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kath 2:30 Meinung

Aus aktuellem Anlass: Über die Notwendigkeit einer Neubestimmung des Zölibates und der menschlichen Sexualität

Ein Schatten legt sich in letzter Zeit auf die Kirche. Jeden Tag werden neue Fälle von sexuellem Missbrauch durch hauptamtliche geweihte und ungeweihte Mitarbeiter der Kirche gemeldet. Was mit dem mutigen Schritt des Leiters des Berliner Canisius-Kollegs, Pater Klaus Mertes SJ, begann, zieht jetzt weite Kreise. Ein steiniger Weg hat für die katholische Kirche in Deutschland begonnen – ein Weg, dem sich die Kirche in Amerika und Irland längst stellen muss.

Die im Raum stehenden Vorwürfe wiegen schwer – sehr schwer! Wer auch immer sich an Kindern vergeht, dem gilt das harte und eindeutige Wort Jesu aus dem Lukasevangelium:

Er sagte zu seinen Jüngern: Es ist unvermeidlich, dass Verführungen kommen. Aber wehe dem, der sie verschuldet. Es wäre besser für ihn, man würde ihn mit einem Mühlstein um den Hals ins Meer werfen, als dass er einen von diesen Kleinen zum Bösen verführt. (Lukas 17,1f)

Papst Benedikt XVI selbst hat diesen unmissverständlichen Satz in der Version des Markusevangeliums (Markus 9,42) Jesu am 8. Februar 2010 in seiner Ansprache vor der Vollversammlung des päpstlichen Familienrates in Rom in Erinnerung gerufen (lesen Sie hier die englische Version der Ansprache).

Mittlerweile liegen zahlreiche inner- wie außerkirchliche Stellungnahmen vor. Dabei fällt auf, dass je nach Standpunkt der Zölibat zum Thema gemacht wird. Die einen sehen im Zölibat die Ursache für die Missbrauchsfälle, während die anderen – auch anhand statistischer Erhebungen – darauf verweisen, dass zölibatär Lebende relativ gesehen weniger in Missbrauchsfälle verwickelt sind.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen, dem verehrten Leser, geht. Mich verwundert diese Diskussion zutiefst. Mehr noch: Sie empört mich – und zwar in mehrfacher Hinsicht. Schon nach Bekanntwerden der ersten Missbrauchsfälle traten kirchliche Würdenträger vor die Öffentlichkeit und taten – ohne dass diese Frage auch nur annähernd gestellt worden wäre – kund, dass der Zölibat auf keinen Fall als Ursache für den Missbrauch angesehen werden könne. Die Tatsache, dass ein solcher Vorwurf noch gar nicht im Raum stand, macht solche Stellungnahmen pikant, signalisieren sie doch die eigene Unsicherheit in der Zölibatsfrage. Noch schlimmer wird es meines Erachtens durch den Hinweis auf statistische Untersuchungen, nach denen ein nicht-zölibatär lebender Mann 36mal gefährdeter sei, ein Missbrauchs-Täter zu werden, als ein zölibatär Lebender. Nicht nur, dass angesichts der steigenden Zahlen von Offenlegungen von Missbrauchsfällen die Dunkelziffer gar nicht bekannt ist; eine solche Argumentation ist schlichtweg zynisch, weil sie die Opfer aus dem Blick verliert. Als sei jeder einzelne Missbrauch für sich nicht schon schlimm genug – egal durch wen er verübt wird.

