an, nicht der Legislative. Sie führen aus; Regeln aufzustellen ist nicht ihr Metier.

Nun hat aber Jesus Christus, der Sohn Gottes, jenes fleischgewordene Wort des Ewigen eine Botschaft gebracht und kein Regelwerk. Er hat vom Reich Gottes erzählt und keine Gesetze promulgiert. Seine Methode war das Gleichnis und nicht die systematische Normierung. Seine Zumutung die Verantwortung des Einzelnen, der Stellung zu seiner Botschaft nehmen muss, und nicht die Sanktionierung der Übertreter eines Gesetzes. In seiner Verkündigung wird deutlich, dass der Mensch zum Fest des Lebens gerufen wird, vorbehaltlos, geliebt, frei. Er hält keinem eine Sünde vor, wohl aber vergibt er sie. Man könnte fast den schlimmen Verdacht haben, die Sünde gäbe es gar nicht und Jesus benutzt das Wort nur, weil er den Menschen, die es erfunden haben, seine Sinnlosigkeit aufzeigen möchte. Es ist ja die Sünde, die den Menschen von Gott trennt. Wie aber kann von Gott getrennt sein, wem Gott in Liebe verbunden ist. Wie kann von Gott getrennt sein, in wem Gott selbst im Heiligen Geist wohnt. Kann es Menschen geben, die von Gott getrennt sind? Selbst wenn der Mensch von dieser Freiheit Gebrauch macht, es steht in Gottes Freiheit selbst diesem Menschen nachzugehen wie der Hirte dem verlorenen Schaf.

Es verwundert daher, wie leicht kirchliche Würdenträger das Wort von der Sünde im Mund führen und dieses oder jenes als Sünde deklarieren. Könnten sie doch nur einen Vers des Wortes Gottes anführen, wo Jesus selbst die Sünde definiert und die Verurteilung ausspricht. Aber Jesus verweigert sich immer dann, wenn man ihn auf eine Regel festlegen will. Statt dessen erzählt er Geschichte, Gleichnisse wie das, das am 28. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres A verkündet wird.

Es ist ein verstörendes Gleichnis, das eher zum Weinen als zum Lachen führt. Ein Gleichnis, das erschreckt, weil es die Hörer und Leserinnen vor eine existentielle Frage nach der eigenen Bereitschaft führt. Sie werden – ob sie wollen oder nicht – Teil der Geschichte selbst. Jesus erzählt dieses Gleichnis innerhalb des Matthäusevangeliums in der Zeit der Entscheidung. Es ist Teil der Auseinandersetzung Jesu mit seinen Gegner in Jerusalem, wenige Tage bevor er gekreuzigt werden wird.

Das Gleichnis, das in Matthäus 22,1-14 erzählt wird, beginnt vertraut: Ein König bereitet die Hochzeit seines Sohnes vor. Er lädt Gäste eine, die aber unter mehr oder weniger vorgeschobenen Vorwänden die Einladung ablehnen. Die Verstörung beginnt bereits, wenn einige der Eingeladenen die Überbringer der Einladung misshandeln und der König dieses Verhalten drastisch sanktioniert. Was ein Fest der Freude werden sollte, endet in brutaler Gewalt, bevor das Fest beginnt.

Das Hochzeitsmahl ist aber schon vorbereitet. Man kann es schlecht verderben lassen. Auch wenn dem König – und wahrscheinlich auch dem Brautpaar – angesichts der Ereignisse nicht nach Feiern zumute gewesen sein dürfte, soll das Fest stattfinden. Nun werden die Diener erneut geschickt:

Geht hinaus auf die Straßen und ladet alle, die ihr trefft, zur Hochzeit ein. (Matthäus 22,9)

Als sich der Festsaal mit den Straßenleuten gefüllt hat, tritt der König ein – und entdeckt einen Mann ohne Hochzeitsgewand. Auf die Frage:

Mein Freund, wie konntest du hier ohne Hochzeitsgewand erscheinen? (Matthäus 22,12)

weiß der Mann nichts zu antworten. Das hat für ihn fatale Folgen, die die Hörerinnen und Leser des Gleichnisses tief verstören:

Da befahl der König seinen Diener: Bindet ihm Hände und Füße, und werft ihn hinaus in die äußerste Finsternis! Dort wird er heulen und mit den Zähnen knirschen. (Matthäus 22,13)

Das passt so überhaupt nicht zu dem lieben Jesus, den sich manche gerne zurecht machen. Sind denn nicht alle eingeladen?

Doch, es sind alle eingeladen, denn auch der Mann ohne Gewand ist der Einladung gefolgt. Es ist etwas anderes, das ihn disqualifiziert: Die fehlende Bereitschaft, ein Fest zu feiern. Matthäus spielt mit den Leserinnen und Hörern. Man kann sich das mit einem einfachen Experiment vergegenwärtigen. Lässt man vor seinem inneren Auge ein Bild entstehen, das die Situation direkt nach der Ankunft derer im Festsaal zeigt, die von der Straße weg eingeladen wurde, zeigt es Menschen in Alltagskleidung. In dem Moment, wo Matthäus den Mann ohne Hochzeitsgewand erwähnt, erscheinen alle aber wie aus dem Nichts festlich gekleidet. Matthäus erzählt aber nirgendwo, das Festgewänder angelegt worden wären. In diesem Fall hätte der Mann aber auch eine Antwort gehabt. Es war für ihn kein Gewand da, oder er würde antworten, dass er das sofort nachholen würde. Nichts dergleichen aber scheint Matthäus vorauszusetzen. Vielmehr scheint bei den Festgästen schon auf der Straße eine Bereitschaft zum Fest da gewesen zu sein, eine alltägliche Freude, die dem Mann abgängig ist.

Wer so freudlos zum Fest des Lebens kommt, den bestraft offenkundig das Leben. Es ist nicht die Sünde, die vom Fest fernhält. Das ist nicht das Kriterium. Es ist die fehlende Bereitschaft, sich über das Leben selbst zu freuen, dem Leben in seinem Höhen und Tiefen zu vertrauen, darauf zu vertrauen, dass Gott selbst die krummen Wege mitgeht.

Jesus verkündete die Botschaft vom nahen Reich Gottes, die Kirche versucht es durch Regeln zu zähmen. Jesus verkündete die Aufhebung der Sünde, die Würdenträger der Kirche führen sie wieder ein. Jesus machte uns aus Knechten zu Freunden, manch ein Prediger möchte lieber wieder Herr über den Glauben sein. Sie wollen eine Sünde rekultivieren, deren Fesseln die Kinder des Lichtes doch längst abgelegt haben. Nicht wenige von ihnen heulen deshalb und knirschen mit den Zähnen, weil sie Regeln suchen, wo frohe Botschaft ist.

Der Dresscode für das große Hochzeitsfest Gottes ist die Freude. Es ist nicht die billige Freude, die sich in dem wie gemeißelt aussehenden Grinsen der unerlöst Frommen manifestiert, sondern eine Freude, die wohl nur die empfinden können, die ein unerwartetes Geschenk bekommen haben. Niemand braucht sich die Einladung verdienen. Die Einladung gilt längst. Geht hin zum Fest! Geht hin und erzählt, erzählt Geschichten vom Leben! Schreibt diese Geschichte fort, diese Geschichte Gottes mit den Menschen! Pfeift diese Geschichte von den Dächern – pfeift sie über diejenigen, die mit Regeln Gott zähmen möchten!

Dr. Werner Kleine

Author: Dr. Werner Kleine

Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.

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