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kath 2:30 Dies DominiDies Domini – 7. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr A

Der Ursprung des Glaubens ist nicht eine göttliche Offenbarung, sondern eine menschliche Ahnung – die Ahnung angesichts der Erkenntnis der eigenen Kleinheit und Schwäche angesichts der Größe der Welt. Es ist eine zuerst innerweltliche Ahnung, die dem modernen Menschen fast nicht mehr möglich ist. Für frühere Generationen genügte wohl ein Blick in die überwältigende Pracht eines unverstellten Sternenhimmels, um mit Staunen, aber ohne viele Worte vor die Frage geführt zu werden: Was ist der Mensch?

Weil diese Menschen sich angesichts der sie umgebenden kosmologischen Größe in Frage gestellt sahen, waren die Fragen nach Grund, Herkunft und Ziel des Menschen und seiner Existenz eine notwendige Folge. Fragen fordern zu Antworten heraus. Der Mensch ist das Wesen, das seiner Existenz Sinn verleihen muss. Die instinktive Sinnsuche liegt in den menschlichen Genen. Allerdings geht auch ein Tier nicht um des Beutemachens willen auf die Jagd, sondern um seine Existenz zu sichern, deren Gefährdung durch so etwas scheinbar Banales wie Hunger angezeigt wird. So folgt auch der Mensch seinem Sinninstinkt nicht ohne Grund. Es bedarf eines „Hunger“-Impulses, der den Sinninstinkt in Gang setzt.

Das Staunen ist ein solcher „Hunger“-Impuls. Das Staunen geht dem modernen Menschen immer mehr verloren. Es ist schon außergewöhnlich, überhaupt noch einen unverstellten Sternenhimmel zu sehen. So wurde unlängst der Nationalpark Eifel von der International Dark Sky Association zum Sternenpark erhoben, weil er zu den wenigen Orten gehört, wo der Sternenhimmel noch ohne Lichtverschmutzung angeschaut werden kann. Nirgends sonst in Deutschland ist die Milchstraße so unverstellt sichtbar.

Aber auch sonst ist das Staunen schwer geworden. Wer heute aufwächst, wird schon mit computergesteuerter Technik groß. Energie und Wasser stehen in unserer Gesellschaft wie selbstverständlich jedem zur Verfügung. Die Beschaffung von Nahrung ist angesichts fast umfassender Ladenöffnungszeiten kein Problem mehr. Und sollte der Supermarkt doch einmal geschlossen haben, ist die nächste Tanke nicht mehr weit. Was gibt es da zu staunen?

Gestaunt wird nicht mehr, höchstens gemeckert: Über die Minuten währende Zugverspätung, die Wartezeit beim Arzt oder die Zustände der Straßen. Der Wohlstand ist so selbstverständlich geworden, dass er zu kosmologischen Grundausstattung des modernen Menschen in der westlichen Welt gehört. In eine satte Welt hineingeboren zu werden, macht den Hunger nicht zu einer existenzgefährdenden Katastrophe, sondern zu einer Unverschämtheit, zu deren Beseitigung man schließlich einen garantierten Rechtsanspruch hat.

Wo kein Staunen, da keine Sinnsuche. Hier liegt die Ursache für die eigentliche Krise des Glaubens. Die Menschen wollen vielleicht glauben, aber sie haben keinen Grund dafür. Daran ändern auch die übliche Plattitüden nichts, die dem Menschen eine tiefe Sehnsucht nach Gott unterstellen, um dann in homiletischer Attitüde anzumahnen, dass man ihn vor allem in den Sakramenten der Eucharistie und der Beichte begegnen könne. Wie soll jemand die Gegenwart des Höchsten in der Eucharistie entdecken, wenn er noch nicht einmal eine Ahnung vom Höchsten hat, weil er sich selbst für den Mittelpunkt der Welt hält: „Ich habe eine Recht darauf, zu sein, was ich bin, weil ich dafür gearbeitet und bezahlt habe.“

Es ist diese Ich-Fixierung des modernen Menschen, die dem Staunen entgegen steht. Der Anschein der individuellen Besonderheit bestimmt sein Bewusstsein. Und dieser Anschein strahlt. Wo Ich ist, kann erst einmal kein Wir sein. Und das Du ist nur ein Spiegel, in dem der Anschein des eigenen Ich strahlen darf. Eine andere Berechtigung hat das Gegenüber nicht. Wer will denn noch die Sterne leuchten sehen angesichts der ganzen Strahlemänner und -frauen?

Das Phänomen der Selbststrahlung scheint nicht neu zu sein. Im der Lesung aus dem Buch Levitikus, die am 7. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres A zu hören sein wird, heißt es:

Du sollst den Nächsten lieben wie dich selbst (Levitikus 19,18)

Dieses alttestamentliche Gebot wird von Jesus selbst aktualisiert. Kaum eine Predigt über dieses Wort vergeht, ohne dass darauf hingewiesen wird, dass selbstverständlich zuerst die Selbstliebe steht. Man könne den Nächsten schließlich nur lieben, wenn man sich zuerst selbst liebt.