Der Zölibat ist kein Sakrament

Tatsächlich wird niemand ernsthaft den Zölibat als Ursache für sexuellen Missbrauch ansehen können. Denn das würde bedeuten, dass alle zölibatär lebenden Männer und Frauen früher oder später zu Missbrauchstätern würden. Das ist nicht nur offenkundig nicht der Fall, sondern widerspricht auch der Lebenserfahrung. Der christlich motivierte Zölibat ist eine Lebensform, die in der Ehelosigkeit (lat. caelebs – allein lebend, ehelos) eine Weise der Glaubensexistenz sieht. Freilich keine ausschließliche Weise. Der Zölibatäre macht durch seine ehelose Lebensweise das Ausgerichtetsein des Menschen auf Gott deutlich, während der ehelich Lebende dem der Schöpfung innewohnenden Prinzip der Hinordnung von Mann und Frau zueinander folgt und das Schöpfungsgebot „Seid fruchtbar und mehret euch“ (Genesis 1,28) verwirklicht. Gerade deshalb ist die Ehe ein Sakrament, denn sie ist gottgewollt. Hier vollzieht der Mensch in seiner Geschöpflichkeit den Willen Gottes. Der Zölibat selbst ist hingegen nicht sakramental. Der Wortbedeutung nach lebt ja jeder Single zölibatär. Symbolcharakter erhält der Zölibat nur, wenn er tatsächlich „um des Himmelreiches willen“ gelebt wird (vgl.  Matthäus 19,12).

Schon Paulus tut sich mit dem Verhältnis von zölibatärer Lebensweise und Ehe schwer. Man spürt die innere Spannung in seiner Auseinandersetzung, die er im 1. Korintherbrief führt (vgl. 1 Korinther 7,25-38): Zwar betont er einen gewissen Vorrang der ehelosen Lebensweise. Diese ergibt sich allerdings bei Paulus eindeutig aus der für ihn typischen Erwartung der unmittelbar vorstehenden Wiederkunft Christi: Wenn Christus jeden Moment wiederkommt, um die Welt zu vollenden und neu zu schaffen, lohnt sich eine Ausrichtung des Lebens auf die aktuelle Schöpfung nicht mehr. Wer das aber nicht fassen kann, soll sich auch keinen Zwang antun, und heiraten, weil er auf diese Weise frei ist, dem Herrn zu dienen:

Das sage ich zu eurem Nutzen: nicht um euch eine Fessel anzulegen, vielmehr, damit ihr in rechter Weise und ungestört immer dem Herrn dienen könnt. (1 Korinther 7, 37)

Zölibat und Sexualität

Das Wesen des Zölibats kann daher nicht im Verzicht bestehen. Er ist auch kein Königsweg in das Himmelreich. Freilich gibt es solche Ansätze, die schon in den neutestamentlichen Apokryphen – etwa den Paulusakten – zu finden sind. Das Ausspielen von zölibatärer und ehelicher Lebensweise wurde allerdings schon früh in der Kirche als Häresie verurteilt – so etwa auf der Synode von Gangra (wahrscheinlich 340/341), die in Verurteilung der asketischen Bewegung um Eustathius von Sebaste im 1. Canon feststellt:

DE HIS, QUI NUPTIAS DAMNANT
Si quis nuptias in accusationem deduxerit et mulierem fidelem ac religiosam cum viro suo dormientem abominandam crediderit aut etiam accusandam tamquam non posse coniugatos in regnum dei ingredi, anathema sit. (Quelle: Documenta Catholica Omnia)

ÜBER DEN, DER DIE EHE VERURTEILT
Wenn jemand die Ehe verurteilt und einer gläubigen und religiösen Ehefrau, die mit ihrem eigenen Mann schläft, glauben macht oder sie anklagt, sie könne nicht in das Königreich Gottes eingehen, verurteilt sei er.

Den Zölibat von einer asketischen Dimension her zu definieren und in ihm einen privilegierten Weg zum Heil zu sehen, geht aber nicht nur an der kirchlichen Tradition, sondern auch an der conditio humana vorbei. Gerade weil die Geschöpflichkeit des Menschen seine Sexualität notwendigerweise impliziert, muss sich auch und gerade der zölibatär Lebende in besonderer Weise dieser existentiellen Grunddimension des Menschseins stellen.

Gratia supponit naturam

Gratia supponit naturam – Die Gnade setzt die Natur voraus – in diesem Satz Bonaventuras, der von Thomas von Aquin aufgegriffen wird, spiegelt sich diese Notwendigkeit wieder. Wer glaubt, seine Sexualität verleugnen zu können oder wer sie ignoriert, wird kein Heil finden können.