Als wenn das das Problem wäre. Stattdessen dient diese doch etwas einseitige Deutung dazu, die vermeintlich vorgängige Selbstliebe als Schutzbehauptung zu nehmen, man müsse jetzt endlich einmal etwas für sich tun.

Freilich steht in dem Wort nichts von einer vorgängigen Selbstliebe, die es erst aufzubauen gälte. Gott erinnert das Volk Israel durch Mose daran, dass es über die Selbstliebe den Nächsten nicht vergessen darf. In der eigenen Selbstverliebtheit hat das Volk den Nächsten vergessen. Deshalb mahnt Gott in dem Text:

Du sollst in deinem Herzen keinen Hass gegen deinen Bruder tragen. Weise deinen Stammesgenossen zurecht, so wirst du seinetwegen keine Schuld auf dich laden. (Levitikus 19,17)

Nicht der eigene Vorteil steht im Mittelpunkt, sondern das Wohl des Nächsten ist vorgängig. Aus diesem Grund kann man sich auch nicht einfach heraushalten, als ginge einen das Verhalten des Nächsten nichts an. Vor Gott zählt offenkundig nicht nur, was man getan hat, sondern auch, was man nicht getan hat. Den Nächsten nicht von einer falschen Handlung abgehalten zu haben, macht den Menschen mitschuldig.

Das Buch Levitikus nennt auch den Grund dafür:

Rede zur ganzen Gemeinde der Israeliten, und sag zu ihnen: Seid heilig, denn ich, der Herr, euer Gott, bin heilig. (Levitikus 19,2)

Das Volk Israel ist heilig, weil Gott heilig ist. Wie das zu verstehen ist, führt Paulus in der aus dem 1. Korintherbrief stammenden zweiten Lesung des 7. Sonntags im Jahreskreis des Lesejahres A aus:

Wisst ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt? Wer den Tempel Gottes verdirbt, den wird Gott verderben. Denn Gottes Tempel ist heilig, und der seid ihr. (1 Korintherbrief 3,16f)

Der Mensch selbst ist Wohnstatt Gottes. Gott wohnt im Heiligen Geist in den Menschen. Das deutsche „Heiliger Geist“ ist dabei eine missverständliche Wiedergabe des hebräischen Ruach, das im griechischen mit Pneuma und im Lateinischen mit Spiritus übersetzt wird. Alle drei Begriffe heißen eigentlich „Hauch“ oder „Atem“. Der Geist Gottes ist der Atem, der die Welt am Leben erhält. Er ist der lebenspendende Hauch, durch den Adam ins Leben kam. Der Mensch, der atmet lebt. Es ist eigentlich staunenswert, dass der Mensch unwillkürlich atmet. Ob er wacht oder schläft: Der Atem erhält sein Leben.

Biologen und Mediziner werden den Atem als bioelektrische Reaktion verstehen. Die eigentliche Ursache des Atmens aber werden sie damit nicht erfassen. Das Staunen über dieses existenzgewährende Phänomen hat in der jüdisch-christlichen Tradition dazu geführt, Gott als den Urheber des Lebens zu erkennen. Er ist es der im Menschen atmet. Für Paulus ist das der Grund, den Menschen als Tempel Gottes zu verstehen: Gott wohnt in seinem Atem im Menschen

Wer auch immer Gott begegnen will, braucht sich daher nur hin zum Nächsten wenden. Der Blick weg vom eigenen Ich hin zum Nächsten kann dabei tatsächlich staunen machen, denn Gott scheint nicht wählerisch zu sein: Offenkundig atmet nicht nur die Frommen, sondern auch in denen, in denen man es gar nicht vermutet. Es ist immer ein und derselbe Gott. Das ist der tiefere Grund für die Mahnung Jesu aus dem Evangelium vom 7. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres A:

Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen, damit ihr Söhne eures Vaters im Himmel werdet; denn er lässt seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten, und er lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. (Matthäus 5,43-45)

Es führt aber auch zu der Konsequenz, dass sich in der Art und Weise, wie der Mensch seinem Nächsten begegnet immer auch seine Beziehung zu Gott sichtbar wird: Wer nur an das eigene Heil denkt, wird Gott gerade nicht begegnen. Die Anbetung Gottes geschieht eben nicht nur im Kniefall vor dem Allerheiligsten, sondern vor allem auch in der Hinwendung zum Nächsten. Und den Nächsten sucht man sich nicht aus! Der Nächste ist der Mensch, der uns als nächstes begegnet. Sicher kann man nicht alle mögen. Dass man aber alle lieben muss, ist der Auftrag für die, die glauben, dass Gott ist. Man kann wirklich nur staunen, was Gott uns da zumutet.

Dr. Werner Kleine

Author: Dr. Werner Kleine

Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.

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