In fataler Weise wird das auch durch manche Äußerungen kirchlicher Amtsträger bestätigt, wenn sie anführen, an dem Verbrechen des Missbrauchs durch Priester sei die zunehmende Sexualisierung der Gesellschaft mitschuldig. Nicht nur, dass solche Äußerungen an sich hanebüchen und wenig hilfreich sind (denn sie würden ja bedeuten, dass der Missbrauch von Kindern erst durch die modernen Entwicklungen hervorgebracht worden wäre und mit ihr in einem konsekutiven Zusammenhang stünden) – sie werfen auch ein Licht auf die Hilflosigkeit im Umgang mit der Sexualität. Solche fatalen Äußerungen insinuieren, zölibatär Lebende seien diesen Anfechtungen in besonderer Weise ausgesetzt.

Plädoyer für Offenheit und Transparenz

Es kann also letztlich nicht um ein „Pro oder Contra Zölibat“ gehen.  Sicher kann man über die Notwendigkeit des priesterlichen Pflichtzölibates diskutieren. Aber ebensowenig wie der Zölibat ursächlich für den Missbrauch ist, würde die Aufhebung des Pflichtzölibates das Problem lösen.

Wenn es überhaupt eine Lösung gibt, dann liegt sie in einer offenen und transparenten Aufarbeitung der aktuellen Situation. Dazu gehören meines Erachtens drei Aspekte:

  1. Zuallererst muss die Kirche eine Option für die von Missbrauch Betroffenen treffen. Es kann nicht darum gehen, durch Verschweigen Schaden von der Kirche abzuwenden, wenn Menschen durch das Handeln kirchlicher Mitarbeiter schlimmster Schaden zugefügt wurde. Dazu gehören innerkirchliche disziplinarische Maßnahmen ebenso wie juristische und strafrechtliche Konsequenzen  – ohne Wenn und Aber. Vor allem aber bedarf es konkreter Hilfestellung für die von Missbrauch Betroffenen. Ein wichtiger Schritt ist das Angebot der bundesweiten Heimkinder Hotline, das seit Anfang 2010 besteht und das sich ursprünglich an ehemalige Heimkinder der 50er und 60er Jahre  wendet. Man wird nicht umhin können, auch für die aktuell bekanntgewordenen Fälle der 70er, 80er und 90er Jahre eine Ausweitung dieses Angebotes zu erwarten.
  2. Es bedarf einer offenen Diskussion um eine dem Menschen gerecht werdende Ausgestaltung der zölibatären Lebensweise wie einer Neubewertung menschlicher Sexualität. Weil sie unaufgebbar zum Menschsein gehört, kann und darf Sexualität nicht geleugnet werden. Es hilft wenig, den Zölibat euphemistisch als Geschenk zu bezeichnen, wenn doch der Verzicht im Vordergrund steht.
  3. Die Kirche muss neu wahrnehmen, dass sie in die Welt gestellt ist und nicht über ihr steht. Auch wenn Christen – Priester wie Laien – zur Heiligkeit berufen sind, sie bleiben doch zu allererst Menschen.

Es ist ein erster richtiger Schritt, wenn sich heute am 22.2.2010 der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, bei den Missbrauchsopfern entschuldigt hat. Der Weg ist noch weit.

Dr. Werner Kleine

Lesen Sie hier das vollständige Pressestatement von Erzbischof Robert Zollitsch vom 22.2.2010.

Author: Dr. Werner Kleine

Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.

1 Kommentar

  1. kath 2:30 schrieb am 23. Februar 2010 um 21:04 :

    Buchtipp: Alfred & Olivier Ka – Warum ich Pater Pierre getötet habe…

    Vieles, was ausgehend von der Offenlegung der Missbrauchsfälle im Canisius-Kolleg geäußert wird, erinnert an die babylonische Sprachverwirrung. Und bei manch einem, sei er kirchlicher Amtsträger oder nicht, hat man den Eindruck, er habe eine Chance zum…

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